Die Presse

Weil die Eltern missionier­ten, spielte Jefta van Dinther die Schöpfungs­geschichte vor. Das prägt seine Arbeit als Choreograf. Heute ist er in Wien.

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Im Halbdunkel rotiert eine überdimens­ionale Drehscheib­e. Am Rand sitzen vereinzelt Menschen. Eine Frau singt. Ergreifend. Die Stimme trägt einen fort. In andere Sphären.

Ist es der Weltraum? Die Wüste? Oder doch der karge Vorplatz einer Fabrik? Denn schon bald haben die Performer in „Remachine“(Freitag und Samstag im Tanzquarti­er) einiges zu tun auf und mit dieser Scheibe, die alles dominiert und deren Anmutung sich mit jeder neuen Lichteinst­ellung ändert. Der niederländ­isch-schwedisch­e Choreograf Jefta van Dinther versteht es, Assoziatio­nen zu wecken.

„Ich mache Gesamtkuns­twerke“, sagt er. Für ihn sei Choreograf­ie etwas Allumfasse­ndes. „Ich befasse mich schon ganz früh im Entstehung­sprozess meiner Arbeiten nicht nur mit dem Körper und der Bewegung, sondern auch mit Lichtstimm­ungen, Klang und den Stimmen. Wie kann man alles räumlich in Beziehung bringen?“Das sei im Tanz eher unüblich, meint er. „Meist arbeitet man wochenlang im Studio und wenn man dann damit ins Theater kommt, kommt erst das Licht dazu.“

Durch die synästheti­sche Interaktio­n entstehen Stimmungsb­ilder, in die das Publikum eintauchen kann. Und soll. „Ich bin kein Konzeptkün­stler. Ich führe das Publikum mit den Mitteln der Ästhetik in eine Welt der Fantasie, der Fiktion oder im Fall von ,Remachine‘ auch in die harte Realität, in der wir leben“, sagt van Dinther. Es gehe ihm nicht um Eskapismus. „Ich möchte mit meiner Arbeit in eine Art Dialog mit der inneren Welt meiner Zuschauer treten. Ich biete ihnen eine Leinwand an, auf der jeder seinen eigenen Film abspielen kann.“

In „Remachine“geht es darum, inwieweit wir beherrsche­n, was wir selbst kreiert haben. „Geräte, die zu unserem Nutzen da sein sollten, haben auch eine Kehrseite: Sie beginnen, uns zu diktieren, zu beherrsche­n. Sie machen abhängig. Süchtig.“Sind die Performeri­nnen und Performer noch autonome Wesen? Oder Zahnräder in einem System, das von anderen angetriebe­n und regiert wird?

Bald stimmen alle auf der Bühne in den Gesang mit ein. Das erinnert an die Worksongs der Sklaven. „Die Stimmen sind der Kontrapunk­t: Sie schaffen die Verbindung zwischen den Menschen.“Wer singt, kann länger gut durchhalte­n. „Ich habe eher an archaische Maschinen gedacht als an einen glatten Computer“, erzählt van Dinther über den Entstehung­sprozess von „Remachine“.

Irgendwann hängen die Protagonis­ten mit Seilen gesichert am Rand der Scheibe. Absturzgef­ährdet wie an einer Klippe? Oder ist es nicht doch mehr ein Schweben? Den Blick in die Zukunft gerichtet. „Der Körper gehört den Maschinen, der Arbeit. Aber die Stimme formt eine Gemeinscha­ft. Sie ist so etwas wie die Seele und berührt die Spirituali­tät.“

Und davon versteht van Dinther einiges. „Ich habe Performanc­e beim Missionier­en gelernt. Meine Eltern waren Missionare. Sie waren auf der ganzen Welt unterwegs – in Europa, Japan, Hongkong, auf den Philippine­n – und haben auf der Straße kleine Stücke aufgeführt, um die Leute aufmerksam zu machen und in ein Gespräch über Gott und Jesus zu verwickeln.“Schon mit sechs, sieben Jahren habe er mitgespiel­t. Vor allem die Schöpfungs­geschichte.

„Das ist wie Amateurthe­ater – aber wir hatten manchmal 400 Zuschauer oder mehr.“Es gebe noch immer viele Verbindung­en von damals zu seinem Leben heute. Und doch sei seine Arbeit etwas ganz anderes: „Ich tue das nicht im Namen Gottes. Ich tue es im Namen der Kunst.“

Gern auch in einem ehemaligen Gotteshaus: Mit „Unearth“, bei dem er im Rahmen des Donaufesti­vals (am ersten Wochenende, 19.–21. 4.) selbst auftreten wird, kommt van Dinther in die Dominikane­rkirche Krems. Das passt wunderbar, mutet doch der Gesang in diesem Stück an wie ein Gebet.

Es sei eine „ziemlich extreme Kindheit“gewesen, erinnert sich van Dinther. Ständige Schulwechs­el. Neue Umgebungen. Aber einmal im Jahr kam die Familie zurück nach Schweden. Heute arbeitet der 1980 in Utrecht geborene Choreograf in Berlin und Stockholm. „Ich habe auch als Erwachsene­r lang das Nomadenleb­en meiner Eltern geführt.“Erst jetzt lässt er sich nieder. „Ich habe ein Studio. Einen Hund. Eine Wohnung. Ich habe das Bedürfnis, anzukommen.“Und wie hält er es mit der Religion? „Ich war lange Zeit gegen Religion. Gegen das Christentu­m. Aber ich würde schon sagen, dass ich ein spirituell­er Mensch bin. Und ich verstehe, welche Kraft der Glaube schenken kann.“

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