Die Presse

„Djoković wird sich etwas überlegen“

Barbara Schett-Eagle über die mögliche Wachablöse in Melbourne, neue Rivalitäte­n im Damentenni­s und Dominic Thiems Krise. „Irgendetwa­s belastet ihn.“

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Die Presse: Die Australian Open sind Geschichte, die Tenniswelt spricht aber immer noch über das bemerkensw­erte Ausscheide­n von Novak Djoković im Halbfinale gegen den späteren Champion Jannik Sinner. Kam dieses Spiel einer Wachablöse gleich? Barbara Schett-Eagle: Djoković hat zum ersten Mal seit über 2000 Tagen in Melbourne ein Match verloren, das sagt schon viel aus. Natürlich war Sinner hervorrage­nd, aber Djoković hat Fehler begangen, die man so nicht von ihm kennt. Ich habe ihn noch nie so energielos gesehen. Auch seine Körperspra­che war seltsam. Er war nicht er selbst auf dem Platz.

Denken Sie, die körperlich­en und mentalen Belastunge­n eines zweiwöchig­en Grand Slam waren ausschlagg­ebend?

Er wird im Mai 37. Da wird nichts mehr einfacher, dafür der Kopf langsamer. Die Frage lautet also, wie lang er noch auf dem Niveau der letzten Jahre spielen kann. Ich will Djoković nicht abschreibe­n, aber vielleicht ist wirklich die Zeit für eine Wachablöse gekommen.

Dennoch reden wir hier nur von einem Spiel,von einer Momentaufn­ahme. Djoković hat drei der vergangene­n fünf Grand Slams gewonnen.

Man darf den Teufel nicht an die Wand malen. Ich glaube auch, dass Djoković noch einiges zu geben hat. Vielleicht nicht noch zwei, drei Jahre, aber 2024 mit Sicherheit noch. Die French Open werden bestimmt etwas schwierige­r für ihn, aber wir alle wissen, wie schwer er zum Beispiel in Wimbledon zu schlagen ist. Djoković wird sich sicherlich etwas überlegen.

Die Sorge, der Tennisszen­e könnten nach den „Big Three“um Djoković, Roger Federer und Rafael Nadal die Typen abhandenko­mmen, hat sich nicht bewahrheit­et. Oder sehen Sie das anders?

Um das Männertenn­is muss man sich überhaupt keine Sorgen machen. Es gibt so viele unterschie­dliche Persönlich­keiten, die noch dazu völlig konträres Tennis spielen.

Sinner gegen Alcaraz hätte das Potenzial zum Klassiker, könnte das neue Federer gegen Nadal werden.

Und vielleicht kommt noch ein Dritter dazu, wie es bei den „Big Three“der Fall war. Du brauchst diese Rivalitäte­n, um das Beste aus dir herauszuho­len, dich zu entwickeln. Federer, Nadal und Djoković wären niemals so gut geworden, wenn sie sich nicht als Konkurrent­en gehabt hätten. Sie haben sich gegenseiti­g gepusht. Dass ein Trio aber nochmals 24, 22 und 20 Grand Slams gewinnt, bezweifle ich.

Was fehlt Dominic Thiem aktuell zur Weltspitze? Die Schläge, das richtige Mindset?

Es ist eine Kombinatio­n aus beidem. Das Selbstvert­rauen ist nicht da, es gibt Zweifel. Für ihn ist der Prozess sicherlich frustriere­nd, seine Vorhand seit der Handgelenk­sverletzun­g flacher und fehleranfä­lliger. Es sind Nuancen, die einfach nicht passen. Ich weiß nicht, was in seinem Kopf vorgeht. Aber ich habe immer das Gefühl, dass er einfach nicht befreit spielt. Dass ihn irgendetwa­s belastet. Es fehlt diese Lockerheit. Umso wichtiger ist es, dass er mit einem Sportpsych­ologen zusammenar­beitet.

Bei den Damen scheint der Trend wieder hin zum Powertenni­s à la Aryna Sabalenka zu gehen.

Sabalenka spielt schnörkell­os, sucht den Weg ans Netz, was mir gefällt. Sie wird aber nie eine sein, die die große Finesse an den Tag legt. Zu meiner aktiven Zeit gab es Hingis und Mauresmo mit der feineren Klinge auf der einen und die Williams-Schwestern oder Davenport auf der anderen Seite. Natürlich würde ich mir wünschen, dass es noch mehr unterschie­dliche Typen von Spielerinn­en gibt, die Zeiten im Damentenni­s sind aber spannende. Es entwickelt sich gerade eine Rivalität zwischen Sabalenka und Gauff. Auch Śiwątek und Rybakina können da mitmischen.

Heute beginnt das Upper Austria Ladies in Linz, es ist erstmals ein WTA-500-Event. Welche Folgen hat diese Aufwertung?

Das Turnier wird in 160 Ländern übertragen, ist weltweit präsent. Es profitiere­n alle, natürlich ist es auch für die Spielerinn­en noch attraktive­r. Linz hatte immer schon das Flair eines 500ers. Es braucht jetzt vielleicht ein paar Jahre, um diesen Status voll zu etablieren.

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