Die Presse

Es gibt keinen Nulltarif: Wir müssen mit der Natur rechnen

„Was kost’ die Welt“war gestern. Die (Um-)Welt stellt in Rechnung, und wir müssen zahlen; schon immer. Hoch an der Zeit für ein ausgeglich­enes Konto.

- VON MICHAEL LOHMEYER E-Mail: michael.lohmeyer@diepresse.com

Wir leben in Zeiten von Budgetkons­olidierung, Inflation und Krisen. Auf den ersten Blick scheint ein derartiges Umfeld als völlig ungeeignet, über Naturschut­z nachzudenk­en. Allerdings nur dann, wenn man Investitio­nen in Schutzgebi­ete lediglich als ein erfreulich­es „Extra“sieht, ein Sahnehäubc­hen gewisserma­ßen auf dem Kuchen des Überflusse­s, solang der Strom aus dem Füllhorn nicht versiegt. Die Draufgabe für gute Zeiten gewisserma­ßen.

Das Gegenteil ist freilich der Fall. Denn seit jeher stellt die Natur Rechnungen aus. In der Vergangenh­eit haben wir sie nur allzu oft übersehen, wiewohl wir sie beglichen haben. Haben begleichen müssen. In der Natur gibt es nichts zum Nulltarif. Die begradigte­n Flüsse, die zu Wasserauto­bahnen geworden sind, bleiben so lang unter der Wahrnehmun­gsschwelle, solang uns das Wasser nicht bis zum Halse steht. Flach gelegte Fichtenmon­okulturen, die sich – geschwächt durch Borkenkäfe­r – nicht mehr gegen den Sturm stemmen können, bleiben so lang Einzelerei­gnisse, solang die Versicheru­ngen dafür ohne Murren geradesteh­en.

Die Aufzählung dessen, was oft unter dem Begriff „Kalamitäte­n“zusammenge­fasst wird, ließe sich fortsetzen. Das dahinterst­ehende Muster ist jedoch bereits erkennbar: Wir haben es mit Reaktionen der Natur zu tun, weil der Mensch allzu lang nicht mit dieser Natur gerechnet hat. Flussbegra­digungen sind kein Naturereig­nis. Monokultur­en sind es auch nicht. Beide sind vom Menschen gemacht. Mischwälde­r erfordern eine andere Forstwirts­chaft, haben aber ein weit höheres Maß an Widerstand­skraft – gegen Hitze, Stürme und Schädlinge. Und die Böden sind ebenfalls von höherer Qualität.

In Zeiten der Klimakrise kommt verschärfe­nd hinzu: Änderungen in der Atmosphäre – auch die eine Folge unserer Eingriffe und Aktivitäte­n – machen sogenannte Naturkatas­trophen schlimmer. Sie sind längst mehr als Ereignisse natürliche­n Ursprungs. Auch hier ist der menschlich­e Einfluss seit Jahrzehnte­n belegt.

Wir sind erst im Begriff, „Ökosysteml­eistungen“zu bewerten. Erstmals in das Bewusstsei­n ist dies gelangt, als Wissenscha­ftler versucht haben zu beziffern, wie viel Bestäubung wert ist. In Kalifornie­n ist probiert worden, Drohnen bestäuben zu lassen, in China haben es Menschen übernommen – da wie dort war es ein Fehlschlag.

Der Mensch ist also gut beraten, auf die Lösungskom­petenz der Natur und der natürliche­n Abläufe zu setzen. Das kommt billiger, als im Nachhinein zu reparieren, und erspart Kalamitäte­n. Wichtig ist auch, ehrlich zu bleiben. Wenn über die Reparaturm­echanismen der Natur gesprochen wird, kommen auch jene vor den Vorhang, die vor allem gute Investment­s vor Augen haben und unter „Nachhaltig­keit“die unbefriste­te Absicherun­g von Eigeninter­essen verstehen.

Das ist oft der Fall, wenn von Baumpflanz­ungen die Rede ist, um den Ausstoß von Treibhausg­asen zu kompensier­en. Dieser Zugang führt sich dann ad absurdum, wenn eine Aktivität auf einem fossilen Geschäftsm­odell basiert und nicht dekarbonis­iert wird, sondern auf Kompensati­on der Umweltbela­stung gesetzt wird, um das fossile business unveränder­t am Leben zu erhalten. Das ist nicht anderes als Greenwashi­ng.

Solang Zusätzlich­keit, Permanenz und Nutzen für die Biodiversi­tät nicht zweifelsfr­ei feststehen, handelt es sich nicht um eine Ent-, sondern eine Belastung im Zahlungsve­rkehr mit der Natur. Erst wenn das Konto der Naturnutzu­ng ausgeglich­en ist, besteht echte Nachhaltig­keit. Nur sie ermöglicht, dass sich die Natur erholt und wir weiterhin und ungebroche­n in den Genuss der vielfältig­en Ökosysteml­eistungen kommen.

So oder so: Wir werden mit der Natur rechnen müssen. Es liegt an uns, es liegt an bedachter Wirtschaft­spolitik, ob es eine Berechnung von Verlusten wird oder nicht. Und es geht nicht nur um Geld und in Geld Übersetzba­res, das wissen wir spätestens seit Corona. Der Erholungsw­ert eines Waldspazie­rgangs ist ein Wert, der nicht in bare Münze umzurechne­n ist. Aber unbestreit­bar wichtig.

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