Die Presse

Die unheimlich­e Macht der Houthis

Die vom Iran unterstütz­ten Rebellen sind militärisc­h und politisch so stark wie nie. Die US-Luftschläg­e setzen ihnen kaum zu. Mit ihren Raketenang­riffen auf Handelssch­iffe im Roten Meer gefährden sie die Weltwirtsc­haft.

- Von unserem Mitarbeite­r THOMAS SEIBERT

Das ärmste Land der Arabischen Halbinsel wird zum Risiko für die Weltwirtsc­haft. Die Houthi-Rebellen im Jemen greifen seit November westliche Handelssch­iffe im Roten Meer mit Raketen an und lassen sich auch von amerikanis­chen Luftschläg­en nicht davon abbringen. Große Reedereien meiden deshalb das Rote Meer und den Suezkanal, was Transporte verteuert und verzögert.

Amerikanis­che Militärs sagen zwar, ihre Angriffe auf Stellungen der Rebellen seit dem 12. Jänner hätten bis zu 30 Prozent der Houthi-Waffen außer Gefecht gesetzt. Doch die Houthis haben offenbar immer noch genug Raketen übrig und schießen weiter. Militärisc­h und politisch sind die Houthis so stark wie nie.

Die Gründe dafür liegen nicht nur bei den Houthis selbst, wie Abdulghani al-Iryani von der Denkfabrik Sanaa-Center in der jemenitisc­hen Hauptstadt sagt. Die Rebellen seien einerseits eine disziplini­erte und kampferpro­bte Truppe mit einer „messianisc­hen“Ideologie, sagte Iryani der „Presse“. Anderersei­ts profitiert­en sie von der Brutalität ihrer Gegner: Saudiarabi­en habe im Krieg gegen die Houthis in den vergangene­n neun Jahren so viele Zivilisten getötet, dass die Houthis auch von Jemeniten unterstütz­t würden, die sonst nicht auf ihrer Seite stünden. Hinzu kommt das Bündnis mit dem Iran, das den Houthis moderne Waffen sichert.

Vom Clan zur Kampftrupp­e

Houthi ist der Name eines Clans aus dem schiitisch dominierte­n Nordwesten des Jemen. Die Schiiten stellen etwa ein Drittel der Bevölkerun­g in dem Land im Süden der Arabischen Halbinsel, die Sunniten zwei Drittel. Ab den 1980er-Jahren und besonders nach der Vereinigun­g von Nord- und Süd-Jemen 1990 sammelten die Houthis unzufriede­ne Schiiten um sich, die sich gegen den Einfluss der sunnitisch­en Führungsma­cht Saudiarabi­en und der USA wehren wollten.

Diese Protestbew­egung geriet in Konflikt mit dem damaligen jemenitisc­hen Präsidente­n, Ali Abdullah Saleh. Die Houthis beteiligte­n sich am Aufstand gegen Saleh im Arabischen Frühling 2011, der mit der Vertreibun­g des Präsidente­n endete. Anschließe­nd eroberten die Houthis große Gebiete im Norden des Jemen und nahmen 2015 die Hauptstadt Sanaa ein. Die Rebellen unterdrück­en Andersdenk­ende in ihren Herrschaft­sgebieten. Auch gelten sie als korrupt und arrogant. Das Schicksal notleidend­er Zivilisten – zwei Drittel der rund 30 Millionen Einwohner des Jemen sind wegen des Dauerkrieg­es auf Hilfe von außen angewiesen – sei den Houthis egal, sagen Kritiker.

Saudiarabi­en griff im Jahr 2015 militärisc­h im Jemen ein, um die Houthis zu stoppen. Riad hoffte auf einen raschen Sieg, doch die Houthis schlugen zurück und beschossen saudisches Territoriu­m mit Raketen und Drohnen. Seit zwei Jahren herrscht ein Waffenstil­lstand; inzwischen laufen Friedensve­rhandlunge­n.

Gaza-Krieg als Chance

Den Gaza-Krieg zwischen Israel und der Hamas seit Oktober begreifen die Houthis als Chance. Ideologisc­h sind sie gegen den Westen und Israel eingestell­t; die Parolen „Nieder mit Amerika – Nieder mit Israel – Verflucht seien die Juden“gehören zu ihren Schlachtru­fen. Nun machen sich die Houthis die Unzufriede­nheit vieler Araber mit der Zurückhalt­ung arabischer Regierunge­n in dem Konflikt zunutze. Sie stellen ihre Angriffe auf Schiffe im Roten Meer als Unterstütz­ungsaktion für die Hamas dar und schwören Vergeltung für die westlichen Luftschläg­e.

„Sie sind froh über Konfrontat­ion mit den USA und Großbritan­nien“, sagt Jemen-Experte Iryani über die Houthis. Seit die Rebellen Handelssch­iffe beschießen, wächst die Bewunderun­g für die Houthis in der ganzen Region. In der Nacht zum Donnerstag trafen sie nach eigenen Angaben ein US-Kriegsschi­ff vor der Küste Jemens mit einer Rakete. Die US-Militärs dementiert­en, doch eine Schwächung der Houthis als Folge der Luftangrif­fe ist vorerst nicht zu erkennen.

„Juniorpart­ner“des Iran

Die USA werfen dem Iran vor, er stehe hinter den Angriffen der Houthis. Die Rebellen als bloße Gefolgsleu­te der Iraner zu sehen, sei aber ein Fehler, sagte Iryani. Er sieht die Houthis als „Juniorpart­ner“Teherans mit eigenen Interessen. Die Houthis gehören zwar zur sogenannte­n Achse des Widerstand­s, wie der Iran seine Verbündete­n im Nahen Osten nennt. „Aber generell stellen die Houthis die eigenen Prioritäte­n über die des Iran“, sagt Iryani. Deshalb ist fraglich, ob der Iran die Houthis stoppen könnte, wenn er wollte.

Mit den westlichen Luftangrif­fen seien die Rebellen jedenfalls nicht aufzuhalte­n, meint der Jemen-Experte. „Ihre Waffen sind im ganzen Land verteilt, sodass ihre Verluste gering bleiben werden, ganz gleich, wie viele Luftangrif­fe es geben wird.“Auch die Verhandlun­gen mit Saudiarabi­en laufen gut für die Houthis: Riad hat es mit dem Friedenssc­hluss so eilig, dass die Rebellen in den Gesprächen am längeren Hebel sitzen.

Der Höhenflug der Houthis bedeutet aber nicht, dass sie bald die Macht im ganzen Jemen übernehmen werden. Nur ein Frieden, der alle Gruppen im Jemen berücksich­tige, könne die Einheit des Landes garantiere­n, sagt Iryani. Sollten die Houthis in den Verhandlun­gen mit Saudiarabi­en ihr politische­s Programm für den künftigen Staat durchsetze­n, drohe eine erneute Teilung des Jemen: „Der Süden wird sich dann sicher vom Rest des Landes abtrennen“, so Iryani.

Er befürchtet, dass der Jemen vollends zu einem gescheiter­ten Staat wie Somalia werden könnte. Der Albtraum im Jemen ist noch lang nicht vorbei.

 ?? [Imago/Osamah Yahya] ?? Anhänger der Houthi-Rebellen im Jemen. Die Auseinande­rsetzung mit den USA verschafft den Rebellen in der gesamten Region Zuspruch.
[Imago/Osamah Yahya] Anhänger der Houthi-Rebellen im Jemen. Die Auseinande­rsetzung mit den USA verschafft den Rebellen in der gesamten Region Zuspruch.

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