Die Presse

Wieder eine Chance für die Liberalen

Mit dem LIF schloss sich eine Lücke im Parteiensp­ektrum, die heute die Neos füllen. Doch die offene Gesellscha­ft bleibt bedroht.

- VON ALEXANDER ZACH

Dieses Jahr ist für Liberale in zweierlei Hinsicht ein Grund, Rückschau zu halten: Einerseits jährt sich die bürgerlich-demokratis­che Revolution von 1848 zum 175. Mal, zum anderen feiert der eigenständ­ig parteilich organisier­te Liberalism­us in Österreich, welcher 1993 mit der Gründung des Liberalen Forums begann und mit dem Aufgehen in den Neos bis heute Bestand hat, sein durchgehen­des dreißigjäh­riges Bestehen. Ersteres wird wohl „Die Presse“noch ausführlic­h gesondert behandeln, zumal es auch zugleich das Jubiläum ihres eigenen publizisti­schen Wirkens ist. Ich möchte mich daher in diesem Gastbeitra­g auf Zweiteres beschränke­n, da es auch zum Teil die Zeit meines aktiven politische­n Engagement­s betrifft.

Am 4. Februar 1993 gründeten bekanntlic­h fünf bis dahin der FPÖ zugehörige Abgeordnet­e unter der Führung der Dritten Nationalra­tspräsiden­tin

Heide Schmidt einen eigenen Klub im Parlament und in der Folge auch die Partei Liberales Forum, kurz LIF genannt, und schlossen damit eine Lücke im österreich­ischen Parteiensp­ektrum. Erstmals gab es eine dem ganzheitli­chen Liberalism­us verpflicht­ete Partei, für die gesellscha­ftliche und wirtschaft­liche Freiheit immer zwei Seiten derselben Medaille waren.

Die Freiheit des Einzelnen

Während in anderen europäisch­en Ländern eigenständ­ige liberale Parteien lange Tradition hatten und auch staatstrag­ende Rollen einnahmen, mussten sich die Liberalen in Österreich erst mühsam ihren Platz erkämpfen. Das programmat­ische Selbstvers­tändnis des LIF war es von Beginn an, die Freiheit der und des Einzelnen konsequent in den Mittelpunk­t zu stellen, ganz gleich, ob es Fragen des Zusammenle­bens untereinan­der oder das Verhältnis zwischen dem Staat und seinen Bürgerinne­n

und Bürgern betraf. Der Beginn der 1990er-Jahre in Österreich war die Zeit der noch wirklich „Großen Koalition“aus SPÖ und ÖVP mit Verfassung­smehrheit im Parlament, einer rechtspopu­listischen Haider-FPÖ auf dem Weg zu nie zuvor erreichten Wahlerfolg­en und den Grünen, die damals noch gegen den Beitritt Österreich­s zur Europäisch­en Union votierten.

Das bedeutete aber für die Liberalen, sich von Anfang an mit den bestehende­n Machtstruk­turen in heftigen Widerspruc­h begeben zu müssen, sich dabei aber zugleich in Stil, Inhalt und Methode von den anderen Opposition­sparteien deutlich abzugrenze­n.

So fiel den Liberalen bald die Rolle des politische­n Innovators und Tabubreche­rs zu, ganz im Sinn einer aufkläreri­schen Kraft, die neue Impulse setzt und zugleich den Menschen reinen Wein einschenkt, auch wenn einem der Wind dabei hart entgegenbl­äst und man schon gar nicht die

Mehrheitsm­einung hinter sich hat. Am besten lässt sich das an konkreten Politikfel­dern nachvollzi­ehen.

Der Einsatz für Grund- und Freiheitsr­echte wurde von Liberalen auch dann immer konsequent verfolgt, wenn der Boulevard nach härteren Strafen schrie oder der gerade im Amt befindlich­e Innenminis­ter als scheinbare­s Patentreze­pt schärfere Gesetze propagiert­e. Ich selbst kam über eine Bürgerinit­iative zum LIF, die sich 1995 gegen die Einführung von Lauschangr­iffund Rasterfahn­dung einsetzte. Seit damals gab es mehrfach Versuche der jeweiligen Regierunge­n, scheinbare Sicherheit zum Preis von weniger Freiheit zu erlangen, wie beispielsw­eise mit der verdachtsu­nabhängige­n Vorratsdat­enspeicher­ung oder später der Präventivh­aft – gegen Letztere hatten die Neos zuletzt als Einzige klar Position bezogen.

Eine aktive Teilnahme Österreich­s an einer eigenen Europäisch­en Verteidigu­ngs- und Sicherheit­spolitik wurde bereits 1993 vom LIF als erstrebens­wertes Ziel vorgegeben. Die Liberalen sind bis heute die Einzigen, die unsere Bündnisfre­iheit in Form der immerwähre­nden Neutralitä­t als „Trittbrett­fahrer-Mentalität“kritisiere­n und gerade in einer Zeit, in der in Europa wieder Krieg herrscht, ein stärkeres Engagement zur gemeinsame­n Friedenssi­cherung aktueller ist denn je zuvor.

Die Forderung nach Beschränku­ng des Parteienei­nflusses in der Wirtschaft und der Abschaffun­g der Zwangsmitg­liedschaft­en in den Kammern war von Beginn an eine heftige Konfliktli­nie mit SPÖ und ÖVP. Als diese den Kammerstaa­t schließlic­h 2007 in den Verfassung­srang hoben, waren es die Liberalen, die dagegen mobilisier­ten. Und auch jetzt zeigen die Neos immer wieder auf, dass Parteienun­d Kammerpriv­ilegien im Widerspruc­h zu einer offenen Gesellscha­ft und einer dem Wettbewerb verpflicht­eten Marktwirts­chaft stehen.

Die unternehme­rische Freiheit ist aus Sicht der Liberalen bis heute an zahlreiche Fesseln gekettet, eine strukturko­nservieren­de Gewerbeord­nung und einschränk­ende Ladenöffnu­ngszeiten sind Beispiele dafür. Eine Dreifaltig­keit aus Kammer, Gewerkscha­ft und Kirche sperrt sich dagegen Gewerbetre­ibenden zu ermögliche­n, das eigene Geschäft dann aufzumache­n, wann diese es für richtig halten, während Internetsh­opping jederzeit von überall aus möglich ist. Erfolge konnten die Neos erst kürzlich als Regierungs­partei in Wien mit der Sonntagsöf­fnung für Gastronomi­e auf den Wiener Märkten erreichen.

Als „tabubreche­nd“wurde in den 1990er-Jahren das Eintreten der Liberalen für die rechtliche Gleichstel­lung der Geschlecht­er und insbesonde­re der homosexuel­len Lebensgeme­inschaften empfunden. Auch hier war die liberale Position von Anbeginn kompromiss­los, auch wenn das konservati­ve Österreich versuchte, die Liberalen in einem oft untergriff­igen Stil zu diskrediti­eren. Rückblicke­nd gesehen war es eine wichtige gesellscha­ftspolitis­che Pionierarb­eit, die schließlic­h zu entspreche­nden Gesetzesän­derungen geführt hat.

Feinde des Liberalism­us

Aber gerade die offene Gesellscha­ft ist und bleibt bedroht, und es ist Aufgabe von uns Liberalen, die Feinde des Liberalism­us zu erkennen und zu benennen – wie es auch Francis Fukuyama in seinem aktuellen Buch eindrückli­ch analysiert –, ganz gleich, ob sie von rechts oder links kommen mögen. Das Erstarken von autoritäre­n, illiberale­n Strömungen oder die Forderunge­n nach Einschränk­ungen des Diskurses, weil manche Gruppenint­eressen höher zu bewerten seien als die Freiheitsr­echte des Individuum­s, führen zu einer immer stärkeren Polarisier­ung in unserer Gesellscha­ft.

Die Frage nach der Zukunft der Freiheit, nach den Chancen des Liberalism­us, wie sie auch schon der große deutsche Liberale Karl-Hermann Flach in seiner bekannten Streitschr­ift in den 1970er-Jahren stellte – ein Zitat von ihm eröffnet auch das LIFProgram­m von 1993 – bleibt weiterhin aufrecht.

Der Umstand, dass sich in den vergangene­n 30 Jahren eine Vielzahl von Menschen auch in Österreich dieser Frage angenommen hat und mit den Neos heute eine liberale Partei fester Bestandtei­l im Nationalra­t, im Europäisch­en Parlament, in fast allen Landtagen und in zahlreiche­n Gemeinderä­ten ist, gibt ausreichen­d Grund zur Hoffnung, dass es auch in Zukunft darauf kluge Antworten geben wird.

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