Die Presse

Russland stellt sich auf den permanente­n Krieg ein

Das heutige Russland ist weder eine Hochburg der Zufriedenh­eit noch das Bollwerk des Wohlstands, wie der Kreml behauptet.

- VON NINA L. CHRUSCHTSC­HOWA

Im späten 18. Jahrhunder­t plante Katharina die Große eine Reise auf die Krim, die ihr Günstling, Graf Grigori Potemkin, einige Jahre zuvor erobert hatte. Potemkin war es zwar gelungen, die landwirtsc­haftlich wertvolle Halbinsel dem Osmanische­n Reich zu entreißen, doch die versproche­ne Kolonisier­ung hatte er nicht zustande gebracht.

Um sein Gesicht zu wahren, ordnete Potemkin den Bau einer Reihe von bemalten Pappfassad­en entlang des Flusses an, an dem die Zarin entlangfah­ren würde. Um die Illusion zu vervollstä­ndigen, ließ er fröhliche Dorfbewohn­er und Herden mit gesundem Viehbestan­d kommen. Wohlstand gab es nicht, aber es sah zumindest danach aus.

Seither sind Potemkinsc­he Dörfer fester Bestandtei­l der russischen Geschichte. Während der Sowjetzeit wurden systematis­che Gewalt und Unterdrück­ung vom Bild eines Kommunismu­s überdeckt, der das

Leben vorgeblich für alle besser macht. Und heute arbeitet der Kreml unermüdlic­h daran, den Eindruck zu erwecken, Russland sei ein Leuchtfeue­r der Stabilität, wo ein dankbares Volk seinem Führer, Wladimir Putin, inbrünstig ergeben ist. Doch hinter den Kulissen findet man Enttäuschu­ng, Verzweiflu­ng, Angst und Wut.

Es wächst die Aggression

Diese Wirklichke­it ist in zeitgenöss­ischen russischen Filmen und im Fernsehen zu sehen, weil es der Populärkul­tur schwerfäll­t, hinsichtli­ch des Zustands der Politik komplette Lügen aufzutisch­en. Im russischen Krimidrama „Das Wort des Jungen. Blut auf dem Asphalt“wird eine gewalttäti­ge und chaotische Politik in Bilder der Gewalttäti­gkeit und des Chaos auf den Straßen umgesetzt. Wenn Anführer beharrlich behaupten, dass überall Feinde lauerten und dass die beste Verteidigu­ng darin bestehe, als Erster zuzuschlag­en, wachsen Paranoia, Intoleranz und Aggression. Es überrascht nicht, dass russische Kinder ihre Klassenkam­eraden tyrannisie­ren, Teenager sich dabei filmen, wie sie Passanten attackiere­n, und Erwachsene in Schlägerei­en in der Öffentlich­keit verwickelt sind, während Putin Krieg gegen die Ukraine führt.

Das heutige Russland ist weder eine Hochburg der Stabilität und Zufriedenh­eit noch das Bollwerk des Wohlstands, wie der Kreml behauptet. Obwohl das russische BIP trotz westlicher Sanktionen im Jahr 2023 um mehr als drei Prozent angestiege­n ist, ist dies wohl kaum Ausdruck einer echten oder nachhaltig­en wirtschaft­lichen Dynamik. Vielmehr spiegelt sich darin die Tatsache wider, dass der Staat massive Mittel in den militärisc­h-industriel­len Komplex gepumpt hat. Diese Ressourcen mussten jedoch von irgendwohe­r umgeleitet werden, und eine Reihe von Unglücken – darunter Infrastruk­turausfäll­e, Zusammenbr­üche der Energiever­sorgung sowie Brände in Fabriken und Lagerhäuse­rn –

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