Es gibt keinen Nulltarif: Wir müssen mit der Natur rechnen
„Was kost’ die Welt“war gestern. Die (Um-)Welt stellt in Rechnung, und wir müssen zahlen; schon immer. Hoch an der Zeit für ein ausgeglichenes Konto.
Wir leben in Zeiten von Budgetkonsolidierung, Inflation und Krisen. Auf den ersten Blick scheint ein derartiges Umfeld als völlig ungeeignet, über Naturschutz nachzudenken. Allerdings nur dann, wenn man Investitionen in Schutzgebiete lediglich als ein erfreuliches „Extra“sieht, ein Sahnehäubchen gewissermaßen auf dem Kuchen des Überflusses, solang der Strom aus dem Füllhorn nicht versiegt. Die Draufgabe für gute Zeiten gewissermaßen.
Das Gegenteil ist freilich der Fall. Denn seit jeher stellt die Natur Rechnungen aus. In der Vergangenheit haben wir sie nur allzu oft übersehen, wiewohl wir sie beglichen haben. Haben begleichen müssen. In der Natur gibt es nichts zum Nulltarif. Die begradigten Flüsse, die zu Wasserautobahnen geworden sind, bleiben so lang unter der Wahrnehmungsschwelle, solang uns das Wasser nicht bis zum Halse steht. Flach gelegte Fichtenmonokulturen, die sich – geschwächt durch Borkenkäfer – nicht mehr gegen den Sturm stemmen können, bleiben so lang Einzelereignisse, solang die Versicherungen dafür ohne Murren geradestehen.
Die Aufzählung dessen, was oft unter dem Begriff „Kalamitäten“zusammengefasst wird, ließe sich fortsetzen. Das dahinterstehende Muster ist jedoch bereits erkennbar: Wir haben es mit Reaktionen der Natur zu tun, weil der Mensch allzu lang nicht mit dieser Natur gerechnet hat. Flussbegradigungen sind kein Naturereignis. Monokulturen sind es auch nicht. Beide sind vom Menschen gemacht. Mischwälder erfordern eine andere Forstwirtschaft, haben aber ein weit höheres Maß an Widerstandskraft – gegen Hitze, Stürme und Schädlinge. Und die Böden sind ebenfalls von höherer Qualität.
In Zeiten der Klimakrise kommt verschärfend hinzu: Änderungen in der Atmosphäre – auch die eine Folge unserer Eingriffe und Aktivitäten – machen sogenannte Naturkatastrophen schlimmer. Sie sind längst mehr als Ereignisse natürlichen Ursprungs. Auch hier ist der menschliche Einfluss seit Jahrzehnten belegt.
Wir sind erst im Begriff, „Ökosystemleistungen“zu bewerten. Erstmals in das Bewusstsein ist dies gelangt, als Wissenschaftler versucht haben zu beziffern, wie viel Bestäubung wert ist. In Kalifornien ist probiert worden, Drohnen bestäuben zu lassen, in China haben es Menschen übernommen – da wie dort war es ein Fehlschlag.
Der Mensch ist also gut beraten, auf die Lösungskompetenz der Natur und der natürlichen Abläufe zu setzen. Das kommt billiger, als im Nachhinein zu reparieren, und erspart Kalamitäten. Wichtig ist auch, ehrlich zu bleiben. Wenn über die Reparaturmechanismen der Natur gesprochen wird, kommen auch jene vor den Vorhang, die vor allem gute Investments vor Augen haben und unter „Nachhaltigkeit“die unbefristete Absicherung von Eigeninteressen verstehen.
Das ist oft der Fall, wenn von Baumpflanzungen die Rede ist, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu kompensieren. Dieser Zugang führt sich dann ad absurdum, wenn eine Aktivität auf einem fossilen Geschäftsmodell basiert und nicht dekarbonisiert wird, sondern auf Kompensation der Umweltbelastung gesetzt wird, um das fossile business unverändert am Leben zu erhalten. Das ist nicht anderes als Greenwashing.
Solang Zusätzlichkeit, Permanenz und Nutzen für die Biodiversität nicht zweifelsfrei feststehen, handelt es sich nicht um eine Ent-, sondern eine Belastung im Zahlungsverkehr mit der Natur. Erst wenn das Konto der Naturnutzung ausgeglichen ist, besteht echte Nachhaltigkeit. Nur sie ermöglicht, dass sich die Natur erholt und wir weiterhin und ungebrochen in den Genuss der vielfältigen Ökosystemleistungen kommen.
So oder so: Wir werden mit der Natur rechnen müssen. Es liegt an uns, es liegt an bedachter Wirtschaftspolitik, ob es eine Berechnung von Verlusten wird oder nicht. Und es geht nicht nur um Geld und in Geld Übersetzbares, das wissen wir spätestens seit Corona. Der Erholungswert eines Waldspaziergangs ist ein Wert, der nicht in bare Münze umzurechnen ist. Aber unbestreitbar wichtig.