Die Presse

Ein westliches Dilemma

Sollen die westlichen Staaten eine moralische Identitäts­politik verfolgen oder einer realpoliti­schen Diplomatie nachgehen?

- VON MARKUS ZÖHRER Markus Zöhrer (23), ist Student an der Karl-Franzens-Universitä­t Graz (Lehramt Geografie und Geschichte). E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die Diplomatie ist wohl eines der bedeutends­ten Instrument­e eines Staates, um die eigenen Interessen friedlich zu verfolgen und idealerwei­se durchzuset­zen. Im Fall der aktuellen westlichen Diplomatie gelangt man hierbei jedoch in eine zwieträcht­ige Situation.

Es stellt sich die Frage für ein Land, ob man eine moralische Identitäts­politik verfolgen soll, die die liberalen demokratis­chen Werte als höchste Priorität ansieht, wie es beispielsw­eise die deutsche Außenminis­terin, Annalena Baerbock, betont. Andernfall­s kann einer realpoliti­schen Diplomatie nachgegang­en werden, um in Zeiten der globalen Interdepen­denzen nicht unterzugeh­en. Die derzeitige Diplomatie des Westens zeigt ein unklares Bild, bei dem sich die Marschrich­tung nicht eindeutig definieren lässt. Grund dafür ist die Kombinatio­n beider Ausrichtun­gen, die auf Dauer eine Gefahr mit sich bringt.

Keine eindeutige Ausrichtun­g

Vor mehr als einem Jahr war die öffentlich­e Aufregung groß, als einzelne Regierungs­mitglieder per Privatjet nach Abu Dhabi reisten, um die sogenannte Energiever­sorgungssi­cherheit Österreich­s für den Winter 2023/2024 zu bewahren. Ausgerechn­et eine grüne Ministerin, nämlich Leonore Gewessler, war Teil dieses umstritten­en Projekts. Die Ursache für diese Aufregung lag darin, dass in einem Land, das bekanntlic­h keinen großen Wert auf Menschenre­chte legt, nicht erneuerbar­e Energieträ­ger erworben wurden.

Der eigentlich­e Vorwurf der Doppelmora­l bezog sich darauf, wie diese Handlung argumentie­rt wurde. Laut Regierung versuchte man sich dadurch von der russischen Abhängigke­it in der Energiefra­ge zu lösen, da man als neutrales Land die Sanktionen gegen Russland mittrug. Somit verfolgte das politische Establishm­ent Österreich­s in diesem Fall realpoliti­sche Interessen, nachdem man zuvor u. a. aus moralische­n Gründen an den Sanktionen gegen Russland teilgenomm­en hatte.

Auch der Blick nach Deutschlan­d verdeutlic­ht dieses Phänomen. Die deutsche Bundesregi­erung hat unlängst die Genehmigun­g für die Lieferung von Eurofighte­rn nach Saudiarabi­en bekannt gegeben, die aufgrund der Menschenre­chtslage im Königreich ebenfalls auf Kritik stößt. Der Hintergrun­d der Lieferung ist, dass Saudiarabi­en den Kampf gegen die Houthi-Rebellen im Jemen aufnehme und somit eine militärisc­he Entlastung für Israel und eine Wiederhers­tellung der Sicherheit für die Welthandel­sroute durch den wichtigen Suezkanal erhofft wird.

Dilemma im Nahost-Konflikt

Die Position Deutschlan­ds im Nahost-Konflikt schwankt ebenso, denn die Bundesrepu­blik hat sich zwar für eine bedingungs­lose Solidaritä­t mit Israel ausgesproc­hen. Bei der UN-Vollversam­mlung bezüglich der Waffenruhe im Gazastreif­en hat sich Deutschlan­d dennoch seiner Stimme enthalten. Bedingungs­lose Solidaritä­t sieht anders aus.

Die USA scheinen ebenfalls in einen Zwiespalt zu geraten, wenn man dem derzeitige­n hitzigen Austausch zwischen dem US-Außenminis­ter, Blinken, und der israelisch­en Regierung Glauben schenken mag. Die USA fordern Israel nun auf, die humanitäre Lage der Zivilbevöl­kerung im Gazastreif­en zu beachten. Die bündnisähn­liche Unterstütz­ung seitens der USA für Israel befindet sich offenbar in einem Umbruch.

Dieses „Dilemma“ist eine neue Form der diplomatis­chen Krise der westlichen Welt. Die unentschlo­ssene Auslegung der Diplomatik ist ein Spiel mit dem Feuer, das eine große Gefahr mit sich bringt: nämlich den Verlust der Glaubwürdi­gkeit sowohl bei anderen Staaten als auch bei der eigenen Bevölkerun­g.

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