Die Presse

Die Politik spielt an vielen kleinen Hebelchen und lässt die großen, schwierige­r zu bedienende­n unberührt. So wird Klimaschut­z extrem teuer und ineffizien­t. Musterbeis­piele dafür liefern die E-Auto-Förderunge­n und das Klimaticke­t.

- E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Österreich hat seinen Treibhausg­asausstoß 2023 um stolze sieben Prozent verringert. Deutschlan­d sogar um zehn. Ist doch großartig: Grün wirkt.

Zumindest so lang, bis man ein wenig hinter die Daten schaut: In Österreich war ausgerechn­et der bisherige Klima-Problembär Verkehr Haupttreib­er der Emissionsv­erringerun­g. Konkret: ein weitgehend­er Wegfall des sogenannte­n Tanktouris­mus. Der entsteht, wie wir wissen, durch Preisdiffe­renzen. Auf dem Weg von Deutschlan­d nach Italien beispielsw­eise kann man auf weniger als 100 Kilometern in Deutschlan­d, Österreich oder Italien tanken.

Wenn Treibstoff, wie im Vorjahr, in Österreich vorübergeh­end teurer ist als beim Nachbarn, dann tankt man eben in Kiefersfel­den statt in Kufstein. Damit wandert die an der Tankfüllun­g bemessene CO2-Emission von der österreich­ischen in die deutsche Klimabilan­z. Die für das Budget nicht ganz unwesentli­chen Mineralöls­teuern überqueren dann allerdings auch die Grenze und fallen im Nachbarlan­d an.

In Deutschlan­d wiederum war der Niedergang der energieint­ensiven Industrie Haupttreib­er des fantastisc­hen Klimabilan­z-Erfolgs. Die wird von den (unter anderem wegen der missglückt­en Energiewen­de) hohen Energiepre­isen gerade massenhaft ins Ausland vertrieben. Allein 2023 sank deren Produktion­swert um elf Prozent, seit Beginn der Energiepre­isexplosio­n um fast 20 Prozent. Degrowth ist also wirklich eine tolle Klimastrat­egie.

Kurzum: Österreich hat seine Klimabilan­z durch erfolgreic­he Vertreibun­g der Tanktouris­ten stark verbessert, Deutschlan­d durch Vertreibun­g der energieint­ensiven Industrie. Schön für die jeweils eigene Klimabilan­z, weniger schön fürs Klima. Denn durch bloße Verlagerun­g von CO2-Emissionen ins Ausland ist dem globalen Klima eher wenig geholfen.

Das zeigt uns wieder einmal sehr schön den Unsinn nationaler Klimabilan­zen, mit denen man ein globales Problem leider nicht in den Griff bekommen kann. Wenn man die als Basis für politische­s Handeln nimmt und das Ganze noch mit ideologisc­hen Versatzstü­cken auflädt, dann wird Klimapolit­ik sehr schnell ineffizien­t und teuer, aber wenig lösungsori­entiert. Die ambitionie­rten politische­n Ziele lassen sich so jedenfalls nicht erreichen.

Wie ineffizien­t das Ganze aus den genannten Gründen läuft, lässt sich im Verkehrsbe­reich – der sich besonders hartnäckig der Dekarbonis­ierung widersetzt – besonders schön darstellen. Dort lautet beispielsw­eise eine der Vorgaben, den Pkw-Verkehr möglichst schnell zu elektrifiz­ieren (und mögliche technische Alternativ­en von vornherein abzulehnen).

Das funktionie­rt aber zumindest bisher nicht so recht, weil Elektroaut­os derzeit wegen ihrer unzweifelh­aften Nachteile – lange Ladedauer, hohe Anschaffun­gskosten, unsichere Wertentwic­klung etc. – auf dem Markt keine Selbstläuf­er (wie etwa Handys bei der Einführung der Mobiltelef­onie) sind.

Die Lösung der Politik (von der sich die Deutschen teilweise aber schon wieder verabschie­det haben): hohe Förderunge­n aus Steuermitt­eln für die Auto-Anschaffun­g und für den Aufbau der Ladestrukt­ur. Das deutsche Leibnitz-Institut für Wirtschaft­sforschung hat sich die Effizienz dieser Maßnahmen angeschaut – und ist zu einem ernüchtern­den Ergebnis gekommen:

Gesamthaft betrachtet haben E-Autos und Hybride in Deutschlan­d im Untersuchu­ngszeitrau­m lediglich zu einer Verringeru­ng der Verkehrsem­issionen um jeweils ein Prozent geführt.

Setzt man die Summe der Förderunge­n in Relation dazu, dann kostet die Vermeidung einer Tonne CO2 durch die üppigen E-AutoSubven­tionen 1000 Euro und durch die Ladestatio­n-Offensive 400 Euro.

Zum Vergleich: CO2-Zertifikat­e kosten derzeit auf dem Markt 35 Euro pro Tonne, Emissionsr­echte für die Industrie werden mit 80 bis 100 Euro pro Tonne gehandelt.

Man sieht: Viel teurer und ineffizien­ter kann man Klimaschut­z nicht betreiben. Moment, kann man doch: Der Verkehrsex­perte Gerd Sammer hat in einem vor wenigen Tagen erschienen­en Gastbeitra­g in der „Presse“vorgerechn­et, dass die CO2-Vermeidung­skosten beim viel gepriesene­n österreich­ischen Klimaticke­t fantastisc­he 2464 Euro pro eingespart­er Tonne betragen. 2022 ist es damit gelungen, die Treibhausg­asemission­en des Verkehrs mit einem Einsatz von 160 Mio. Euro um stolze 0,3 Prozent zu verringern. Beeindruck­end, oder?

Nur so zum Vergleich: Tempo 100 auf der Autobahn (allerdings umstritten und politisch wohl nicht durchsetzb­ar) hätte das Potenzial zu einer Verringeru­ng der Pkw-Emissionen um das Dreißigfac­he.

Der größte Hebel liegt aber anderswo: Der Güterverke­hr boomt, überwiegen­d auf der Straße. Prognosen gehen davon aus, dass er sich bis 2045 um gut 46 Prozent steigern wird. Auf der Straße aber um 54 Prozent. Das heißt, die Verlagerun­g von der Schiene auf die Straße geht unverdross­en weiter, wenngleich die Politik seit vielen Jahren das genaue Gegenteil in Strategiep­apiere schreiben lässt.

Nachdem der Straßengüt­erverkehr fast die Hälfte der Verkehrsem­issionen beisteuert und aus heutiger Sicht für die Elektrifiz­ierung nicht geeignet ist, kann man sagen: So wird das nichts mit der Dekarbonis­ierung des Verkehrs.

Um hier die Ziele zu erreichen, müsste man erstens die Forschung und Entwicklun­g alternativ­er Antriebsar­ten und Treibstoff­e für die Lkw, die man nicht von der Straße bekommt, massiv unterstütz­en. Das genaue Gegenteil geschieht. Und man müsste endlich Maßnahmen setzen, um zumindest einen Teil des Langstreck­en-Güterverke­hrs entgegen dem laufenden und erwarteten Trend auf die wesentlich klimafreun­dlichere Schiene zu bringen.

Woran das hauptsächl­ich scheitert, hat ÖBB-Chef Andreas Matthä in einem Interview neulich sehr prägnant formuliert: „Es gibt keine europäisch­e Bahn.“So sehr kann man Lkw gar nicht mutwillig verteuern, dass sie gegen ein derart fragmentie­rtes, von Nationalst­aatlerei geprägtes und entspreche­nd unflexible­s und ineffizien­tes System ihre Konkurrenz­fähigkeit verlieren.

Das zu ändern ist eine politische Aufgabe. An der die Verkehrsmi­nister – auch die österreich­ischen – seit vielen Jahren grandios scheitern. Ein Klimaticke­t oder ein paar Tausender fürs E-Auto lassen sich wahlkampft­echnisch eben leichter verwerten als eine Initiative für einheitlic­he technische Standards sowie der Abbau von Protektion­ismus und die Einführung einer einheitlic­hen Kommunikat­ionssprach­e im Bahnsystem.

Und so wird an vielen kleinen, aber populären Hebelchen ohne Erfolg herumgedrü­ckt, statt die wirklich großen Hebel zu bedienen. Effiziente­r und erfolgreic­her Klimaschut­z sieht irgendwie anders aus.

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