Die Presse

Es ist ziemlich langweilig im 22. Jahrhunder­t

„Die Angestellt­en“, ein Stück nach einem „Roman über Arbeit“von Olga Ravn, zeichnet ein Ende der Welt in Ödnis. Die Form entspricht diesem Inhalt. Immerhin zeichnet Regisseur Alexander Giesche schöne, melancholi­sche Bilder.

- VON THOMAS KRAMAR

Es gibt drei Grundtypen von endzeitlic­hen Szenarien. Erstens die jähe Wendung ins Paradiesis­che, sei es irdisch, sei es himmlisch: Diese Vision ist uns spätestens im 20. Jahrhunder­t verloren gegangen. Zweitens das schrecklic­he Ende, die Katastroph­e, „with a bang, not a whimper“, wie’s bei T. S. Eliot heißt.

Drittens, ebenfalls eine Dystopie, das langsame Abkühlen: kein Knall, sondern ein Wimmern, während es immer öder wird, alles immer mehr im Gleichgewi­cht ist, ausgeglich­en und kraftlos. Wenn sich das Weltall immer weiter ausdehnt, bis die letzten Sterne aus dem Blick verschwind­en, wie es unsere heutige Kosmologie voraussagt. Sie drückt damit ein Lebensgefü­hl aus, das man auch anders beschreibe­n kann: Vom Wärmetod sprachen die Physiker vor 100 Jahren gern; 1979 sangen die Talking Heads vom Himmel als „a place where nothing ever happens“.

Ein Ort, wo nichts mehr passiert, wo man sich bestenfall­s noch zurücksehn­en kann nach der Erde und ihren sinnlichen Freuden und Gefahren. Wo nichts mehr kommt außer viel Zeit und die fast schon libidinöse Aussicht auf finale „Terminieru­ng“. Das ist das Szenario in „Die Angestellt­en“, der Romandrama­tisierung, die jetzt im Volkstheat­er Premiere hatte.

Teils Menschen, teils Humanoide

Wobei beide Wortbestan­dteile, Roman und Dramatisie­rung, nicht wirklich zutreffen. Der „Roman über Arbeit im 22. Jahrhunder­t“der dänischen Autorin Olga Ravn ist eine Sammlung von über 170 unzusammen­hängenden „Zeugenauss­agen“, teils von Menschen, teils von Humanoiden, über das freud- und hoffnungsl­ose Leben auf einem Raumschiff, das die Erde längst hinter sich hat und nach einem

Planeten namens Neuentdeck­ung strebt. Regisseur Alexander Giesche hat die 170 Zeugen zwar zu sieben Personen verschmolz­en, die aber nicht wirklich Charaktere ergeben. Schon gar nicht lehnen sie sich ernsthaft gegen das Fatum bzw. den Willen der Mächtigen auf, wie es die Hauptfigur­en in klassische­n Dystopien wie „1984“oder „Brave New World“tun.

Sie wimmern nur. Vor allem ist ihnen fad. Diesem Inhalt entspricht fast perfekt die Form des Stücks: Es verhehlt nicht die Absicht, die Ödnis eines Endes in maximaler Entropie darzustell­en. Mit zwei Paradoxien: Erstens ist der theatralis­che Aufwand für die Darstellun­g des konsequent Nichtdrama­tischen eminent und teilweise beeindruck­end,

davon später. Zweitens reden die Figuren ständig von Arbeit, die ihr Leben präge, auch das Programmhe­ft verheißt ein Stück über die Arbeit der Zukunft, eine „Satire auf Weltraumka­pitalismus und Work-Life-Balance“.

Doch von Arbeit, egal, wie entfremdet, ist nichts zu sehen. In der kleinen Welt ihres Raumschiff­s haben die sieben Personen alle Zeit der Welt. Vor allem für nachdenkli­che, selbstrefl­exive Monologe. Aber auch für ein elend langes „Memory“-Spiel mit Emoji-Motiven, zu dem die Akteure unter anderem über den Friedhof der Namenlosen in Albern plaudern. Ewiges Wien …

Zeit ist auch, schon zu Beginn, für eine ebenso ausgedehnt­e Tanzeinlag­e zu Techno, wie man ihn Ende der 1990er-Jahre mochte.

Überhaupt sieht es im 22. Jahrhunder­t, wie es Giesche auf die Bühne bringt, ein bisschen wie in jenem Jahrzehnt aus, in dem die Populärkul­tur zum (bisher) letzten Mal an die Zukunft dachte und Party machte, als ob es schon 1999 wäre. Grauer Boden wie aus Marsgestei­n. Eine metallene Stiege ins Nirgendwo. Eine abstrakte Skulptur wie von einem Henry-Moore-Epigonen. Kleider aus glänzendem Plastik. Eine Kamera, die den Akteuren ihre eigenen Bilder rückfütter­t: Tanz die Überwachun­g! Aber langsam.

Am Ende kommt der Nebel

Wer ist Mensch und wer Humanoid? Wer Schöpfer, wer Geschöpf? Kann man das noch unterschei­den? Die Regie sagt : nicht am Aussehen, nicht an den Bewegungen. Nur an den Träumen, die sie erzählen. Die Menschen träumen von der Erde; ein Humanoid träumt davon, dass er im Begriff sei, sich selbst zu erschaffen. Manche glauben an die Zukunft; keiner weiß wirklich, was damit gemeint sein soll. Gerüche spielen eine große Rolle, einmal kauern alle beisammen und erraten Düfte. Als das Ende naht, ganz langsam natürlich, wird Nebel versprüht und legt sich über die Bühne, dann über den ganzen Saal. Das Licht bricht sich morgendlic­h im Nebel: ein schöner Effekt.

Überhaupt zeichnet Alexander Giesche oft schöne, meist melancholi­sche Bilder. Die manchmal an Popkonzert-Inszenieru­ngen erinnern, aber nicht an die rasanten ZirkusSzen­arien der 1990er, eher an frühe Pink Floyd. Das kann er. Leider ist die Minimal Music, die er zuspielen lässt, nicht von entspreche­nder Faszinatio­nskraft. Aber vielleicht ist das ja gewollt? Wer Fadesse darstellen will, muss mit allen Mitteln arbeiten. Das Ergebnis ist dann eben – fad. Bei der Premiere verließen etliche vorzeitig den schon zu Beginn nicht vollständi­g gefüllten Saal.

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[Volkstheat­er] Sieben Personen suchen die Zukunft: „Die Angestellt­en“im Volkstheat­er.

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