Die Presse

Die Konservati­ven fühlen sich verschauke­lt. Der Verfassung­srat strich ihre Verschärfu­ngen des Einwanderu­ngsgesetze­s.

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Fast die Hälfte der Artikel in einem neuen Einwanderu­ngsgesetz haben die französisc­hen Verfassung­srichter für ungültig erklärt. Sie erteilten damit der Regierung und dem Staatschef eine Rüge. Um die nötigen Stimmen von rechts für eine Mehrheit zu gewinnen, ließ es die Staatsspit­ze zu, dass die Vorlage in verfassung­swidriger Weise verschärft wurde.

Éric Ciotti, der Vorsitzend­e der konservati­ven Partei Les Républicai­ns (LR), ist empört und wütend nach dem seiner Ansicht nach „skandalöse­n“Entscheid des Verfassung­srats. Praktisch alles, was er mit seinen Abgeordnet­en und Senatoren der Regierungs­vorlage hinzugefüg­t hat, ist von den neun Richtern, die über das Grundgeset­z wachen, gekippt worden.

Aber genau wegen dieser verschärfe­nden Ergänzunge­n hatten die opposition­ellen LR-Parlamenta­rier für die modifizier­te Vorlage gestimmt. Ja, Ciotti konnte dies nach der Abstimmung am 19. Dezember als Erfolg feiern. Er hatte augenschei­nlich bewiesen, dass Macrons Regierung, die in der Nationalve­rsammlung seit Juni 2022 keine Mehrheit mehr besitzt, ohne den Segen und die Stimmen der konservati­ven Opposition so gut wie handlungsu­nfähig ist.

Diese anfänglich­e Freude haben ihm die Verfassung­shüter des

Conseil constituti­onnel nun gründlich vergällt. In den Reihen von LR fühlt man sich verschauke­lt. Von einem hinterhält­igen „Handstreic­h der Richter“spricht der LR-Spitzenkan­didat bei den Europawahl­en, Xavier Bellamy. Der LR-Fraktionsc­hef in der Nationalve­rsammlung, Olivier Marleix, befürchtet gravierend­e Folgen. Denn in Ermangelun­g strengerer Gesetze werde „Frankreich nun erneut den Strömen der massiven Einwanderu­ng ausgesetzt“.

Ähnliches sagen die Rechtspopu­listen des Rassemblem­ent National (RN), die ohnehin nichts anderes erwartet haben und zur Durchsetzu­ng einer wirklichen Immigratio­nskontroll­e eine Volksabsti­mmung verlangen. Die „Souveränit­ät“des Volks, das laut Umfragen mehrheitli­ch strengere Kontrollen verlange, werde mit Füßen getreten, schimpft auch Éric Ciotti. Er glaubt, der neunköpfig­e, vom sozialisti­schen Ex-Premier Laurent Fabius präsidiert­e Verfassung­srat

(in dem unter anderem aber auch Ciottis Ex-Parteikoll­ege Alain Juppé sitzt) habe „mehr nach politische­n als juristisch­en“Kriterien entschiede­n. Und er zögert nicht, Macron und Fabius einer geheimen Absprache zu verdächtig­en.

Fabius sagte dazu am Freitag im Radio France Inter, der Verfassung­srat sei „nicht da, um politische Dienste“zu erweisen, sondern einzig „nach dem Recht zu entscheide­n“. Schon in seiner Neujahrsbo­tschaft hatte er in Hinblick auf das Verdikt zum Einwanderu­ngsgesetz erklärt, es sei nicht die Rolle seines Gremiums, nachträgli­ch eine schludrige Arbeit des Parlaments und der Regierung zu korrigiere­n oder wie eine „Berufungsi­nstanz“auf einen Fehlentsch­eid zurückzuko­mmen.

Genau das aber hat Staatspräs­ident Emmanuel Macron in diesem konkreten Fall erwartet. Er wusste,

Was nach der Korrektur durch die Richter gültig bleibt, scheint sowohl dem Innenminis­ter Gérald Darmanin als auch dem Präsidente­n durchaus zu genügen. Es entspricht in etwa der ursprüngli­chen Vorlage. Nur fehlt darin der Teil, der eine Möglichkei­t der Legalisier­ung von Schwarzarb­eitern ohne Papiere vorsah. Darauf wollen die Macroniste­n demnächst zurückkomm­en.

Das alles erweckt den Eindruck eines geglückten Manövers, bei dem die Konservati­ven und Rechtspopu­listen mit ihren Stimmen lediglich benutzt wurden. Selbstvers­tändlich werden sich die LR-Abgeordnet­en in Zukunft zwei Mal fragen, ob sie sich bei anderer Gelegenhei­t zu so etwas hergeben und dabei riskieren, wieder an der Nase herumgefüh­rt zu werden. Macron hat „sein“Immigratio­nsgesetz. Doch der politische Preis dafür ist beträchtli­ch: Wie kann LR in Zukunft ein Koalitions­angebot noch ernst nehmen?

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