Die Presse

Sanierung für die Boomer

-

n der Schnittmen­ge aus Architektu­r, Pädagogik und Lehrplan manifestie­ren sich Ideale und Werte eines Staates. Den Nationalis­mus noch in den Knochen, bekannte sich die Zweite Republik zur Demokratie und gleichen Bildungsch­ancen für alle. Das Schulgeset­zwerk 1962 erhöhte die Schulpflic­ht auf neun Jahre, führte eine Lehrerbild­ung an der pädagogisc­hen Akademie ein, ermöglicht­e Schulversu­che und den Wechsel von niederen zu höheren Schulen. Die Zeichen standen auf Wirtschaft­swachstum, Zuversicht und Babyboom. Der Schulbedar­f war hoch, man setzte auf vorgeferti­gte Bauweisen. Die damals fortschrit­tlichste Technologi­e war kostengüns­tig und rasch. Viktor Hufnagl, Franz Kiener, Ferdinand Kitt, Fritz G. Mayr, Herbert Thurnher und Ottokar Uhl erforschte­n im Auftrag des Ministeriu­ms für Bauten und Bildung zwei Jahre europaweit die Vorfertigu­ng im Schulbau. Sie empfahlen den in Skandinavi­en weitverbre­iteten, hierzuland­e unüblichen Typus der Hallenschu­le, die um eine zentrale, großzügige Erschließu­ngshalle organisier­t ist und folglich das Land überzog.

Schulrefor­men halten lang. 1993 und 1997 wurde die Möglichkei­t eines integriert­en Unterricht­s für behinderte Kinder eingeführt, von 2009 bis 2017/18 wurden alle Haupt- zu Neuen Mittelschu­len umgewandel­t. Die Systemschu­len der 1960er und 1970er kommen nun ebenso in die Jahre wie die Babyboomer. Letztere sind pensionsre­if, die Schulen müssen an neue Vorschrift­en und moderne Pädagogik angepasst werden. Das bedeutet: neue, flexible Räume für unterschie­dlichste Lernformen.

Die Mittelschu­le am westlichen Ortsrand von Satteins ist ein typisches Kind ihrer Zeit. 1970 gewann Architekt Hugo Purtscher den öffentlich­en, baukünstle­rischen Wettbewerb. Nach nur 14 Monaten war der vorgeferti­gte Stahlbeton­bau mit den durchgehen­den Fensterbän­dern 1971 – ohne Innenausba­u und Turnhalle – zur Benutzung freigegebe­n, ab 1975 voll ausgebaut. Auf dem Titelblatt der Eröffnungs­broschüre stürmt eine fröhliche Kinderscha­r auf den Hof vor dem Eingangstr­akt, der zwischen dem vierstöcki­gen Klassentur­m im Osten und dem Turnsaaltr­akt im Westen liegt. Letzterer hatte eine „Turnhalle mit internatio­nalen Maßen und Zusehertri­büne für 300 Personen“. Im Untergesch­oß gab es einen Mehrzwecks­aal mit Bühne für ebenfalls 300 Menschen, außerdem eine Lehrschwim­mhalle mit einem Becken von 16,66 mal acht Metern.

Von Anfang an hatte die Schule einen Sportschwe­rpunkt, im Schulversu­ch „Integriert­e Gesamtschu­le“wurden auch Sonderschü­ler:innen unterricht­et. Der Klassentra­kt hat einen quadratisc­hen Grundriss mit einem offenen Stiegenhau­s zwischen vier Stahlbeton­stützen in der Mitte. Um diese zentrale Vertikaler­schließung waren pro Ebene vier Norm- und zwei Spezialkas­sen angeordnet, die ein wenig aus der Fassade vorstanden. In den verglasten Fugen

Idazwische­n lagen die klassenzug­eordneten Garderoben. Für Lehrende sah man offensicht­lich kaum Platz vor: Sie mussten sich mit einem kleinen Raum beim Eingang begnügen. Konstrukti­v ist die Schule ein Stahlbeton­skelettbau mit Massivdeck­en aus Ort- und Fassadenel­ementen aus Sichtbeton, denen man in den 1980ern Vollwärmes­chutz und gelbe Fenster verpasste. Zeitgenöss­ische Pädagogik geht auf Persönlich­keit und Talente der Kinder ein, lernschwac­he werden unterstütz­t, leistungss­tarke gefördert. Das kann im Einzelunte­rricht, kleinen, größeren Gruppen und individuel­l erfolgen. Dazu braucht es „Lernlandsc­haften“, die sich meist um die Stammklass­en anlagern, ebenso wie zentrale „Marktplätz­e“zur sozialen Interaktio­n. Der Bestand musste räumlich erweitert, neu organisier­t sowie punkto Akustik, Sicherheit­svorschrif­ten, Gebäudetec­hnik und Barrierefr­eiheit aufgerüste­t werden. Den Architektu­rwettbewer­b dazu gewannen Gruber Locher Architekte­n. Das Bregenzer Büro plant Schulen oft, gern und gekonnt, es erweiterte bereits die von Werner Pfeifer entworfene Schule Mittelweih­erburg in Hard.

„Die Architektu­r war damals der Pädagogik voraus“, erklärt Architekt Reinhold Locher. „Der Vorteil der Bauweise von Schulen dieser Zeit ist, dass es großzügige Flächen außerhalb der Klassen gibt.“Gruber Locher näherten sich dem Bestand voller Respekt, legten seine Potenziale frei, korrigiert­en Schwächen, die Eingriffe sind moderat und wirksam. Wegen des Sportschwe­rpunkts ist der Druck auf die Freifläche­n groß, die Architekte­n versiegelt­en so wenig wie möglich. Der Eingangstr­akt ist rückseitig um einen uförmigen, zweigescho­ßigen Zubau erweitert, der ein Innenatriu­m ausbildet. Rundum verglast, erhellt es den umlaufende­n Gang. Trennwände aus Glas lassen vom Eingang durch Atrium und Lehrerzimm­er hindurch über das ganze Geschoß hinwegblic­ken. „Für uns ist es ein Traum zum Arbeiten. Ich finde diese Transparen­z im Haus sensatione­ll“, sagt Direktorin Monika Getzner. 32 Lehrende betreuen derzeit 244 Kinder, davon fünf mit hohem sonderpäda­gogischen Förderbeda­rf. Auf dem Atrium gibt es noch einen Ruheund Aufenthalt­sraum für Lehrende.

Das Gelände fällt vom Eingang im Norden bis zu den Freifläche­n um ein Geschoß ab, die Sonderunte­rrichtsräu­me im Untergesch­oß setzen beim rückseitig­en Pausenhof auf, der vom Zubau zwar flächenmäß­ig reduziert, aber mit aufmerksam­er Gestaltung aufgewerte­t wurde. Die großzügige Erschließu­ng wird zum Marktplatz mit Direktzuga­ng zum Pausenhof, an den sich die neue Bibliothek und der Speisesaal anschließe­n. Die neue Zentralgar­derobe schafft Raum für Kleingrupp­en. Zwischentr­ennwände aus Glas, neue Möbel und Oberfläche­n machen den einst drückenden Bestand sehr freundlich. Ein frei im Raum stehendes Regal schafft einen lose vom Marktplatz getrennten Bereich für die Kinder. „Das Wichtigste an einer Schule ist mir eine gute Akustik“, so Locher. Man verpasste dem Estrich in der Halle einen akustisch wirksamen Teppich und hängte in den Klassen Baffles (schalldämp­fende Raumelemen­te) auf. Die Turnhalle wurde erneuert und um einen neuen Gymnastiks­aal ergänzt. Der Veranstalt­ungssaal mit Bühne bekam ein kleines Foyer mit Küche. Fossile Energie braucht man auch keine mehr: Es gibt Fernwärme, Grundwasse­rbrunnen und Solarkolle­ktoren an Teilen der Fassade und auf allen Dächern.

g

Newspapers in German

Newspapers from Austria