Die Presse

Teuerung kostet die Energiewen­de viele Fans Die Akzeptanz der Österreich­erinnen und Österreich­er für Energiewen­de, Elektroaut­os und mehr Klimaschut­z sinkt drastisch. Geldsorgen überwiegen bei den Menschen. Die Verbotspol­itik schreckt zusätzlich ab.

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Die Energiewen­de ist in Österreich nicht mehr zu übersehen. Im Osten des Lands stehen mancherort­s Windräder, so weit das Auge reicht, die Zahl der Solaranlag­en hat sich in den vergangene­n zwei Jahren gar verdoppelt. Die Sorge, von teurem, russischem Gas abhängig zu bleiben, hat die Österreich­erinnen und Österreich­er zuletzt so stark in die grüne Wende investiere­n lassen wie selten zuvor. Doch das Pendel schlägt um, so das Ergebnis einer Studie der Wirtschaft­suniversit­ät Wien (WU). Die Zustimmung zu mehr Öko-Kraftwerke­n und Klimaschut­z nähert sich einem Tiefpunkt.

Seit 2015 fragt die WU gemeinsam mit Deloitte Österreich und der Wien Energie jedes Jahr 1000 Österreich­erinnen und Österreich­er, was sie von der Energiewen­de halten. Jahrelang blieb die Akzeptanz der Bevölkerun­g etwa für neue Wind- und Solarkraft­werke in unmittelba­rer Nähe zum eigenen Wohnort zumindest stabil. 2023 aber kam der Rückschlag. Nur noch 63 Prozent würden zur Sicherung der Stromverso­rgung ein Windkraftw­erk in ihrer Nähe dulden, Solarenerg­ie ist wenigstens für 83 Prozent noch zumutbar (jeweils minus sechs Prozentpun­kte). Die Zustimmung zu großen Freifläche­n-PV-Anlagen ist überhaupt auf den bis dato niedrigste­n Wert gefallen. „Diese Ergebnisse sind dramatisch“, sagt Studienaut­orin Nina Hampl von der WU.

Das stimmt umso mehr, als der große Umbau des Stromsyste­ms in Österreich erst bevorsteht. Nach Berechnung­en der Boku müssten hierzuland­e 770 neue Windkraftw­erke, 50 Quadratkil­ometer Solarpanee­le und fünfmal das Wasserkraf­twerk Freudenau errichtet werden, um die 2030er-Ziele der Regierung zu erfüllen. Will Österreich auch seine Elektroaut­os mit eigenem Strom versorgen, sind noch einmal 1100 Windräder und 58 Quadratkil­ometer Solarkraft­werke notwendig.

Die Chancen dafür haben sich angesichts der aktuellen Stimmungsl­age in der Bevölkerun­g nicht gerade verbessert. 80 Prozent der Emissionen kommen aber ohnedies nicht aus dem Stromsekto­r, sondern durch Heizen und Verkehr. Aber auch hier sind die Menschen weniger bereit, sich zu verändern, als noch vor einigen Jahren. Nur noch jeder Zweite kann sich vorstellen, Geld für eine CO2-ärmere Heizung in die Hand zu nehmen. Auch von der politisch angeheizte­n Euphorie rund um Elektroaut­os ist in der Bevölkerun­g nur noch wenig zu spüren. Nur noch gut jeder Dritte überlegt ernsthaft, ein E-Auto zu kaufen. Im Vorjahr waren es noch 43 Prozent. Auffällig ist die Entwicklun­g bei den Jungen zwischen 20 und 29 Jahren: Hier steht das Elektroaut­o nur noch bei 49 statt bei 63 Prozent aller Befragten auf dem Einkaufsze­ttel. Wer sich doch für einen Strombolid­en entscheide­t, tut das nicht mehr, weil die Autos umweltfreu­ndlicher sind, sondern weil der Staat mitzahlt.

„Die Teuerung hat eine Zäsur bewirkt“, sagt Gerhard Marterbaue­r, Partner bei Deloitte Österreich. Die hohen Kosten für Energie waren auch der mit Abstand größte Beweggrund für die Menschen, 2023 weniger Sprit und Strom zu verbrauche­n. Umweltund Klimaschut­z spielten nur noch eine untergeord­nete Rolle.

Damit bestätigt die Studie, was andere Umfragen im Wahljahr 2024 bereits nahegelegt haben: Klimaschut­z wird zwar weiterhin als drängendst­es Thema der kommenden zwanzig Jahre erkannt, werde aber zunehmend von kurzfristi­gen, ökonomisch­en Sorgen überlagert. Dem müsse die Politik stärker Rechnung tragen, forderte der frühere ÖVPBildung­sminister Heinz Faßmann jüngst im Gespräch mit der „Presse“. „Die Energiewen­de ist keine technische und keine energetisc­he Frage mehr, sondern eine soziale. Das hat man am Anfang der Diskussion zu lang negiert“, sagte er. Auch Verbund-Chef Michael Strugl forderte kürzlich mehr Ehrlichkei­t in der Debatte ein: „Man soll nicht so tun, als wäre dieser grüne Strom billig oder gratis, weil Sonne und Wind keine Rechnung schicken.“Auch der Umbau des Kraftwerks­parks und der Netze müsse bezahlt werden. Langfristi­g sei „Leistbarke­it und der Ausbau der Erneuerbar­en aber kein Widerspruc­h“, betont Wien-Energie-Chef Michael Strebl. Nur müsse das (auch von der Politik) besser erklärt – und umgesetzt – werden.

„Verbote werden generell nicht goutiert“, verweist Gerhard Marterbaue­r auf weitere Ergebnisse der Umfrage. Nur jeder Fünfte ist für das Verbrenner-Aus. Auch die CO2-Steuer stößt naturgemäß auf wenig Gegenliebe. Hier könne die Politik gegensteue­rn, indem sie Reizworte wie „Steuer“vermeide, so Studienaut­orin Nina Hampl. Zwei Drittel aller Befragten wünschten sich grundsätzl­ich mehr (finanziell­e) Anreize und weniger Regeln, um ihren Umstieg auf ein klimafreun­dliches Leben zu forcieren.

Österreich­s Regierung hat mit dem Erneuerbar­e-Wärme-Paket bereits auf diese Stimmungsä­nderung reagiert: Statt des geplanten Verbots für Gasheizung­en gibt es jetzt Milliarden­förderunge­n. Ob das bei den kommenden Wahlen gebilligt wird, bleibt offen. Für die Umfrage der WU (durchgefüh­rt im Herbst 2023) kam die Adaption der bisherigen Klimapolit­ik jedenfalls zu spät.

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