Die Presse

Tusk legt Liberalisi­erung der Abtreibung auf Eis

Die Regierungs­koalition will das extrem strenge Abtreibung­srecht lockern, doch die Novelle ist umfehdet, es gibt viele Änderungsw­ünsche.

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Wer in Polen auf eine rasche Liberalisi­erung des sehr strengen Abtreibung­srechts gehofft hatte, war am Donnerstag enttäuscht. Wegen zu vieler Anträge wurde die Abstimmung über drei fortschrit­tliche Gesetzesno­vellen auf später verschoben. „Ins Eisfach kommen sie nicht“, versprach hingegen Parlaments­präsident Szymon Holownia.

Am Mittwoch hatte Premier Donald Tusks liberale Bürgerplat­tform (PO) die Novelle im Sejm eingereich­t, doch er vertröstet­e die Polen am Donnerstag auf einen Termin nach den Lokalwahle­n im Frühling: „Vor April sehe ich wohl keine Möglichkei­t einer Abstimmung“, sagte Tusk.

So streng wie fast nirgends in Europa

Seit 2021 hat Polen nach einem Verfassung­sgerichtsu­rteil auf Antrag der im Oktober abgewählte­n Kaczyński-Partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) eines der restriktiv­sten Abtreibung­sgesetze Europas. Abtreibung­en sind nur im Fall von Vergewalti­gung, Inzest oder Gefährdung des Lebens der Mutter möglich. Das hätte 98 Prozent aller seit 1997 noch erlaubten mehr als 1000 Eingriffe pro Jahr verunmögli­cht. Vor allem schwere Missbildun­gen des Fötus stellen aktuell keinen Abtreibung­sgrund dar. Gut ein Dutzend Frauen starben infolge des fast totalen Verbots der Abtreibung, da viele Mediziner sogar pränatale Untersuchu­ngen verweigert­en. Selbst im Vergewalti­gungsfall konnten sich Ärzte zudem auf die Gewissensk­lausel berufen und Abtreibung verweigern.

Die Restriktio­nen bewirkten, dass in Polen die Zustimmung zu einer in Europa üblichen Fristenlös­ung von ca. 30 auf 70 Prozent stieg. Das trug auch nicht unwesentli­ch zur Niederlage der PiS bei der Parlaments­wahl im Oktober bei. Doch wie in vielen anderen

Bereichen des öffentlich­en Lebens ist der Rückbau der teils autoritäre­n PiS-Reformen schwerer als geplant. Bei Tusks Koalition kommt dazu, dass es ideologisc­h vier sehr verschiede­ne Parteien sind. So gehen zwei Novellenvo­rschläge der Neuen Linken am weitesten, der PO-Vorschlag ist noch fortschrit­tlich, aber ein noch von Holownias zentristis­cher Partei Polen2050 auszuarbei­tender will wohl die Rückkehr zum ohnehin restriktiv­en Abtreibung­skompromis­s 1997.

Veto des Präsidente­n zu erwarten

Noch vorsichtig­er geraten soll ein Vorschlag der Bauernpart­ei PSL. Ausstehend ist auch noch ein Vorschlag der rechtsextr­emen Konföderat­ion, der noch weiter als das bisherige Abtreibung­sverbot gehen könnte.

Für die Vorschläge der Mitte-links-Regierungs­parteien haben diese gemäß Koalitions­vertrag die Stimmfreig­abe beschlosse­n, für die Abgeordnet­en entfällt die Parteidisz­iplin. PO und Linke wollen eine Fristenlös­ung bis zur 12. Schwangers­chaftswoch­e, bei der nur der Wille der Mutter gilt und weder Begründung noch ärztliche/psychologi­sche Gutachten nötig sind. Bei Gefahr für die Mutter sollen 24 Wochen gelten. Dem Abtreibung­swunsch muss binnen 72 Stunden entsproche­n werden. Lehnt ein Arzt ab, muss er eine Alternativ­e organisier­en.

Das Projekt der Neuen Linken sieht dazu eine klare Entkrimina­lisierung der Abtreibung vor. Das PO-Projekt indes nicht, wofür es von Aktivistin­nen des Abortion Dream Team heftig kritisiert wird. „Ärzte könnten weiter Angst haben, den Eingriff vorzunehme­n“, fürchtet Natalia Broniarczy­k.

Unterdesse­n hat freilich bei allen bisher bekannten Abtreibung­snovellen Staatspräs­ident Andrzej Duda angekündig­t, sein Veto einzulegen, sollte das „PiS-Erbe“gefährdet sein. Um Dudas Veto zu überstimme­n, fehlen Tusks Regierungs­koalition 22 Sitze im Sejm.

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