Die Presse

„Letzte Chance“für eine Lösung im „Friedhof der Diplomaten“

Die neue UN-Gesandte für die seit Jahrzehnte­n geteilte Insel, Maria Ángela Holguín Cuéllar aus Kolumbien, versucht einen Neustart.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Nikosia. Am Grenzüberg­ang Kermia in Nikosia stauen sich Autos in beiden Richtungen. Griechisch­e Zyprioten fahren von ihrem Teil der Hauptstadt in den türkischen Sektor der Insel, um billig zu tanken; türkische Zyprer kommen in den griechisch­en Süden, um zu arbeiten. Die Teilung der Insel ist längst Alltag, alle Bemühungen um Wiedervere­inigung sind bisher gescheiter­t.

Jetzt startet die UNO wieder einen Anlauf: Heute, Montag, nimmt die neue UN-Gesandte für Zypern, Maria Ángela Holguín Cuéllar, vor Ort Gespräche auf, um Türken und Griechen an den Verhandlun­gstisch zu bekommen. Ihre Mission sei „die letzte Chance für eine Lösung unter dem Dach der UNO“, kommentier­t die Zeitung „Cyprus Mail“.

In der ehemaligen britischen Kolonie brach kurz nach der Unabhängig­keit 1960 ein Bürgerkrie­g zwischen der griechisch­en Mehrheit und der türkischen Minderheit aus. Seit 1964 hier stationier­te UN-Friedenstr­uppen konnten die Gewalt nicht stoppen. Als griechisch­e Nationalis­ten 1974 putschten, um Zyperns Anschluss an Griechenla­nd durchzuset­zen, schickte die Türkei Militär auf die Insel. Seitdem ist sie geteilt.

Die türkischen Zyprer riefen 1983 eine Republik aus, die nur von der Türkei anerkannt ist und einem internatio­nalen Embargo unterliegt. 2004 lehnte die griechisch­e Inselrepub­lik kurz vor ihrer Aufnahme in die EU einen UN-Einigungsp­lan ab. Der vorerst letzte Einigungsv­ersuch scheiterte dann 2017 in der Schweiz. Zuletzt stritten sich Griechen und Türken um die Rechte an Erdgasvorr­äten unter dem Mittelmeer vor Zypern.

Es sieht nicht gut aus

„Es ist sicher gut, dass wieder etwas in Bewegung kommt“, sagt Harry Tzimitras, Direktor der politische­n Denkfabrik Prio in Nikosia, über den Antrittsbe­such der UN-Gesandten. Allerdings stünden sich die Positionen doch weiterhin „diametral gegenüber“, sagte Tzimitras zur „Presse“.

Die Bürger beider Sektoren der Insel haben sich mit der Teilung arrangiert. Seit 20 Jahren können sie den anderen Inselteil besuchen; türkische Zyprer erhalten EU-Pässe der griechisch­en Inselrepub­lik und können damit reisen. Kurz vor Cuéllars Ankunft verkündete die griechisch­e Seite weitere Erleichter­ungen für den Zugang türkischer Zyprer zu staatliche­n Leistungen.

Wegen der vielen ergebnislo­sen Verhandlun­gen zögerte UN-Generalsek­retär António Guterres lang mit der Ernennung einer neuen Beauftragt­en; Cuéllar (60), ehemalige UN-Botschafte­rin und Außenminis­terin Kolumbiens, hat viel Erfahrung auf dem diplomatis­chen Parkett. Sie wird in den kommenden Tagen mit dem griechisch­zyprischen Präsidente­n Nikos Christodou­lides und dem türkisch-zyprischen Führer Ersin Tatar sprechen.

Guterres warnte kürzlich, die Hoffnung auf eine annehmbare Lösung schwinde. Im Vorjahr gab es Zusammenst­öße zwischen Türken und UN-Soldaten. Der UN-Chef äußerte Zweifel, ob das Mandat der Blauhelme weiterhin Jahr für Jahr ohne politische Fortschrit­te erneuert werden könne. Derzeit dienen 800 UN-Soldaten auf Zypern.

Bisherige Vermittlun­gen zielten auf die Gründung eines „bizonalen“Staats mit weitgehend voneinande­r unabhängig­en griechisch­en und türkischen Sektoren, praktisch eine Konföderat­ion. Allerdings wurde das 2004 von der griechisch­en Seite per Referendum abgelehnt und scheiterte auch bei den Verhandlun­gen 2017. Inzwischen fordern die türkischen Zyprer die internatio­nale Anerkennun­g. Mit ihrer Schutzmach­t Türkei stimmten sie Cuéllars Ernennung nur unter der Bedingung zu, dass ihr Mandat auf sechs Monate begrenzt wird. „Friedhof für Diplomaten“wird Zypern oft genannt.

Von „letzter Chance” will Tzimitras trotzdem nicht sprechen. „Das haben wir Dutzende Male gehört.“Allerdings könne Cuéllars Mission die letzte Gelegenhei­t sein, über die Gründung einer bizonalen Föderation zu sprechen. Von der Diplomatin aus Südamerika hängt also viel ab.

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[Reuters] UN-Zypernbeau­ftragte Maria Ángela Holguín Cuéllar.

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