„Er bot mir drei Millionen, ich lehnte ab“
Kaffeeröster Josiah Tiner, Sohn eines US-Offiziers, will mit seiner Rösttechnik von Spielberg aus in die Kaffeegeschichte eingehen. Der „Presse“erzählt er von seinem verschlungenen Lebensweg, dem US-Charakter und seinem Geld.
„Die Presse“:
Sie sprechen als Amerikaner steirischen Dialekt? Fast wie ein umgekehrter Frank Stronach.
Josiah Tiner: Ich bin in Kansas geboren und war dort bis zum sechsten Lebensjahr. Dann sind wir vier Kinder mit den Eltern eine Zeit lang quer durch Amerika gereist, weil meine Eltern in ihrer freikirchlichen Community Co-Financiers für ein Gasthofprojekt in Salzburg suchten. Und Anfang der 1990erJahre sind wir in Salzburg gelandet.
Warum Salzburg?
Mein Vater, eigentlich ein Panzerfahrer im Offiziersrang, ließ sich auf der damaligen US-Militärbasis am Chiemsee in Bayern stationieren und diente dort als Militärseelsorger. Gewohnt aber haben wir im Salzburgischen Großgmain, wo meine Eltern eben diesen Gasthof mit 180 Betten gekauft sowie renoviert hatten und bewirtschafteten. Mein Vater pendelte fortan zwischen Gasthof und Militärbasis am Chiemsee. Eine etwas schräge Geschichte, nicht wahr?
Definitiv. Die Militärseelsorge war Vaters Hauptberuf?
Ja, und die Mutter hat den Gasthof mit Pension geführt. Und wir haben geholfen. Unsere Gäste waren vorwiegend englischsprachig – teils direkt aus den USA, teils von den Militärbasen in Deutschland. Das war mein Leben bis 16.
Und dann?
Ging es nach Wien, wo mein Vater im Umfeld der UNO und auch wieder für Militärs weiter als Seelsorger tätig war. Ich besuchte die International Christian School of Vienna. Daneben arbeitete ich in Kaffeehäusern, auch als Barista. Nach einem zweijährigen Musikstudium in Ungarn besuchte ich in Österreich eine Schule für Mediendesign. Da bin ich aber grandios durchgefallen, weil ich ja immer nur von Englischsprachigen umgeben war und daher so gut wie kein Deutsch konnte.
Kommen wir zum Kaffeerösten. Wollten Sie immer schon Unternehmer werden?
Eigentlich ja, das lag in der Familie. Und Kaffee hat mich schon seit unserem Gasthof in Salzburg fasziniert. Wir mussten ja am Hof mithelfen, und mein Job war, um vier in der Früh einzuheizen und das Wichtigste fürs Frühstück herzurichten. Um mich aufzupushen, habe ich mit sieben Jahren begonnen, mir heimlich Kaffee zu machen. Daher kommt die Leidenschaft dafür. Später wollten mein großer Bruder und ich in den USA ein Kaffeehaus eröffnen. Er aber hat geheiratet und wollte dann nicht mehr. Für mich war damit mein Traum zerstört.
Bis Sie selbst in der Obersteiermark Ihr Unternehmen „Jamila Coffee“starteten. Wie kam das?
Kurz nachdem ich meine Frau aus Leoben geheiratet hatte, besuchten uns meine Eltern und haben uns unter anderem eine Packung Kaffee geschenkt. Und als ich den roch, war ich verblüfft, weil er sich von allen anderen unterschied. Der Kaffee stammte von einem Produzenten aus Kalifornien, der ihn nicht mit der herkömmlichen Trommelröstung, sondern mit Heißluftröstung herstellte. Da ist mir ein Licht aufgegangen. Nach einiger Zeit rief ich ihn an und bat, dass er mich zum Meisterröster ausbildet. Er, der einzige Heißluftröster in den USA, sagte zu.
Was macht den Unterschied in der Röstung?
Es ist wie Tag und Nacht. Die Trommelröstung findet im geschlossenen System statt. Bei der Luftrösterei wird ausschließlich mit heißer Luft gearbeitet – mit möglichst wenig Kontakt zu Metall und Blech, damit die Bohnen nicht anbrennen und weniger bitter sind. Mein Lehrer in den USA hat diese Methode immer weiterentwickelt. Und ich dann in der Obersteiermark mit meinen selbstgebauten Maschinen auch. Diese optimierte Form nennt man auch Wirbelschichtröstung, da die Bohne mit Luftdruck quasi in der Schwebe gehalten und so vom heißen Metall ferngehalten wird. Auf dem jahrelangen Experimentierweg bis zu den eigenen Anlagen, die ich heute habe, gab es mehrere Explosionen und Feuer. Und einen harten Kampf mit den Behörden um die Genehmigung. 2008 begann ich dann selbst zu rösten. Aber um alles zu finanzieren, musste ich parallel in anderen Firmen arbeiten. Denn am Anfang produzierte die Maschine gerade einmal zwei Kilo Kaffee pro Stunde.
Ab wann begann dann eine nennenswerte Produktion?
Ab 2012. Richtig rund lief es erst in den vergangenen Jahren. Die eine meiner zwei Maschinen kann im Monat bis zu sechs Tonnen produzieren. Die zweite ist für bis zu 60 Tonnen im Monat konzipiert und kann in absehbarer Zeit in Betrieb gehen. Das ist dann schon auf Großbetriebsniveau – in etwa wie Hornig.
Ich habe gehört, Sie bekamen ein Angebot eines großen deutschen Produzenten, der Ihnen alles abkaufen wollte.
Ja, zwei Großproduzenten, die im Monat so 100.000 Tonnen herstellen, haben sich vor einigen Jahren interessiert. Sie wurden offensichtlich durch Red Bull auf mich aufmerksam, denn ich wollte ursprünglich mit Red Bull ein Joint Venture aufbauen, was dann nicht klappte. Der eine deutsche Produzent arbeitet selbst Richtung Luftrösterei, aber mit Blitzröstung in 30 bis 90 Sekunden. Bei meiner veredelten Wirbelschichtröstung sind es 15 bis 18 Minuten. Das hat ihn interessiert.
Wie viel hat er geboten?
Er bot mir drei Millionen Euro. Ich lehnte ab. Und habe es nie bereut.
Warum?
Wenn man weiß, welches Potenzial vor uns liegt, ist dieser Preis fast eine Beleidigung. Wenn ich meine Kapazität von 66 Tonnen im Monat beizeiten nutze, decke ich immer erst ein Prozent des österreichischen Monatsverbrauchs ab.
Womit man wie viel verdienen kann?
600.000 bis 650.000 Euro Gewinn im Monat. Aber wir bauen sukzessive auf. 2019 machten wir erst 80.000 Euro Umsatz im Jahr, 2023 war es mit sechs Mitarbeitern dann schon sechs Mal so viel. Wir wachsen im Jahr mit 20 bis 30 Prozent. Und bis vor Kurzem nur mit Mundpropaganda.
In der Kaffee-Fachwelt sind die Geschmäcker auch verschieden und viele behaupten wahrscheinlich, den besten Kaffee zu haben. Wie werden Sie eingeordnet?
Schon vor acht Jahren gewann ein Barista mit unserem Kaffee die World-Latte-Art-Championship in Mailand. Damit wurden wir in der Szene bekannter. Viele Kaffeemaschinenhersteller haben daher auch unseren Kaffee in ihren Tests und ihren Programmen. Zuletzt auch die italienische De’Longhi.
Am Standort in Spielberg, einem ehemaligen Gebäude des TextilDiscounters Kik, wurden inzwischen auch ein riesiges Café und ein Seminarraum errichtet . . .
Wir kauften die Fläche im Jänner 2020 und haben hier auf 700 Quadratmetern ausreichend Spielraum.
Das Hauptgeschäft ist die Rösterei. Im Café haben wir pro Tag 200 bis 600 Besucher. Und angeschlossen ist eine Kaffeeschule, wo jährlich 40 bis 50 Schüler zum Thema Kaffee ausbildet werden.
Wie haben Sie das finanziert?
Mit Kredit, was für mich als damals noch US-Staatsbürger hier sehr schwierig war.
Was an Ihnen ist amerikanisch?
Sicher der Ehrgeiz. Dann die Arbeitseinstellung, ich arbeite so gut wie jeden Tag von sieben in der Früh bis acht am Abend. Aber das stört mich nicht. Denn ich liebe das, was ich mache. Und zweitens bin ich zielorientiert. Als leidenschaftlicher Schachspieler überlege ich immer, wie ich auf dem günstigsten Weg zum Ziel gelange.
Sind Österreicher unamerikanisch?
Ich darf eine Mitarbeiterin zitieren, die sagte, dass sie eher der Freizeittyp ist. Ich will nicht sagen, dass das schlimm ist. Aber es unterscheidet sich von meinen Zielen.
Ziel ist, viel Geld zu verdienen?
Nicht unbedingt. Geld ist nicht dafür da, um es gierig nur für sich anzuhäufen. Geld ist wie ein Werkzeug in der Werkbank.
Wofür?
Für vieles. Ich habe von Beginn an das meiste Geld in der Firma belassen, weil sie zum Investieren und Wirtschaften das Geld mehr braucht als ich. Ich sehe mich eher als Sklave der Firma, der möglichst wenig entnimmt. Ich lebe sehr bescheiden. Und ich hoffe, dass ich das Geld auch dann, wenn mehr davon da ist, nicht zum Fenster hinauswerfe. Meine Frau ist übrigens auch in der Firma angestellt.
Worauf müssen Sie derzeit noch verzichten?
Zum Beispiel müssen wir als Familie – ich habe drei Söhne – sehr sparsam sein. Um einmal die Woche gut essen zu gehen, habe ich momentan nicht das Budget, wenn ich die Firma entwickeln will.
Aber Sie wollen in einigen Jahren ja Millionen verdienen. Wozu?
Mein langfristiges Ziel ist ein Kaffeeimperium, wenn man so will. Ich will, dass das Thema Kaffee, der ja das meistkonsumierte Produkt der Welt ist, von den Leuten neu entdeckt wird. Ich möchte mit meiner Röstung einen Meilenstein in der Geschichte des Kaffees setzen. Und ich hoffe, dass sich eines von meinen Kindern dann dafür interessiert.
Haben Leute in Ihrer Umgebung, vielleicht auch Ihre Frau, manchmal gesagt, Sie seien mit Ihrer Tüftelei und Ihren Plänen ein wenig verrückt?
Ja, durchaus viele. Sie sagten: „Joe, vergiss es, vom Kaffee kannst du nicht leben.“Aber meine Frau sagte das nicht. Und für mich hätte es mehr Mut bedeutet, diesen Weg nicht einzuschlagen, als ihn einzuschlagen. Ich habe mit meiner Weiterentwicklung des Kaffeeröstens ja nicht wirklich Konkurrenz. Und seit meine Bekannten vor meinem Kaffeehaus keinen Parkplatz mehr bekommen, halten sie mich auch nicht mehr für verrückt. Jetzt sagen sie, sie hätten eh gewusst, dass es gut laufen wird. Meine Eltern haben immer daran geglaubt. Auch hier kommt die amerikanische Haltung durch: Du musst es ohnehin versuchen, denn wenn du es nicht versuchst, bist du selbst schuld und dumm.