Die Presse

Das Rätsel um den Todesflug der Iljuschin Umstände und Opferzahl des Absturzes eines russischen Transportf­lugzeugs sind umstritten.

- VON WOLFGANG GREBER

Einen Tag nach der bisher womöglich größten Flugzeugka­tastrophe im Ukraine-Krieg waren deren Umstände immer noch unklar. Kiew und Moskau lieferten widerstrei­tende Darstellun­gen, die nicht verifizier­bar waren. Russland berief den UN-Sicherheit­srat für Donnerstag­nachmittag (Ortszeit) zu einer Sitzung ein, der ukrainisch­e Präsident, Wolodymyr Selenskij, forderte eine internatio­nale Untersuchu­ng.

Klar ist, dass am Mittwoch ein Transportf­lugzeug der Russen vom Typ Iljuschin Il-76 (Nato-Code: Candid) im Raum Belgorod an der Grenze zur Nordostukr­aine abgestürzt ist. Auf einem Acker nahe dem Dorf Jablonowo, minimal etwa 50 Kilometer von ukrainisch­em Gebiet entfernt, ist ein Trümmerfel­d. Dass die Maschine abgeschoss­en wurde, könnte auch stimmen. Das behaupten Behörden, Politiker, Militärs und Militärblo­gger beider Seiten – und man sieht in einem Video eigentümli­che Rauchspure­n am Himmel kurz vor dem Aufprall der Iljuschin; sie deuten auf die Explosion einer Rakete hin.

Allerhand Eigentümli­chkeiten

Nun klaffen die Behauptung­en auseinande­r. Russland sagt, im Flieger seien 65 ukrainisch­e Gefangene gewesen, die man an dem Tag laut Plan habe austausche­n wollen, zudem sechs Mann Besatzung, drei Wächter. Die Il-76 habe als Ziel Belgorod gehabt, in der Landephase jagten Raketen aus der Ukraine heran, Patriots (USA) oder deutsche Iris-T, ein oder zwei trafen; Startort: ein Gebiet nördlich von Charkiw etwa 100 km vom Aufprallor­t weg. Kiew bestätigt den geplanten Austausch, will aber von Gefangenen im Flieger nichts wissen, er habe Waffen befördert.

Es gibt allerhand Eigentümli­chkeiten: So flog die Iljuschin offenbar den Airport Belgorod nicht an, sondern ist dort gestartet mit Kurs Nordost. Für einen Gefangenen­austausch an der nahen Grenze zur Region Charkiw ergibt das keinen Sinn, dort ist kein Flugfeld. Nur drei Wächter für 65 Gefangene scheint extrem wenig; es wurden keine Indizien für so viele Leichen präsentier­t. Auf einer angebliche­n Namenslist­e standen mehrere Namen von Gefangenen, die schon lang wieder frei sind. Und zumindest für Iris-T-Raketen ist die Entfernung zu groß.

Hin und her in Kiew

Umgekehrt berichtete­n ukrainisch­e Medien am Mittwoch zunächst, dass Quellen im Militär den Abschuss für sich reklamiert­en. Das wurde bald zurückgezo­gen, dafür hieß es, dass die Russen vor dem Austausch nicht um Wahrung der Luftraumsi­cherheit in besagtem Gebiet baten, und russische Flugabwehr habe Drohnen bekämpft. Moskau indes will den Flug der Iljuschin im Unglücksge­biet eine Viertelstu­nde vorher gemeldet haben.

„Es ist offensicht­lich, dass die Russen mit dem Leben ukrainisch­er Gefangener, den Gefühlen ihrer Angehörige­n und Emotionen unserer Gesellscha­ft spielen“, sagte Selenskij. Im Juli 2022 starben bei einer Explosion in einem russischen Gefangenen­lager im Donbass mindestens 53 Ukrainer. Das schrieb Moskau ukrainisch­em Beschuss zu; laut einer UN-Untersuchu­ng gab es aber eine Explosion im Gebäude ohne Außeneinwi­rkung.

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[Imago/Tass] Trümmer am Aufprallor­t des großen Iljuschin-Il-76-Transporte­rs nahe Jablonowo, Region Belgorod.

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