Höchstrichterkür fern vom Sideletter
Just im Wahljahr laufen die Amtszeiten der von Österreich Nominierten an EuGH und Gerichtshof für Menschenrechte aus. Grüne reden bei der Nachfolge aber nur mit.
EU-Kommissar (2024): Nominierungsrecht ÖVP; EuGH (2023): Nominierungsrecht Grüne, EGMR (2023): Nominierungsrecht Grüne. Das wurde, neben vielen anderen Postenbesetzungen, Ende 2019 in einem umstrittenen Sideletter zum Koalitionsabkommen der ersten türkis-grünen Regierung unter dem damaligen Kanzler, Sebastian Kurz, festgehalten. Damit sollte abgemacht werden, wer bei der Vergabe der höchsten Stellen, die Österreich auf europäischer Ebene zu vergeben hat, das Sagen hat.
Während die Nachfolge für EUKommissar Johannes Hahn (ÖVP) erst nach der EU-Wahl virulent wird, ist der Prozess für die in Wahrheit ebenfalls in diesem Wahljahr fälligen (Neu-)Besetzungen am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR, Straßburg) und am Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH, Luxemburg) bereits im Gange. Doch wie steht es dabei um das vereinbarte Nominierungsrecht der Grünen?
Wie „Die Presse“aufgezeigt hat, scheut der kleinere Koalitionspartner ja nicht vor jener Art machtpolitischer Postenvergaben zurück, die er in Opposition gern kritisiert hat. Nur: Im Fall von Straßburg und Luxemburg haben die Grünen die Fäden nicht ganz so in der Hand.
Am EGMR endet die neunjährige Funktionsperiode von Gabriele Kucsko-Stadlmayer am 31. Oktober. Die parteifreie Professorin für Öffentliches Recht von der Uni Wien hat einen hervorragenden Stand in Straßburg: Sie ist das erste österreichische EGMR-Mitglied, das von der Vollversammlung der Richterinnen und Richter aus den 46 Europaratstaaten zur Präsidentin einer der fünf Sektionen gewählt wurde. Die Konvention sieht aber keine Wiederbestellung vor.
Zur Auswahl einer Nachfolge haben Kanzler, Vizekanzler, Außenminister und Justizministerin eine Kommission eingesetzt: Verfassungsdienstchef Albert Posch, Völkerrechtsbüroleiter Konrad Bühler, VfGH-Mitglied Ingrid Siess
Scherz (SPÖ-Ticket) sowie BokuProfessor und VfGH-Ersatzmitglied (grünes Ticket) Daniel Ennöckl. Die vier wiederum haben nach Hearings mit mehr als einem Dutzend Bewerbern eine Dreierliste zusammengestellt: Gregor Heißl, Richter am Landesverwaltungsgericht Tirol, Ursula Kriehbaum, Professorin für Internationales Recht an der Uni Wien, und Brigitte Ohms, Leiterin des Referats Menschenrechtsschutz im Verfassungsdienst.
Politische Zugehörigkeiten sind bei dem Trio nicht bekannt und haben dem Vernehmen nach bei den Beratungen der Kommission keine Rolle gespielt. Die Reihung folgt, wie vom Europarat für die Nominierung gefordert, lediglich dem Alphabet. Beobachter geben Kriehbaum (Jg. 1971), einer ausgewiesenen unabhängigen Menschenrechtsexpertin, die besten Chancen. Für Ohms (Jg. 1961) könnten die Zugehörigkeit zur Verwaltung und ihr vielfaches Auftreten als Prozessvertreterin Österreichs in Verfahren vor dem EGMR nachteilig wirken: In Straßburg wird Regierungsferne bei Richtern geschätzt. Heißl (Jg. 1978), „Presse“Lesern als früherer Rechtspanorama-Gastautor bekannt, dürfte eher Außenseiter-Chancen haben.
Der Dreiervorschlag geht jedenfalls bis spätestens 13. Februar zur Vorprüfung an den Beratenden Expertenausschuss des Europarats, ehe ein Richterwahlausschuss von dessen Parlamentarischer Versammlung (zufällig unter Vorsitz der SPÖ-Abgeordneten Petra Bayr) nach Hearings in Englisch und Französisch seine Empfehlungen für die Wahl im Plenum abgibt. Bis dahin hat sich die Einflussmöglichkeit der Grünen freilich wohl vollends verflüchtigt.
Kumin bewirbt sich wieder
Ähnlich verhält es sich mit der Kür des österreichischen EuGH-Mitglieds, wenn auch aus anderen Gründen. In Luxemburg endet die (sechsjährige) Funktionszeit von Andreas Kumin (Jg. 1965) zwar ebenfalls im Herbst, doch kann sie erneuert werden. Auch hier ist die Bewerbungsfrist abgelaufen. Unter den vier Kandidaturen, die der Regierung vorliegen, sticht eine besonders hervor: jene Kumins.
Üblicherweise werden EuGHRichter, die sich erneut bewerben, wiederbestellt. So gesehen stand das sogenannte Nominierungsrecht der Grünen von vornherein auf schwachen Beinen; am ehesten hätte es greifen können, wenn Kumin
sich nicht für eine Verlängerung interessiert hätte. So aber müsste die Regierung schon sehr gute Gründe finden, warum sie Kumin nicht länger in Luxemburg haben will. Der frühere Europarechtsprofessor an der Uni Graz und Leiter der Abteilung Europarecht im Völkerrechtsbüro ist am EuGH bestens eingearbeitet, und das ist angesichts einer Welle altersbedingter Verabschiedungen am EU-Höchstgericht zurzeit wichtiger denn je.
Von Wiederbestellungen abgesehen kann auch die Nominierung von EuGH-Mitgliedern für die Regierung schwer steuerbare Wendungen nehmen: Kumin hatte 2018 einspringen müssen, nachdem der türkis-blauen Regierung ihre Favoritin abhandengekommen war. Katharina Pabel, heute stellvertretende Vorständin des Instituts für Europarecht und Internationales Recht der WU Wien, hatte ihre Bewerbung nach dem Hearing des „Ausschusses nach Artikel 255“überraschend zurückgezogen. Der Ausschuss prüft die Kandidaturen, ehe die EU-Staaten über die Richterernennung entscheiden. Drei Jahre zuvor hatte sich Pabel um den EGMR beworben und war ex aequo mit Kucsko-Stadlmayer erstgereiht, aber nicht gewählt worden.