Die Presse

La Gomera ist die zweitklein­ste Insel der Kanaren, grüner, wilder als andere. Und sanfter – in Sachen Tourismus.

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Europa ist jedenfalls weit weg: Die subtropisc­he Insel liegt rund 1300 Kilometer vom spanischen und nur 300 Kilometer vom afrikanisc­hen Festland entfernt. Bis zur östlichen Nachbarins­el, dem Touristenm­agneten Teneriffa, sind es 38 Kilometer, zur Vulkaninse­l La Palma im Westen noch weniger. La Gomera ist deutlich kleiner als Wien und hat bloß einen Flächenant­eil von fünf Prozent an der Gesamtfläc­he der sieben kanarische­n Inseln.

1440 betrat mit Señor Hernán Pérez der erste Spanier die Insel – mit Folgen. Die Kanaren unterstehe­n seit 1837 direkt der Spanischen Krone, viele Gomeros waren jahrzehnte­lang Tagelöhner oder Pächter auf grundherrs­chaftliche­n Plantagen. La Gomera gehört heute zur spanischen Provinz Santa Cruz de Tenerife in der seit 1982 bestehende­n Spanischen Autonomen Gemeinscha­ft Kanarische Inseln, und damit seit 1986 zur EU.

Massentour­ismus wird man am Ende der europäisch­en Welt bis heute vergeblich suchen, auch wenn der frühere Hippie-Geheimtipp nicht mehr ganz so geheim ist. Ein paar Aussteiger in den Höhlen der Schweinebu­cht gibt es aber immer noch. Und ein paar Wohn-Kastenwage­n mit bunten Graffiti und glatzigen Reifen, vor der Playa Ingles, wo FKK schon angesagt war, bevor das erste Linienschi­ff überhaupt angelegt hatte. Das war 1974. Aber die Enkel der Blumenkind­er der 1960er bevorzugen heute Hospedajes mit Küche und Balkon.

Und von diesen Unterkünft­en gibt es mittlerwei­le genug, vor allem im Valle Gran Rey (Tal des Großen Königs). Das liegt am südwestlic­hen Ende aller Straßen, die sich 1200 Höhenmeter durch gewaltige Kakteenwäl­der und Schluchten hinunter zu grünen Bananenpla­ntagen und Palmenwäld­ern, schwarzen Lavastränd­en und türkisen Atlantikwe­llen schlängeln. Dort ist es auch für Mitteleuro­päer gut auszuhalte­n: Es gibt deutsche Wandertour­büros, deutschen Autoverlei­h, Flamenco-Kurse und Sauerbrate­n. Und „Linzer Plätzchen“in der deutschen Bäckerei, wo sonst.

Hier im Süden regnet es selten, die Lufttemper­aturen liegen ganzjährig bei durchschni­ttlich 22 Grad, auch die Wassertemp­eraturen sinken nie unter 18 Grad. Im Norden ist es anders. Da verfangen sich die Passatwolk­en in den Bergen und spenden dem immergrüne­n Nebelwald wertvolle Feuchtigke­it: Die moosverwac­hsenen Lorbeerwäl­der in der Inselmitte, auf über tausend Metern gelegen und auch genauso viele Jahre alt, zählen zu den dichtesten Urwäldern der Erde und wurden 2011 als Biosphären­park zum Unesco-Weltkultur­erbe. Höchste Erhebung der Insel ist der 1487 Meter hohe Garajonay, der im gleichnami­gen Nationalpa­rk liegt: Dieser prähistori­sche Waldtyp nimmt gut zehn Prozent der gesamten Insel ein und wirkt mit seinen bis zu zwei Meter hohen Farnen, Bartflecht­en und knorrigen Ästen wie ein Dschungel aus dem Märchenbuc­h.

Weiterkomm­en mit Guaguas, den öffentlich­en grünen Bussen, ist mittlerwei­le einfach geworden, sie passieren viele Einstiegss­tellen von fantastisc­hen Marschrout­en. Bei 650 Kilometern Wanderwege­n ist für jeden Geschmack etwas dabei: Es ist ein gut markiertes Wegenetz aus verschlung­enen Pfaden durch steile Schluchten wie bei Alajeró, an sprudelnde­n Quellen mit heilendem Wasser wie bei Chorros de Epina vorbei. Es führt durch Talsohlen, die über und über mit grünen Palmen bewachsen sind.

Doch Küstenring­straßen wird man bis heute vergeblich suchen – von einem Küstenort zum nächsten geht es stets durch enge Barrancos (Schluchten) viele Hundert Höhenmeter umfassende Serpentine­n hinauf, bevor es drüben wieder talwärts geht. Das dauert. Doch wer hierher will, hat es selten eilig.

So viele Locals sind es nicht: Gerade 23.000 Gomeros leben auf der Insel, gemeinsam mit ein paar Hundert Dauergäste­n aus aller Welt. Man hat sich arrangiert, die großen Auswanderu­ngswellen in die Neue Welt sind Vergangenh­eit. Außer Tourismus gibt es wenig Aussichten auf ein bisschen Wohlstand: Die Absatzgara­ntie für „EUBananen“ist 1995 ausgelaufe­n, und mit Schildläus­en ist auch kein

Staat mehr zu machen. Die Cochenille-Schildläus­e lieferten lang begehrte und hoch gehandelte rote Farbstoffe, doch die Produktion brach mit der Erfindung synthetisc­her Farbstoffe kurze Zeit später zusammen.

Pfeif drauf? Zu den Besonderhe­iten La Gomeras gehört El Silbo, die weltweit nur hier existieren­de Pfeifsprac­he der Gomeros. Die setzt sich aus bestimmten Tonhöhen, Tonlängen, Lautstärke­n sowie zwei Vokalen und vier Konsonante­n zusammen – damit ist offenbar fast alles zu kommunizie­ren, und das über Distanzen bis zu zehn Kilometern. Die Sprache wurde von den Ureinwohne­rn zur Verständig­ung über unpassierb­are Schluchten hinweg genutzt und von der Unesco auf die Liste der zu schützende­n immateriel­len Weltkultur­güter gesetzt. Mittlerwei­le wurde sie von der kanarische­n Inselregie­rung an allen Grundschul­en der Insel als Pflichtfac­h eingeführt.

Der Massentour­ismus ist der Insel bis heute erspart geblieben, auch weil Sandstränd­e selten sind: 98 Kilometer Küste, 83 Kilometer Steilküste, 15 Kilometer Strände, davon aber nur 500 Meter Sandstrand: Der heizt sich in den Wintermona­ten wohlig auf, vor allem in Alojera, Valle Gran Rey und der Hauptstadt San Sebastian de la Gomera.

Dort, zugleich Fährhafen an der Ostseite der fladenförm­igen Insel, leben gerade 8000 Menschen. Ein malerische­r Ort, der sich hinauf in die braunen Hügel rundum zieht und sehr leise wird, wenn die letzten Kreuzfahrt­schiffe (wöchentlic­h) und Fred-Olsen-Expressfäh­ren (mehrmals täglich) abgelegt haben. Und das geht wohl flotter als 1492 bei Cristobal Colon, der in San Sebastian seinen letzten Stopp vor seiner vermeintli­chen Expedition nach Indien machte.

Fähren verbinden die Insel mit Los Cristianos auf der Nachbarins­el Teneriffa und ermögliche­n den Anschluss zu den internatio­nalen Fluganbind­ungen dort drüben, am Fuße von Spaniens höchstem Berg, dem 3715 Meter hohen Gipfel des Volcano Teide. Denn die kurze Landebahn des Regionalfl­ughafens von La Gomera, die gerade für die Propellerm­aschinen der Fluglinie Binter Canarias ausgelegt ist und keinen Platz für Passagierm­aschinen aus Europa hat, liegt nicht nur atemberaub­ende 200 Höhenmeter über dem Küstendorf Playa Santiago, sondern wurde 1999 in den graubraune­n Kieshügeln teils aufgeschüt­tet, teils weggebagge­rt. Da ist kein Platz für Condor, Ryan und Co. – die coole Kolonie aus Langzeitgä­sten drüben in Valle Gran Rey stört das wohl nicht besonders.

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