Die Welt ist ein getarnter Kuchen
lles dreht sich um Content. Jene Form des Inhalts, dem es nur noch darum geht, eine Höchstzahl an Zugriffen zu erzielen. Auch im neuen Buch von Elias Hirschl ist der Content King. Giftgrün prangt der Titel auf dem Cover. Den Hintergrund bildet ein futuristisch anmutendes Szenario, das so ausschaut, als wäre hier just in diesem Moment ein cleanes Computerbüro auf einer ansonsten noch weitgehenden unschuldigen Erde gelandet und hätte dort sofort das Kommando übernommen. Aus den Credits erfährt man, dass das Motiv computergeneriert ist. Das passt: Eine künstliche Intelligenz hat das Bild erfunden.
Elias Hirschl ist 1994 in Wien geboren und hat in der hiesigen Poetry-Slam-Szene und als Musiker (aktuelle Formation: Ein Gespenst) frühe Erfolge gefeiert. Bei einem breiteren Publikum und im bundesdeutschen Raum ist er erst mit seinem vorigen Buch bekannt geworden. Dieser Roman mit dem Titel „Salonfähig“wurde oft einzig als eine bissige Politsatire auf die Kanzlerschaft von Sebastian Kurz gelesen. Das Buch ist im August 2021 bei Zsolnay erschienen. Wenige Monate später war Kanzler Kurz auch schon Geschichte.
„Content“ist jetzt bereits das sechste Buch des jungen Autors. Einen Abschnitt daraus hat er 2022 beim Bachmannpreis gelesen und dafür den Publikumspreis eingeheimst. Die Herkunft aus der Performance-Szene und einen unmittelbaren Drang zur Audience merkt man auch dem neuen Buch an. Einzelne Kapitel verfügen über eigenständige dramaturgische Bögen und würden eine jede Publikumsabstimmung gewinnen.
AEin Beispiel dafür ist das Kapitel 18: Dort verdingt sich die weibliche Hauptfigur, eine junge Frau, die in einer Content-Farm mit dem schönen Firmennamen „Smile Smile“arbeitet, als eine sogenannte IKM-Schreiberin. Vorausgesetzt ist, bei all dem, was ich hier sage, dass es die meisten Dinge, von denen Hirschl erzählt, tatsächlich gibt.
So verhält es sich auch in diesem Fall. Unter einem Internet-Kontakt-Markt-Schreiber versteht man eine Person, die auf Datingportalen und Singlebörsen versucht, andere Leute möglichst lange in den Chats zu halten. Bei Hirschl treffen durch einen Fehler im System zwei IKM-Schreiber aufeinander und stellen über Monate hinweg vermeintliche Rekorde der Kundenbindung auf. So lange, bis klar wird, um wen es sich da bei dem jeweils anderen Gesprächspartner handelt. „Smile Smile“ist ein zur Kenntlichkeit verzerrtes Unternehmen der New Economy. Die Firma ist in einer riesigen Industriebrache eines ehemaligen Kohleabbaus angesiedelt. Hirschl hat reale Vorbilder für diese gespenstische Landschaft wohl auch während eines längeren Stipendienaufenthalts in Dortmund kennengelernt. In seinem Buch gewinnen die stillgelegten Aushübe neues Leben. Draußen vor dem Gebäude, in dem sich die Start-ups einquartiert haben, rostet eines der größten Fahrzeuge, die jemals gebaut wurden, vor sich hin. Ein Abraumbagger, der die Kohle tonnenweise aus der Erde gefurcht hat.
Gegenwärtig scheint die Gegend irgendwie kitzelig geworden zu sein. Der Untergrund ist porös, unterirdische Gänge brechen ein, Krater bilden sich und verschlucken Fahrzeuge und ganze Häuser. Das passiert vor allem dann, wenn die Pumpen, die die ehemaligen Stollen zur Stabilisierung beständig fluten, kurz einmal abgestellt werden. Mit dem schönen Begriff „Ewigkeitspumpen“bezeichnet der Autor diese Geräte.
Während die Geschäftsmodelle der Firmen nach dem virtuellen Raum greifen, geht am Firmensitz links und rechts die Welt unter. Wohnungen brennen, der Strom fällt aus, große Teile der Landschaft werden überschwemmt. Einmal kommt es zu einem Erdbeben, das den Lift umgehend in den
„Content“ist ein Buch zum Staunen und Lachen. Das liegt am satirischen Talent des Autors, aber es liegt auch an seinen Verstiegenheiten inklusive einiger sehr spezieller Interessen, die er in digitalen Umgebungen hat. Neben Clemens J. Setz ist Elias Hirschl zurzeit der abgedrehteste Nerd der österreichischen Literatur. Und wie Setz, das zu sagen soll nicht vergessen werden, versteht auch er es ganz hervorragend, aus neuen virtuellen Welten heraus literarische Landschaften zu formen, die auch als solche überzeugend sind.
Letztlich ist es ein kunstvolles Zusammenspiel von Dingen und Medien, das hier literarisch in Szene gesetzt wird. In den Landschaften von „Content“liegt ja wie in einer Rumpelkammer nicht allein die dinghafte fossile Vergangenheit herum, es lagert sich hier auch die materielle Geschichte des Contents ab. Dabei erstaunt, dass der Content, dieses vermeintlich so flüchtige Ding, überhaupt eine dingliche Vergangenheit hat.
Werfen wir abschließend noch einen kurzen Blick in die Büroräume von „Smile Smile“. Sie sind mit Dingen richtiggehend zugestellt. Hydraulikpressen, um Dinge zu zerdrücken. Mikrowellen, um Geräte explodieren zu lassen. Massenhaft alte Nokia-Mobiltelefone, um mit diesen Weitwurfbewerbe zu starten. Auch zahlreiche andere Gegenstände stehen herum, die aber genau genommen gar nicht mehr die vorgestellten Gegenstände sind, sondern nur noch eine Simulation dieser Gegenstände durch Kuchen.
Warum das? Weil diese Dinge aus der Zeit der sogenannten Cake Storys stammen. Damals war im Internet fast ein jeder Gegenstand nur noch ein getarnter Kuchen. Bei Elias Hirschl gewinnt jetzt auch diese Welt eine unmittelbare Materialität. Der Autor zeigt in seinem Buch nicht zuletzt, wie faszinierend solche in der Wirklichkeit nachgebaute Umgebungen sind. Man muss in ihnen aber höllisch aufpassen, wo man hinlangt.
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