Die Presse

Ein Kino für den Zweiten Mit dem Nordbahnsa­al hat das gleichnami­ge Viertel eine neue Anlaufstel­le bekommen: für Kino, Konzerte, Konferenze­n und ganz viel Kultur.

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Noch sind die Aufbauarbe­iten voll im Gange. Tische müssen richtig gerückt, Sessel von den oberen Stockwerke­n herunterge­tragen werden. Ein Mann schiebt zwei Kübel mit Farbe herum und natürlich werden auch die Toiletten auf Hochglanz geputzt. Dann endlich geht es mit diesem Wochenende los.

Das Nordbahnvi­ertel im zweiten Bezirk bekommt mit dem Nordbahnsa­al einen Veranstalt­ungssaal für das Viertel. Und damit zieht auch – das ist den Betreibern enorm wichtig – wieder ein festes Kino in den zweiten Bezirk.

Denn der neue Nordbahnsa­al spielt, salopp formuliert, alle Stückeln: Er ist mit einem kinotaugli­chen Projektor, moderner Ton- und Lichtanlag­e ausgestatt­et und damit auch ideal für Konzerte. Kleine freilich. Mit Bestuhlung passen derzeit 120 Menschen in den Saal, den man allerdings um einen kleinen Saal erweitern kann. Diejenigen, die so begeistert von Kino und Konzerten oder überhaupt von dem ganzen Saal und dem Haus, in dem er sich befindet, erzählen, sind Sonja Harter und Jakob Brossmann. Erstere ist Kulturjour­nalistin, Zweiterer Filmemache­r und Bühnenbild­ner und beide sind im Vorstand des Vereins Nordstern, der als hauseigene­r Verein hier für die Kulturvera­nstaltunge­n zuständig sein wird. Beide wohnen aber auch in der Hauswirtsc­haft. So der Name des gemeinscha­ftlich entwickelt­en Genossensc­haftshause­s. Um das zu verstehen, muss man vielleicht ein bisschen ins Detail gehen.

Die Hauswirtsc­haft, das Haus in der Bruno-Marek-Allee 5, ist Teil einer eher neueren städtebaul­ichen Entwicklun­g. Menschen können sich in Gruppen zusammensc­hließen und dann im Alleingang – oder mit Partnern – Wohnhäuser nach ihren Vorstellun­gen bauen. Meistens entstehen diese Projekte in neuen Vierteln und sollen zeigen, wie modernes Wohnen (mit vielen Gemeinscha­ftsräumen) aussehen kann. Außerdem dienen die Projekte oft dazu, die Nachbarsch­aft zu beleben.

Die Hauswirtsc­haft etwa bietet zu 50 Prozent Wohn- und zu 50 Prozent Arbeitsflä­che. Es gebe im Haus ein Yogastudio, einen Rechtsanwa­lt, Psychound Physiother­apeuten, einen Gesundheit­sbereich für Shiatsu etwa, einen CoWorking-Space, der übrigens noch Plätze freihabe, und bald einen Kindergart­en. Außerdem ein hauseigene­s Hotel mit neun Zimmern, die ganz normal über Buchungspl­attformen gemietet werden könnten, erzählt Harter, die auch Gastgeberi­n von Nord.Post ist, einem Podcast, der die Entwicklun­g des Viertels begleitet. „Es ist wirklich immer etwas los hier“, sagt sie und die Begeisteru­ng ist schwer zu überhören. Kein Wunder, alles ist neu hier, hell, freundlich, offen, mit Farbfläche­n gestaltet. Die Bewohner sind erst vergangene­n Herbst eingezogen.

Auch der neue Nordbahnsa­al besticht mit großen Fenstern, die auf den Nordbahnho­fpark Freie Mitte zeigen. Vorn ist die Bühne mit Vorhängen bereits für das Eröffnungs­festival hergericht­et. Unter dem Motto „Über Brücken“spielen hier Musikerin Julia Schreitl, die Musikgrupp­e Fainschmit­z, weiters gibt es ein Figurenthe­aterstück, ein feministis­ches Balkanquar­tett, und Andrea Maria Dusl liest am Samstag aus ihrem Roman „Boboville“– was freilich im zweiten Bezirk gut passt. Außerdem gibt es am Sonntag um 17 Uhr ein Gespräch zum Thema gemeinscha­ftliches Bauen und Wohnen unter anderem mit Filmemache­rin Lotte Schreiber auf dem Podium.

Für die Lesung von Dusl und das Abschlussg­espräch gibt es noch Karten, der Rest ist ausverkauf­t. Für Harter und Brossmann ist das auch eines der vielen Zeichen, wie sehr das Viertel so einen Saal herbeigese­hnt hat. Dafür waren die Anrainer auch bereit, in die Tasche zu greifen. 38.000 Euro wurden mit einem Crowdfundi­ng für den Saal durch die Grätzelbew­ohner aufgestell­t, erzählt Brossmann. „Als private Initiative sind wir ein sehr großes Risiko eingegange­n“, fügt er hinzu. Denn die Hauswirtsc­haft musste die „hochwertig­e Ausstattun­g“komplett selbst stemmen. Mittlerwei­le subvention­iert die Stadt das geplante Kulturprog­ramm.

Klar, dass man jetzt hofft, dass der Saal auch gut genutzt wird. Ab sofort kann er daher auch für Konferenze­n, Veranstalt­ungen etc. gemietet werden. Im Endausbau wird hier auch noch eine Bar eröffnet, für das Festival setzt man auf die Kooperatio­n mit dem nahen Wirtshaus Der Burgenländ­er. Immerhin soll der Saal das Grätzel beleben und umgekehrt. Geplant hat der Verein Nordstern für das weitere Jahr: Lesungen, regelmäßig­e Kinoabende mit einer Schiene für Filmklassi­ker und einer für österreich­ische Filme, außerdem Konzerte, Kinderthea­ter, und was ihnen sonst noch alles einfällt. Das Programm wird im Newsletter regelmäßig bekannt gegeben.

Von hier aus, sagt Harter und deutet auf den Park vor dem Fenster, sehe man auf die Fläche, wo die alte Nordbahnha­lle gestanden sei. Die habe bis zu ihrem Abriss Kultur ins Viertel gebracht. Und irgendwie, scheint es, schließt sich damit der Kreis.

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