Ein geniales Mädchen führt Wien hinters Licht
Eine japanische Fiktion von Mozart als weiblichem Genie beschäftigt die Forschung.
Mozarts Geburtstag Ende Jänner ist ein guter Zeitpunkt, um sich dem Genius unter neuen Aspekten anzunähern, zum Beispiel durch ein „Was wäre, wenn“-Spiel: Wie hätte sich das Wunderkind Wolfgang Amadeus entwickelt, wäre es nicht als Knabe, sondern als Mädchen auf die Welt gekommen?
Ein solches Gedankenexperiment unternahm im Mozart-begeisterten Japan Yo¯ji Fukuyama, einer der erfolgreichsten MangaAutoren überhaupt (siehe Lexikon). Er schuf den an eine erwachsene Zielgruppe gerichteten Comic „Mademoiselle Mozart“im Jahr 1989, vor zwei Jahren wurde er neu aufgelegt. Der Stoff war zudem Grundlage zweier Musicals und eines Hörspiels. „In der Manga-Welt gilt es als gutes Zeichen, wenn ein Werk nicht gleich vom Markt verschwindet, sondern immer wieder nachgedruckt oder aufgelegt wird“, sagt Akiko Yamada, Musikwissenschaftlerin an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Dabei sei „Mademoiselle Mozart“durchaus nicht das einzige Manga, das Mozarts Leben thematisiere, jedoch so populär, dass es sich seit über 30 Jahren auf dem Markt halte.
Aus Wolfgang wird Elisabeth
Yamada beschäftigt sich am Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung mit dem Potenzial des japanischen Mangas, starre Geschlechterperspektiven aufzubrechen, die bis heute der Vorstellung von einem Genie und auch der Biografik von Komponisten zugrunde liegen. So wurde „Mademoiselle Mozart“auch zum Titel eines fünfjährigen Forschungsvorhabens, das von der Institutsleiterin Melanie Unseld verantwortet wird. Der romantische Genie-Begriff, der mit einem Wechsel des Geschlechts nicht vereinbar gewesen wäre, sei heute durchaus in Bewegung, sagt Unseld, die sich mit diesem Thema auch anhand von Graphic Novels über Beethoven beschäftigt hat.
Fukuyamas Mozart-Manga stellt noch stärker den GenderAspekt in den Mittelpunkt. Der Autor lässt darin etliche Personen auftreten, die in Mozarts Biografie eine Rolle spielen: seine Eltern, Leopold und Anna Maria, seine Schwester Maria Anna (Nannerl), seine Frau, Constanze, und deren Mutter, Cäcilia Weber, die Söhne
Carl Thomas und Franz Xaver, aber auch etwa die Komponisten Antonio Salieri und Franz Xaver Süßmayer, den Librettisten Emanuel Schikaneder und die Primadonna Caterina Cavalieri.
Die einzige fiktive Figur ist Mozart selbst, der im Manga als Mädchen namens Elisabeth geboren wurde. In der Rahmenhandlung des ersten Kapitels lernen wir dieses hochbegabte Kind im Alter von vier Jahren kennen. Zur Abendstunde improvisiert Elisabeth am Cembalo, gleichzeitig in vulgärer Sprache plaudernd. Ein Moment, in dem Vater Leopold das große Talent seiner Tochter erkennt und sich entscheidet, ihr eine Laufbahn als Komponistin zu ermöglichen. Er schneidet ihr die Haare ab und zwingt sie, fortan als Mann verkleidet zu leben.
Komponieren im Gehrock
Fukuyama bedient sich hier des japanischen Konzepts des „Danso¯ no reijin“, der „männlich verkleideten Schönheit“, die in japanischen Mädchenmangas zumeist am Ende einen Mann heiratet. In „Mademoiselle Mozart“, das sich an eine erwachsene Zielgruppe richtet, wird das Konzept jedoch abgewandelt. Elisabeth heiratet mit Constanze eine Frau. In ihren Wiener Jahren, zu denen das Manga im Hauptteil springt, führt sie ein Musikerleben in Männerkleidung und versucht dabei, sich von der Dominanz des Vaters zu lösen. Erst nach Leopolds Tod ringt sie sich ein einziges Mal durch, die Verkleidung abzulegen, um kurz das Dasein als Frau zu genießen. Der Schaffensdrang überwiegt jedoch. Wieder verkleidet mit Gehrock und Perücke, komponiert sie Opern wie etwa „Don Giovanni“oder „Die Zauberflöte“und große Symphonien. Zum Schluss entsteht ihre autobiografische Oper „Mademoiselle Mozart“, die zum Triumph wird.
Etliche Fakten und Szenen dieser Handlung sind frei erfunden. An vielen Stellen zeigt sich jedoch, wie eingehend sich Fukuyama mit Quellen befasst hat. So lässt er Mozart zum Förderer Gottfried van Swieten sagen, er schreibe seine Musik nie nur für Kenner, sondern auch für all jene, die sie einfach als Unterhaltung genießen wollten. Eine Ansicht, die durch den originalen Briefwechsel Wolfgangs mit seinem Vater, Leopold, belegt ist. „Fukuyama hat Mozarts Briefe intensiv studiert“, sagt Yamada, die den Autor interviewt hat.