„Djoković wird sich etwas überlegen“
Barbara Schett-Eagle über die mögliche Wachablöse in Melbourne, neue Rivalitäten im Damentennis und Dominic Thiems Krise. „Irgendetwas belastet ihn.“
Die Presse: Die Australian Open sind Geschichte, die Tenniswelt spricht aber immer noch über das bemerkenswerte Ausscheiden von Novak Djoković im Halbfinale gegen den späteren Champion Jannik Sinner. Kam dieses Spiel einer Wachablöse gleich? Barbara Schett-Eagle: Djoković hat zum ersten Mal seit über 2000 Tagen in Melbourne ein Match verloren, das sagt schon viel aus. Natürlich war Sinner hervorragend, aber Djoković hat Fehler begangen, die man so nicht von ihm kennt. Ich habe ihn noch nie so energielos gesehen. Auch seine Körpersprache war seltsam. Er war nicht er selbst auf dem Platz.
Denken Sie, die körperlichen und mentalen Belastungen eines zweiwöchigen Grand Slam waren ausschlaggebend?
Er wird im Mai 37. Da wird nichts mehr einfacher, dafür der Kopf langsamer. Die Frage lautet also, wie lang er noch auf dem Niveau der letzten Jahre spielen kann. Ich will Djoković nicht abschreiben, aber vielleicht ist wirklich die Zeit für eine Wachablöse gekommen.
Dennoch reden wir hier nur von einem Spiel,von einer Momentaufnahme. Djoković hat drei der vergangenen fünf Grand Slams gewonnen.
Man darf den Teufel nicht an die Wand malen. Ich glaube auch, dass Djoković noch einiges zu geben hat. Vielleicht nicht noch zwei, drei Jahre, aber 2024 mit Sicherheit noch. Die French Open werden bestimmt etwas schwieriger für ihn, aber wir alle wissen, wie schwer er zum Beispiel in Wimbledon zu schlagen ist. Djoković wird sich sicherlich etwas überlegen.
Die Sorge, der Tennisszene könnten nach den „Big Three“um Djoković, Roger Federer und Rafael Nadal die Typen abhandenkommen, hat sich nicht bewahrheitet. Oder sehen Sie das anders?
Um das Männertennis muss man sich überhaupt keine Sorgen machen. Es gibt so viele unterschiedliche Persönlichkeiten, die noch dazu völlig konträres Tennis spielen.
Sinner gegen Alcaraz hätte das Potenzial zum Klassiker, könnte das neue Federer gegen Nadal werden.
Und vielleicht kommt noch ein Dritter dazu, wie es bei den „Big Three“der Fall war. Du brauchst diese Rivalitäten, um das Beste aus dir herauszuholen, dich zu entwickeln. Federer, Nadal und Djoković wären niemals so gut geworden, wenn sie sich nicht als Konkurrenten gehabt hätten. Sie haben sich gegenseitig gepusht. Dass ein Trio aber nochmals 24, 22 und 20 Grand Slams gewinnt, bezweifle ich.
Was fehlt Dominic Thiem aktuell zur Weltspitze? Die Schläge, das richtige Mindset?
Es ist eine Kombination aus beidem. Das Selbstvertrauen ist nicht da, es gibt Zweifel. Für ihn ist der Prozess sicherlich frustrierend, seine Vorhand seit der Handgelenksverletzung flacher und fehleranfälliger. Es sind Nuancen, die einfach nicht passen. Ich weiß nicht, was in seinem Kopf vorgeht. Aber ich habe immer das Gefühl, dass er einfach nicht befreit spielt. Dass ihn irgendetwas belastet. Es fehlt diese Lockerheit. Umso wichtiger ist es, dass er mit einem Sportpsychologen zusammenarbeitet.
Bei den Damen scheint der Trend wieder hin zum Powertennis à la Aryna Sabalenka zu gehen.
Sabalenka spielt schnörkellos, sucht den Weg ans Netz, was mir gefällt. Sie wird aber nie eine sein, die die große Finesse an den Tag legt. Zu meiner aktiven Zeit gab es Hingis und Mauresmo mit der feineren Klinge auf der einen und die Williams-Schwestern oder Davenport auf der anderen Seite. Natürlich würde ich mir wünschen, dass es noch mehr unterschiedliche Typen von Spielerinnen gibt, die Zeiten im Damentennis sind aber spannende. Es entwickelt sich gerade eine Rivalität zwischen Sabalenka und Gauff. Auch Śiwątek und Rybakina können da mitmischen.
Heute beginnt das Upper Austria Ladies in Linz, es ist erstmals ein WTA-500-Event. Welche Folgen hat diese Aufwertung?
Das Turnier wird in 160 Ländern übertragen, ist weltweit präsent. Es profitieren alle, natürlich ist es auch für die Spielerinnen noch attraktiver. Linz hatte immer schon das Flair eines 500ers. Es braucht jetzt vielleicht ein paar Jahre, um diesen Status voll zu etablieren.