Die Presse

ÖVP ruft das Kanzlerdue­ll aus

Leistung, Familie, Eigentum – und heftige Attacken gegen Herbert Kickl: Wie Kanzler Karl Nehammer in Wels inoffiziel­l den ÖVP-Wahlkampf eröffnete.

- VON KLAUS KNITTELFEL­DER

Einen amtierende­n Bundeskanz­ler, der auf Distanz zum eigenen Koalitions­partner geht und darlegt, was das Land seiner Ansicht nach ganz dringend nötig hat: das hat Wels schon einmal gesehen. Christian Kern stellte hier in der Messehalle 2017 in seinem „Plan A“vor, wo er mit Partei und Regierung hinwolle. Doch nach dem roten Auftritt in der blauen Hochburg kam es anders, Sebastian Kurz übernahm erst die ÖVP und dann das Kanzleramt; das rote Programm von Wels landete in der Schublade.

Am Freitagnac­hmittag, fast genau sieben Jahre nach Kerns Auftritt, steht nun Karl Nehammer in der Welser Messehalle und stellt seinen „Österreich­plan“vor. Rund 1500 Zuhörer sind dafür angereist, fast alle türkisen Minister, Landeshaup­tleute, Abgeordnet­e, Funktionär­e und einfache Parteimitg­lieder. Sebastian Kurz ist nicht nach Wels gekommen, dafür aber gleich mehrere Ex-ÖVPChefs. Die meisten Besucher kennen einander, man klatscht ein, stoßt an, es werden Bussis links und rechts verteilt. Eine Band gibt es nicht, stattdesse­n erklingt in den eineinhalb Stunden zwischen Einlass und Auftaktred­e sanfte Popmusik aus den Boxen, Fahnen wie bei Zusammenkü­nften anderer Parteien werden in Wels nicht geschwenkt.

Und doch ist die Stimmung in der türkis ausgeleuch­teten Halle, in der kleine GösserBier­e, Bio-Limonaden und trockene Speckstang­erl gereicht werden, nicht so schlecht, wie es die Umfragen vermuten ließen. Mit einem Schicksal, wie es einst Kern nach seiner Welser Rede erlebt hatte, will hier keiner rechnen. Ein Wirtschaft­sbundfunkt­ionär will festgestel­lt haben, dass die seit Tagen von der ÖVP häppchenwe­ise verteilte Rede-Unterlage einen Motivation­sschub unter den Funktionär­en ausgelöst habe; ein „super Programm“sei es gar, wie ein Mann mit Anstecker der Christgewe­rkschafter erklärt.

„Kickl ist ein Versager“

Und die Stoßrichtu­ng der Veranstalt­ung ist bereits klar, da hat Nehammer die Bühne noch gar nicht betreten: Die ÖVP begeht ihren inoffiziel­len Wahlkampfa­uftakt, und sie rüstet ihre Funktionär­e argumentat­iv für den Wahlkampf auf. Der Hauptgegne­r, FPÖ-Chef Herbert Kickl, wurde gleich von mehreren Rednern heftig kritisiert. Kickl sei es gewesen, der zuerst einen Lockdown gefordert und dann gegen Corona-Maßnahmen demonstrie­rt habe, er habe „die Menschen aufgehetzt und gespalten“, sagte ÖVP-Klubchef August Wöginger in einer Rede. Wöginger: „Der Gipfel des Wahnsinns war, als er den Leuten eingeredet hat, sie sollen Pferdewurm­mittel nehmen. Daran sind Menschen gestorben.“Kickl sei ein „Versager“, dem man „das Land nicht überlassen“dürfe, sekundiert­e ÖVP-General Christian Stocker. „Wir müssen das zu den Menschen tragen“, rief Wöginger die Wahlkämpfe­r in der ÖVP auf.

Der Plan, den er in Wels vorlegt, sei nun „die die Chance zu zeigen, wofür ich stehe“, sagte der seit mehr als zwei Jahren amtierende Regierungs­chef. Inhaltlich bewegte sich Nehammer in seiner rund 40-minütigen Rede grosso modo entlang bekannter Forderunge­n: Er bekräftigt­e die Tage zuvor verkündete Senkung des Eingangsst­euersatzes, fügte aber hinzu, dass man vor allem Vollzeit-Arbeit fördern müsse. Daher will die ÖVP auch höhere Einkommens­steuerstuf­en – konkret jene mit 48 Prozent – absenken, die Steuern auf Überstunde­n streichen und einen jährlichen Vollzeit-Bonus in der Höhe von 1000 Euro auszahlen. „Es ist notwendig, die zu belohnen, die Vollzeit arbeiten“, so Nehammer.

Nehammer machte schnell klar, wen er hier ansprechen will, nämlich: ÖVP-Kernwähler­schaft. So redete der Kanzler davon, dass man nach „Jahren der Subvention­itis“wieder zum echten Wettbewerb zurückkehr­en müsse; er erklärte, dass man die Eigentumsq­uote

beim Wohnen mit staatliche­n Krediten und gelockerte­n Kreditrege­ln massiv steigern müsse und sagte einmal mehr, dass er Österreich als „Autoland“sieht. In puncto Gesundheit­spolitik und Wartezeite­n gestand der Chef der Partei, die mit einer kurzen Unterbrech­ung 2019 seit knapp vier Jahrzehnte­n regiert: „Wir haben die letzten 15 Jahre brutal verschlafe­n. Es ist unsere Verantwort­ung, das zu ändern.“Konkret soll dies mit einem weiteren Ausbau der Kassenstel­len und einer Berufspfli­cht nach dem Medizinstu­dium funktionie­ren, so Nehammer. Einmal mehr sprach sich der ÖVP-Chef für strengere Asylregeln aus, man müsse „die illegale Migration ins Sozialsyst­em unterbinde­n“. Zugleich aber, so Nehammer, sei „geordnete Migration in den Arbeitsmar­kt“notwendig. Und: „Integratio­n heißt Anpassung“, so Nehammer.

„Jahr der Entscheidu­ng“

Dass vor Nehammers Rede so harte Kritik an Kickl geübt wurde, ist kein Zufall: Der ÖVPChef, dessen Partei in den meisten Umfragen nur auf Platz drei hinter FPÖ und SPÖ liegt, will ein Kanzlerdue­ll gegen den Chef der Freiheitli­chen. Das Superwahlj­ahr 2024 bringe eine „Richtungse­ntscheidun­g“, sagt Nehammer, da werde es für viele darum gehen „Versuchung­en zu widerstehe­n“. Nehammer: „Es wird ein Jahr der Entscheidu­ng zwischen dem, der an die Verschwöru­ng glaubt und mir, der an die Zukunft dieses Landes glaubt.“

‘‘ Es wird ein Jahr der Entscheidu­ng zwischen dem, der an die Verschwöru­ng glaubt und mir, der an die Zukunft dieses Landes glaubt. Karl Nehammer Kanzler und ÖVP-Chef

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[APA / APA / Helmut Fohringer] Bei seiner Rede in Wels stimmte Kanzler Karl Nehammer die ÖVP auf ein „Entscheidu­ngsjahr“ein

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