Als #MeToo in der Skination ankam Ex-Skirennläuferin Nicola Werdenigg sorgte für Aufruhr, als sie 2017 über Missbrauch im Skisport berichtete. Mit „Persona Non Grata“kommt ihr Fall ins Kino. Ein Film mit Schwächen.
Andrea Weingartner (Gerti Drassl) mag die Kälte an den Füßen. Sie macht sich Fußbäder mit Eiswürfeln in ihrer erstaunlich abgewohnten Wiener Wohnung. Vor der verschneiten Berghütte in Tirol zieht sie Schuhe und Socken aus, geht barfuß über die Freiluftstiege. Sollen die kalten Füße eine Metapher sein? Oder sind sie ein echter Spleen der realen Frau, die hinter der Filmfigur steckt – der ehemaligen Skirennläuferin Nicola Werdenigg?
Der Film über ihren Fall, „Persona Non Grata“, gibt darüber keine Auskunft. Er handelt von den Wochen und Monaten vor und nach dem 20. November 2017. An diesem Tag erschien im „Standard“ein Artikel, in dem sie über sexuelle Übergriffe im Skisport berichtete – und über ihre Vergewaltigung. Mehr als 40 Jahre nach dem Missbrauch brach sie ihr Schweigen. Warum, nach so langer Zeit?
In der filmischen Nacherzählung des realen Falls sind es drei Erfahrungen, die sie zu ihrer Entscheidung hinführen. „Persona Non Grata“setzt mit dem Tod von Weingartners Ehemann ein. Sie wirkt, als wäre sie ihres Schutzes beraubt. Nur Stunden nach der Trauerfeier belästigt ein Nachbar (Andreas Patton) die nunmehrige Witwe.
Die #MeToo-Bewegung ist in den Schlagzeilen und erreicht auch den mächtigen, starren ÖSV, der hier nur „der Verband“genannt wird. Eine Freundin, die beim ÖSV arbeitet, wünscht sich, dass Weingartner die Öffentlichkeitsarbeit zum Thema für den Verband übernimmt. Das Vorhaben scheitert, weil die Männer im ÖSV das Thema gar nicht angreifen wollen – vor allem der gesichtslos bleibende Präsident (in echt war das damals Peter Schröcksnadel): „Es braucht keine Schneeräumung, wenn’s nicht geschneit hat“, sagt er. „Denn aus einem Schneeball kann schnell eine Lawine werden.“(Sehr, sehr viele Schnee-Metaphern durchziehen den Film.)
Dieser Präsident muss „schneeblind“sein. Gerade erst hat ein Mädchen seiner Trainerin von Übergriffen erzählt – und die Vorwürfe schnell zurückgezogen, nachdem der Verband mit seinen Eltern gesprochen hatte. Vielleicht habe „das Madl“die Tat erfunden, meint die Trainerin lakonisch. Der alte Vorwurf, dass sich Missbrauch oft nur in der Fantasie junger Frauen abspiele, wird zum Schlüsselmoment. Er bewegt Weingartner dazu, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Gerade hier, in diesem entscheidenden Augenblick, weicht Regisseur Antonin Svoboda von seiner zurückhaltenden Bildsprache ab. Er lässt seine Hauptfigur in hell erleuchteten Nebel
treten, Perchten rennen an ihr vorbei. Die bildliche Überhöhung ins Transzendentale nimmt der Entscheidung leider Gewicht.
Weingartner und der Film betonen stets das Systematische dieser Übergriffe, die in ein hierarchisches Machtsystem eingebettet sind – auf Kosten des individuellen Nachspürens. Während in Maria Schraders fantastischem #MeToo-Film „She Said“zwei „New York Times“-Journalistinnen Fall um Fall aufdecken und so ein Missbrauchssystem Schicht für Schicht freilegen, wird „Persona Non Grata“allzu schnell überdeutlich.
Schon in den ersten fünf Minuten wird Weingartner von ihrer Mutter (schablonenhaft : Krista Posch) vorgeworfen, sportlich erfolgreicher gewesen zu sein, als sie „die Beine noch zusammengehalten hat“. Bei einer Fernsehdiskussion bekommt Weingartner alle gängigen Vorwürfe gegen Opfer zu hören: Sie lüge, suche bloß Ruhm, sei zu spät an die Öffentlichkeit gegangen, überhaupt sei das früher alles normal gewesen. Daheim in Tirol bricht derweil ihr greiser Vater (Peter Mitterrutzner) vor dem TV-Bildschirm zusammen.
Hauptdarstellerin Drassl (mit tirolerischem Einschlag) gelingt es, das Trauma spürbar zu machen, das eben nicht mit der Zeit heilt. Sie wird aber eingeengt vom Drehbuch, das mittels Nebenfiguren und Nebenhandlungen mehr erzählen will als ein Einzelschicksal.
Weingartners schwangere Tochter Sara (Maya Unger) kommt etwa die Aufgabe zu, das Traumatisierende am ÖSV-System auch an Männern zu recherchieren (anhand des Falls eines Schulkollegen ihrer Mutter, der Suizid beging). Ein anderer Ex-Schulkollege (mit Verve gespielt von Christoph Grissemann) bleibt uneinsichtig, sein Hang zum Alkohol lässt sich als Folge eines Traumas interpretieren. Weingartners Mutter will nichts hören von „diesem Opfer-Getue“.
So verschiebt sich der Fokus weg von der Hauptfigur und nimmt dem berührenden Film Intensität. Bildlich gesprochen: Dieses Fußbad ist nicht kalt genug.