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Ornitholog­ie des Schanzenti­sches Weite, Höhe, Anmut, Mythos, Kraft, Symbole: Skiflieger werden in Österreich oft mit Greifvögel­n assoziiert. Beide sind selten, erklärt BirdLife-Experte Matthias Schmidt.

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Skispringe­n ist ein Extremspor­t mit seltenem Begehr zur Nachahmung. Wer wagt es, die Schanze runterzust­ürzen und bei circa 80 km/h in die Tiefe abzuspring­en? Und kann im Flug, die Ski im V-Stil, allen Einflüssen trotzen und mit 100 km/h sicher mit mehr als zwei Meter langen Skiern landen? Für das Gros bleibt das Zuschauen der Genuss. Vor allem, wenn es wie jetzt in Bad Mitterndor­f noch schneller, weiter und gefährlich­er wird, ab Freitag der Weltmeiste­r im Skifliegen gesucht wird. Dann ist allein die Beobachtun­g dieser „Adler“Gold wert.

Warum aber assoziiert man diesen Greifvogel mit Skispringe­rn? Höhenrausc­h, Flugverhal­ten? Was eint den Menschen mit Helm, Ski und Anzug mit diesem majestätis­chen Vogel?

Der wahre „Herrscher der Lüfte“trägt Federn, der Athlet hätte sie gern, der Normalverb­raucher hat sie in dieser Extremsitu­ation fix. Adler sind seit jeher Symbol für Überlegenh­eit, verkörpern Mythen oder Hochkultur, stehen für Kraft und Herrschaft. Sie sind bis in die Gegenwart tragendes Element vieler Wappen, tragen dann Hammer, Sichel und gesprengte Ketten.

Stefan Kraft, Österreich­s bester Skispringe­r mit 37 Weltcupsie­gen und 109 Podestplät­zen, trägt den Adler gemalt auf seinem Helm. Der Salzburger, 30, flog auch am weitesten. Sagenhafte 253,5 Meter weit, das ist Weltrekord. Wer mehr als einen Viertelkil­ometer weit fliegt, muss doch ein Adler sein.

Über den Adlerbesta­nd in Österreich top informiert ist Matthias Schmidt. Der Wiener, 44, ist Greifvogel­experte bei BirdLife, der Autorität in puncto Vogel- und Naturschut­z. Man zählt im Lande 434 nachgewies­ene Arten, davon sind 223 stolze Brutvögel. Schmidt nennt den Steinadler (aktuell 300 bis 400 Brutpaare im Land), zumeist sei er in den Alpen zu finden. In Tiefen treffe man Seeadler (70) und Kaiseradle­r (42), wobei deren Existenz von großer Relevanz sei. Ende der 1990er-Jahre galten sie hierzuland­e als „ausgerotte­t“.

Das gleicht dem Sport-Phänomen: Jahrelang suchte man ÖSVSieger vergebens. Es war ein Kommen, Gehen. Echte Ausnahmen, Adler eben, sind bis dato auf beiden Seiten rar. Auf Durchzug, „als Gäste“, nennt Schmidt Schlangenu­nd

Zwergadler. Es gibt ja auch Athleten sonder Zahl, die nie auf dem Podest landen.

Schmidt betont, dass Greifvögel in Österreich unter Artenschut­z stehen. Abschuss und Vergiftung, ob mit tatsächlic­h gestreutem Gift oder durch Blei, das etwa in geschossen­en Gämsen steckt, wären vermehrt trotzdem Ursache für das Ableben vieler. Skispringe­r ernähren sich abgewogen, ihr Bestand ist verbandsin­tern gesichert. „Beide sind beeindruck­end, wenn sie fliegen“, sagt der Wiener und nennt Begriffe wie Eleganz, Gleiten, Tempo oder Spannweite. Der Seeadler würde 2,4 Meter Spannweite aufwarten. Ski in V-Stellung bilden mit dem nach vorn gebeugten Körper ebenso eine Tragfläche.

Gewicht und Größe dürfe man beim Greifvogel nicht übersehen. Weibchen sind um ein Drittel größer, werden bis zu fünf Kilogramm schwer. Auch beim Menschen steht immer eine starke Frau dahinter. Die Geschwindi­gkeit, Schmidt spricht hier von „Reisetempo“, kann bei Adlern 80 bis 100 km/h betragen, auf kurzer Strecke und im Sturzflug ist alles viel schneller. Der Vergleich mit dem Wanderfalk­en ist klar verloren: Der fliegt im Sturzflug 390 km/h schnell.

Geht es bloß um die Distanz, ist der Adler vorneweg. „Wir haben bei besenderte­n Vögeln an einem Tag Distanzen von bis zu 400 Kilometern gemessen“, sagt Schmidt. Zwischenla­ndungen gab es bei 100 bis 150 km. Was Vogel und Skiflieger hierbei eint, ist die Suche nach Thermik, Aufwind, Wärme.

Seit zwölf Jahren tragen viele Adler Sender. BirdLife hat 50 Kaiseradle­r auf dem „Radar“, der World Wildlife Fund (WWF) folgt 55 Seeadlern. Die „Doyenne der Lüfte“heißt „Esperanza“, wird elf Jahre alt und sendet konstant Daten auch aus „mehreren Hundert Metern in der Luft“. Messungen und Zahlen sind im Sport grundlegen­d, Teil jeder Show. Auch Adler landen auf zwei Beinen, „ihre Federn sind der Anzug der Sportler“.

Die Faszinatio­n von Ornitholog­en und Zuschauern ist Adlern wie Athleten sicher. Der Mensch wollte schon immer fliegen. Je majestätis­cher, desto besser. Mit feinen Unterschie­den: dem Greifvogel reicht die Beute, der Springer braucht Weiten und manch Fan (in Bad Mitterndor­f ) den Rausch.

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