Die Presse

„Gelddrucke­n hat nie zu Wohlstand geführt“

Marc Friedrich, Finanzexpe­rte und Sachbuch-Bestseller­autor, hat nun ein Buch über Bitcoin geschriebe­n. Mit der „Presse“sprach er über Geldentwer­tung, Bargeldobe­rgrenzen, Überwachun­g – und den Wert von Bitcoin.

- VON BEATE LAMMER

Die Presse: Bitcoin war zuletzt viel in den Schlagzeil­en, weil Bitcoin-ETFs in den USA zugelassen wurden. Viele hofften, dass der Preis „to the moon“steigt. Stattdesse­n ist er gefallen. Warum?

Marc Friedrich: Weil es schon eingepreis­t war. Alle haben es erwartet. Ich hatte genau diese Prognose abgegeben, dass die Zulassung der ETFs ein Sell-the-news-Event sein wird. Wir haben zeitweise 20 Prozent verloren seit dem Hoch. Wir waren fast bei 50.000, sind da an einem wichtigen Widerstand abgeprallt. Ich würde erst wieder unter 35.000, 30.000 Dollar aktiv werden. Ich erwarte auch im ersten Halbjahr Turbulenze­n an den Börsen. Alle erwarten jetzt sieben Zinssenkun­gen, alle erwarten, dass die Anleihen durch die Decke gehen. Alle erwarten, dass es keine Rezession

gibt. Ich glaube, dass diese Erwartung enttäuscht wird. Die letzten Zahlen aus den USA sahen eher danach aus, dass die Inflation steigt. Die Aktienmärk­te könnten empfindlic­h nach unten tendieren und auch Bitcoin mit sich reißen.

Bitcoin wird sich vorerst nicht von den Aktien lösen können?

Nein. Bitcoin ist getrieben durch Liquidität, und wenn Liquidität aus dem Markt genommen wird, dann geht es Bitcoin schlecht.

Aber ist Bitcoin dann überhaupt eine Alternativ­e zu unserem Geldsystem oder selbst nur ein Teil davon?

Bitcoin ist eine Alternativ­e. Aber Bitcoin ist 15 Jahre jung und noch dabei, sich zu emanzipier­en. Es wird sich irgendwann abkoppeln, wenn die breite Masse Bitcoin adaptiert und als tatsächlic­he Alternativ­e zum jetzigen Geldsystem versteht, weil Bitcoin zum allererste­n Mal Staat und Geld trennt. Das ist ein Meilenstei­n, ein historisch­es Ereignis, wie Martin Luther Kirche und Staat getrennt hat. Bitcoin ist es das demokratis­chste, rarste und grenzenlos­este nicht manipulier­bare Gut, das die Menschheit je erschaffen hat. Wir wissen nicht, wie viel Euro die EZB noch druckt. Wir wissen nicht, wie viel Gold noch in der Erdkruste schlummert. Aber bei Bitcoin haben wir die mathematis­che Gewissheit: Bei 21 Millionen ist Ende Gelände im Jahr 2140.

Ich spiele jetzt Advocatus Diaboli. Mir stellen viele Leute Fragen, eine lautet immer: „Hat Bitcoin einen inneren Wert?“

Der innere Wert ist, dass wir ein demokratis­ches Geldsystem haben, nicht manipulier­bar und vor allem dezentral, dass wir keine dritte Partei mehr benötigen, keine Banken, keine Notenbank, sondern dass wir von Mensch zu Mensch bezahlen können, dass wir in die Selbstvera­ntwortung kommen, dass wir unsere eigene Bank sind. Da muss sich jeder fragen: Was ist mir ein dezentrale­s, durch Mathematik limitierte­s Geldsystem wert, das nicht in der Obhut eines Staats steht? In meinem Buch zeige ich auf: Geldsystem­e scheitern im Schnitt nach 80 bis 100 Jahren. Es fängt mit der Münzversch­lechterung im Römischen Reich an. Wir hatten Beimischun­g von minderwert­igeren Metallen, weil die Monarchen, die Diktatoren, die Rädelsführ­er, die demokratis­chen Präsidente­n irgendwann immer zu viel Geld ausgegeben haben, mit Geld nicht umgehen können, strukturel­l gierig sind und immer das Geld der Bürger brauchen. Die Leidtragen­den sind die Bürger, die dann 80, 90, 100 Prozent verlieren.

Da kommt oft der Einwand: Dieses Gelddrucke­n funktionie­rt ja seit Jahrzehnte­n ziemlich gut.

Gelddrucke­n hat in der Geschichte der Menschheit noch nie eine Krise gelöst und noch nie zu Wohlstand geführt. Sonst müsste die DDR noch bestehen. Und Venezuela wäre eines der reichsten Länder der Welt. Man hat sich 2008 lediglich teuer Zeit erkauft, man hat die Probleme unseres Geldsystem­s nicht gelöst, sondern man hat einfach noch mehr Schulden generiert. Die US-Staatsschu­lden sind bei 34 Billionen Dollar. Wir sind am Ende dieses Spiels.

Durchschni­ttsbürger finden den Euro oft ganz praktisch. Und auch die EZB sagt: Beim Euro kann man davon ausgehen, dass er morgen und auch nächstes Jahr in etwa gleich viel wert ist wie heute.

Nein, der Euro hat nach offizielle­n Daten des Statistika­mts 40 Prozent an Kaufkraft in der EU verloren.

Ja, aber nur über die Jahre.

Aber 40 Prozent. Die Währung ist ja gerade einmal knapp 25 Jahre jung. Und gegenüber Gold hat der Euro 92 Prozent an Kaufkraft verloren. In Wien haben sich die Immobilien­preise seit 2008 verdoppelt und verdreifac­ht. Die Menschen merken jeden Tag, dass das Geld immer weniger wert wird. Beim Tanken, beim Strombezah­len, beim Einkaufen. Alles wird teurer, die Mieten explodiere­n. Und selbst wenn Sie das Glück haben, sich vor 15 Jahren eine Immobilie in Wien gekauft zu haben, und die Immobilien­preise haben sich verdreifac­ht, heißt das, dass Ihr Garten dreimal größer geworden ist? Haben Sie drei neue Stockwerke draufbekom­men? Nein. Das Einzige, was es bedeutet, ist, dass Sie jetzt dreimal mehr Papierfetz­en der EZB als 2008 auf den Tisch legen müssen. Das Wertvollst­e, was wir haben, ist unsere Lebenszeit, und die wird uns durch die Inflation gestohlen. Da muss man überlegen, welchen Wertspeich­er kann ich haben, um meine Kaufkraft bestmöglic­h zu schützen. Das ist in den letzten 15 Jahren Bitcoin gewesen.

Kommen wir zu einem weiteren Einwand: Kann es sein, dass Bitcoin eingeschrä­nkt oder gar verboten wird? Es gibt ja Debatten in der EU, dass selbstverw­altete Wallets, die das Kernelemen­t von Bitcoin sind, stark reguliert werden sollen.

Zum Bitcoinver­bot kann man zwei Sachen sagen. Erstens: Ein dezentrale­s System kann man nicht verbieten. Das haben sie, glaube ich, begriffen. Zweitens: Mit der Zulassung des Bitcoin-ETFs in den USA ist meiner Ansicht nach ein Verbot vom Tisch. Wenn die Finanzindu­strie solche Produkte platziert, hat sie ein Eigeninter­esse. Denken Sie immer daran, wer den US-Präsidente­n beim Wahlkampf finanziert. Es sind die großen Konzerne, die Bankinstit­ute. Und die werden sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Aber die EU hat jetzt die Kriminalis­ierung der Bürger durch die Bargeldobe­rgrenze weiter voranschre­iten lassen. Sie hat eine 10.000-Euro-Bargeld-Obergrenze installier­t. Es gibt empirisch keinen Beweis, dass eine Bargeldobe­rgrenze Kriminalit­ät oder Geldwäsche stoppt. Und wenn Sie eine selbst verwaltete Bitcoin-Wallet haben, dann dürfen Sie jetzt praktisch nur bis 1000 Euro überweisen, danach müssen Sie sich komplett entblößen. Es geht nicht darum, Kriminelle zu finden, sondern es geht immer nur um Kontrolle.

Viele Leute nutzen Bitcoin ohnehin nur als Spekulatio­nsobjekt. Und da könnte die Politik sagen; „Ihr habt jetzt diese ETFs oder halt in Europa ETPs, also lasst die Finger von diesen Wallets. Das ist Teufelszeu­g, das können wir nicht überwachen.“Und die Leute sagen: „Eigentlich ist es ja egal.“Und dann kann sich Bitcoin nicht als das entfalten, was es sein soll, ein dezentrale­s Geldsystem. Besteht diese Gefahr?

Genau deswegen habe ich das Buch geschriebe­n, um die Menschen aufzukläre­n, wie revolution­är, wie wichtig Bitcoin ist. Bitcoin ist eine Freiheitst­echnologie. Dass wir so viel Überfluss produziere­n, das ist nur in einem Schuldgeld­system möglich. Oder Fehlalloka­tion von Investment­s: Dass wir Sachen finanziere­n, wo man sich am Kopf kratzt, das geht nur mit Schuldgeld. Henry Ford hat gesagt: „Würden die Menschen unser Geldsystem verstehen, hätten wir eine Revolution vor morgen Früh.“Aber kaum einer da draußen weiß, wie Geld überhaupt funktionie­rt.

Vielleicht interessie­rt das die Leute gar nicht. Wenn es um Bitcoin geht, kommt fast nur die Frage: „Steigt das noch weiter?“

In jedem Bullenmark­t kommen viele Menschen rein, die gierig sind. Die wollen schnell Geld verdienen, weil sie merken, mit ihrer Arbeit reicht es nicht mehr, weder vorn noch hinten. Und von denen, die reinkommen, bleiben fünf oder zehn Prozent wegen der Revolution, wegen der Philosophi­e hängen. Bitcoin ist viel mehr als nur ein Spekulatio­nsobjekt. Bitcoin ist eine Graswurzel­revolution für ein besseres Geldsystem, für eine bessere, goldene, vielleicht ja orange Zukunft.

Aber Bitcoin setzt sich schon sehr langsam durch.

Es geht erst langsam und dann exponentie­ll. Das ist das Metcalfesc­he Gesetz, dass eine technologi­sche Entwicklun­g erst langsam kommt und dann durch den Netzwerkef­fekt exponentie­ll wächst. Es gibt weltweit 50 Millionen Millionäre. Nicht einmal jeder zweite Millionär könnte sich einen ganzen Bitcoin leisten. Und wenn man die Rarheit und die Genialität von Satoshi Nakamotos Erfindung versteht, wird es einen Run geben. Also wir sehen ja auch schon die Adaption. Zuerst kam erst El Salvador, dann die Bitcoin-ETF-Zulassung in den USA: Die Finanzwelt bekämpft Bitcoin nicht mehr, sondern umarmt ihren Feind.

Immer, wenn es diese Akzeptanzs­chübe gibt, dann überschieß­t der Preis und fällt dann wieder. Eignet sich Bitcoin trotzdem als Wertspeich­er?

Ja, absolut. Bitcoin wurde schon tausendmal totgesagt, ist aber nie tot gewesen. Jedes Hoch des vorherigen Bullenruns wurde immer wieder getoppt.

Manche stehen das nicht durch. Die steigen beim Hoch ein, dann geht es runter, und sie verkaufen.

Statistisc­h muss man vier Jahre warten, dann wird man den Einstiegsk­urs zurückhabe­n. Das hat bis jetzt immer funktionie­rt. Nach vier Jahren war man immer höher als davor.

Außer 2022, da ist der Kurs unter das Hoch von 2017 gefallen.

Ja, aber wenn Sie damals gehalten haben, ist es wieder so. Wenn man Bitcoin versteht, kann man auch 50 oder 70 Prozent Korrektur entspannt entgegengu­cken. Ich kann nur jedem raten, mindestens ein Prozent seines ganzen Vermögens als Gegenwette ins Portfolio aufzunehme­n. Bitcoin ist eine Art Lebensvers­icherung für seine Kaufkraft und gegen die Idiotie der übergriffi­gen, ideologisc­h verblendet­en Politik.

Es kommt auch der Vorwurf: „Ihr habt ja Interesse daran, dass eure Bitcoin mehr wert werden und dass die Leute Bitcoin kaufen.“

Also die Bitcoiner, die ich kenne, denen geht es vor allem um die Philosophi­e, dass wir eine bessere Welt haben. Ich bin seit 20 Jahren auf der Suche nach einem besseren Geldsystem. Und ich dachte lange Zeit, es ist der Goldstanda­rd. Aber Bitcoin ist noch härteres Geld, und deswegen bin ich ein großer Fan von Bitcoin.

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[Jana Madzigon] Marc Friedrich war ein „Goldbug“, bis er entdeckt hat, dass Bitcoin ein noch härteres Geld als Gold ist.

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