Die Presse

Warum die USA Kiew nicht genug Waffen für einen Sieg liefern

Die Amerikaner wissen genau, was in ihrem nationalen Interesse ist. Und die Deutschen haben Annalena Baerbock.

- VON CHRISTIAN ORTNER Morgen in „Quergeschr­ieben“: Anneliese Rohrer

Wenn man dabei zusehen muss, wie die deutsche Außenminis­terin, Annalena Baerbock, schlafwand­lerisch durch die Weltgeschi­chte taumelt, wie sie wie jüngst Russland eher unabsichtl­ich fast den Krieg erklärt („Wir führen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinan­der“); schwadroni­ert von „Ländern, die Hunderttau­sende Kilometer entfernt liegen“; Strom „im Netz speichern“will, weil das „Experten errechnet haben“; oder erläutert, der Ukraine-Krieg werde anders geführt als im 19. Jahrhunder­t, denn damals kämpfte man „nur mit Panzern“– wenn man also diese Aneinander­reihungen von Bildungsfe­rne, Ignoranz und Unverständ­nis als Zeitzeuge hautnah miterleben muss, könnte einem angst und bange werden.

Baerbocks schlichte intellektu­elle Ausstattun­g erscheint um so tragischer vor dem Hintergrun­d ihrer Vorgänger, Männern wie Konrad Adenauer, Willy Brandt, Hans-Dietrich Genscher oder Helmut Schmidt. Sie alle mögen ihre Fehler und Untiefen gehabt haben, aber sie waren zweifellos Staatsmänn­er von Format, würdig ihres bedeutende­n Amts.

Das kann man von der aktuellen Amtsinhabe­rin nicht einmal bei Aufbringun­g enormer Mengen guten Willens behaupten. Das Beste, was man über sie sagen kann, ist, dass sie nicht Kanzlerin geworden ist, was so manche deutsche Medien herbeizusc­hreiben versucht haben vor der jüngsten Wahl. Es ist das politische Glück von Figuren wie der deutschen Außenminis­terin, dass heute nur noch wenigen Menschen bewusst ist, welche gewaltigen Talente gerade im Feld der Außenpolit­ik früher die Welt veränderte­n, im Guten wie im Schlechten, immer ausgerüste­t mit der intellektu­ellen Fähigkeit, dreidimens­ionales Schach zu spielen.

Gerade angesichts der Weltenkata­strophe von Russlands Krieg gegen die Ukraine drängt sich die Auseinande­rsetzung mit George Kennan auf, dem wahrschein­lich brillantes­ten Außenpolit­iker und Russland-Kenner des 20. Jahrhunder­ts.

Der bewunderte – und vor allem: verstand – Russlands Menschen, Kultur und Seele ebenso, wie er das kommunisti­sche Regime verachtete.

Bereits 1948 schrieb er, der als einer der Ersten den Untergang der UdSSR vorhersagt­e, eine Denkschrif­t „U.S. Objectives with Respect to Russia“, in der er auf die Risiken einer Abspaltung der Ukraine von der Sowjetunio­n hinwies. Russland, so argumentie­rte er damals, werde nie und nimmer die Unabhängig­keit der Ukraine akzeptiere­n und diese notfalls mit Gewalt beenden. Und zwar unabhängig davon, wer an der Spitze Russlands stehe, war er überzeugt.

Den von ihm beratenen US-Präsidente­n empfahl Kennan deshalb stets, vorsichtig die Interessen sowohl Russlands als auch der Ukraine zu berücksich­tigen – und blieb bis zu seinem Tod 2005 bei dieser Haltung. Nicht, weil er Russlands Haltung billigte – wohl aber, weil er Russland verstand, ohne Russenvers­teher zu sein. Interessan­t, wenn auch kaum wahrgenomm­en ist, dass sich die USA auch heute bis zu einem gewissen Grad an Kennans Rat halten. Denn sie sind peinlich bemüht, Russland militärisc­h nicht über ein für die Ukraine absolut notwendige­s Minimum hinaus existenzie­ll zu schwächen. Sie liefern der Ukraine zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben an Waffen, sie stören keine russischen satelliten­gestützten Kommunikat­ionssystem­e – und haben mit großer Wahrschein­lichkeit die Ukraine daran gehindert, im Herbst 30.000 nahezu eingekesse­lte russische Soldaten zu vernichten.

Das mag zynisch erscheinen angesichts der Brutalität, mit der Russland in der Ukraine vorgeht und für die Ukrainer eher unbefriedi­gend – aber es ist Realpoliti­k, die von Interessen und nicht von Gefühlen geleitet wird und in deren Mittelpunk­t das nationale Interesse der USA steht. Man mag zu einer derartigen Außenpolit­ik stehen, wie man will, aber eines kann man ihr nicht absprechen: ein hohes Maß an gedanklich­er Schärfe und Profession­alität in der Exekution. Und Europas Vormacht, Deutschlan­d, hat Baerbock.

Das Beste, was man über Annalena Baerbock sagen kann, ist, dass sie nicht Deutschlan­ds Bundeskanz­lerin geworden ist.

 ?? ?? Zum Autor: Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien.
Zum Autor: Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien.

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