Protestkultur in Österreich: Bewegen wir uns doch?
Mehr als 100 Protestveranstaltungen gegen Rechtsextremismus sind für das kommende Wochenende in Deutschland geplant. Und es sind nicht die ersten. Schon am vergangenen Wochenende sind in mehreren deutschen Städten Hunderttausende auf die Straßen gegangen. Kurz: Es geht rund im Nachbarland, seit das Treffen von hochrangigen AfD-Mitgliedern mit rechtsextremen Aktivisten und Identitären in Potsdam bekannt geworden ist, bei dem unter anderem Vertreibungspläne für Zuwanderer besprochen wurden.
Und in Österreich? Da blieb bisher alles vergleichsweise ruhig. Für heute, Freitag, ist nun eine erste größere Demonstration in Wien geplant. Unter dem Motto „Demokratie verteidigen!“werden sich die Teilnehmer ab 18 Uhr vor dem Parlament treffen. Auch in Innsbruck und Salzburg werden Kundgebungen stattfinden. Wenn aber von einer „größeren Demonstration“in Wien die Rede ist, dann heißt das, die Veranstalter erwarten 5000 bis maximal 10.000 Teilnehmer. Mit der Bewegung, die aktuell in Deutschland durch die Zivilgesellschaft geht, ist das nicht zu vergleichen. Wohl nicht einmal in Relation zur Größe des Landes.
Warum eigentlich? Woran liegt es, dass die österreichische Zivilgesellschaft erst dann gegen Rechtsextremismus auf die Straßen geht, wenn es die Deutschen vormachen? Dabei scheint die „Bedrohung“für die politische Linke in Österreich durch einen Wahlsieg der Freiheitlichen im Herbst und eventuell sogar durch einen Kanzler Herbert Kickl viel unmittelbarer bevorzustehen als ein Rechtsaußen-Triumph in Deutschland. Zwar hat die AfD auch dort in den Umfragen ordentlich dazugewonnen, die nächsten Bundestagswahlen liegen aber noch in weiterer Ferne. Gibt es in Österreich vielleicht einfach keine Protestkultur?
Dieselben Umfragezahlen, die Argument für den Protest gegen rechts in Österreich wären, sind gleichzeitig das Argument dagegen. Sie zeigen: Die Freiheitlichen und ihre Positionen sind bei den Wählern beliebt. Die Bevölkerung hat sich daran gewöhnt, dass die Blauen gerade bei der Migrationspolitik Extrempositionen vertreten. Auch, dass die FPÖ unter Herbert Kickl den Identitären nähersteht als je zuvor, ist alles andere als ein Geheimnis. Im Nachbarland ist die AfD hingegen noch neuer, heterogener, im politischen Spektrum noch nicht so etabliert. Vielleicht kommt auch daher der Optimismus der deutschen Zivilgesellschaft, die Entwicklung in diese Richtung durch ihren Protest einbremsen zu können. In Österreich fallen beim Thema Widerstand gegen rechts schnell zwei Stichworte: Lichtermeer und Donnerstagsdemonstrationen. Und tatsächlich gab es auch in Österreich eine Protestaktion, deren Größenordnung es mit jenen in Deutschland aufnehmen kann. Im Jänner 1993 versammelten sich auf dem Wiener Heldenplatz ganze 300.000 Menschen zu einem Lichtermeer, um gegen das „Anti-Ausländer-Volksbegehren“der Freiheitlichen unter Jörg Haider zu demonstrieren. Es sollte die größte Protestaktion in der Geschichte der Zweiten Republik werden. Unterzeichnet wurde