Es ist ziemlich langweilig im 22. Jahrhundert
„Die Angestellten“, ein Stück nach einem „Roman über Arbeit“von Olga Ravn, zeichnet ein Ende der Welt in Ödnis. Die Form entspricht diesem Inhalt. Immerhin zeichnet Regisseur Alexander Giesche schöne, melancholische Bilder.
Es gibt drei Grundtypen von endzeitlichen Szenarien. Erstens die jähe Wendung ins Paradiesische, sei es irdisch, sei es himmlisch: Diese Vision ist uns spätestens im 20. Jahrhundert verloren gegangen. Zweitens das schreckliche Ende, die Katastrophe, „with a bang, not a whimper“, wie’s bei T. S. Eliot heißt.
Drittens, ebenfalls eine Dystopie, das langsame Abkühlen: kein Knall, sondern ein Wimmern, während es immer öder wird, alles immer mehr im Gleichgewicht ist, ausgeglichen und kraftlos. Wenn sich das Weltall immer weiter ausdehnt, bis die letzten Sterne aus dem Blick verschwinden, wie es unsere heutige Kosmologie voraussagt. Sie drückt damit ein Lebensgefühl aus, das man auch anders beschreiben kann: Vom Wärmetod sprachen die Physiker vor 100 Jahren gern; 1979 sangen die Talking Heads vom Himmel als „a place where nothing ever happens“.
Ein Ort, wo nichts mehr passiert, wo man sich bestenfalls noch zurücksehnen kann nach der Erde und ihren sinnlichen Freuden und Gefahren. Wo nichts mehr kommt außer viel Zeit und die fast schon libidinöse Aussicht auf finale „Terminierung“. Das ist das Szenario in „Die Angestellten“, der Romandramatisierung, die jetzt im Volkstheater Premiere hatte.
Teils Menschen, teils Humanoide
Wobei beide Wortbestandteile, Roman und Dramatisierung, nicht wirklich zutreffen. Der „Roman über Arbeit im 22. Jahrhundert“der dänischen Autorin Olga Ravn ist eine Sammlung von über 170 unzusammenhängenden „Zeugenaussagen“, teils von Menschen, teils von Humanoiden, über das freud- und hoffnungslose Leben auf einem Raumschiff, das die Erde längst hinter sich hat und nach einem
Planeten namens Neuentdeckung strebt. Regisseur Alexander Giesche hat die 170 Zeugen zwar zu sieben Personen verschmolzen, die aber nicht wirklich Charaktere ergeben. Schon gar nicht lehnen sie sich ernsthaft gegen das Fatum bzw. den Willen der Mächtigen auf, wie es die Hauptfiguren in klassischen Dystopien wie „1984“oder „Brave New World“tun.
Sie wimmern nur. Vor allem ist ihnen fad. Diesem Inhalt entspricht fast perfekt die Form des Stücks: Es verhehlt nicht die Absicht, die Ödnis eines Endes in maximaler Entropie darzustellen. Mit zwei Paradoxien: Erstens ist der theatralische Aufwand für die Darstellung des konsequent Nichtdramatischen eminent und teilweise beeindruckend,
davon später. Zweitens reden die Figuren ständig von Arbeit, die ihr Leben präge, auch das Programmheft verheißt ein Stück über die Arbeit der Zukunft, eine „Satire auf Weltraumkapitalismus und Work-Life-Balance“.
Doch von Arbeit, egal, wie entfremdet, ist nichts zu sehen. In der kleinen Welt ihres Raumschiffs haben die sieben Personen alle Zeit der Welt. Vor allem für nachdenkliche, selbstreflexive Monologe. Aber auch für ein elend langes „Memory“-Spiel mit Emoji-Motiven, zu dem die Akteure unter anderem über den Friedhof der Namenlosen in Albern plaudern. Ewiges Wien …
Zeit ist auch, schon zu Beginn, für eine ebenso ausgedehnte Tanzeinlage zu Techno, wie man ihn Ende der 1990er-Jahre mochte.
Überhaupt sieht es im 22. Jahrhundert, wie es Giesche auf die Bühne bringt, ein bisschen wie in jenem Jahrzehnt aus, in dem die Populärkultur zum (bisher) letzten Mal an die Zukunft dachte und Party machte, als ob es schon 1999 wäre. Grauer Boden wie aus Marsgestein. Eine metallene Stiege ins Nirgendwo. Eine abstrakte Skulptur wie von einem Henry-Moore-Epigonen. Kleider aus glänzendem Plastik. Eine Kamera, die den Akteuren ihre eigenen Bilder rückfüttert: Tanz die Überwachung! Aber langsam.
Am Ende kommt der Nebel
Wer ist Mensch und wer Humanoid? Wer Schöpfer, wer Geschöpf? Kann man das noch unterscheiden? Die Regie sagt : nicht am Aussehen, nicht an den Bewegungen. Nur an den Träumen, die sie erzählen. Die Menschen träumen von der Erde; ein Humanoid träumt davon, dass er im Begriff sei, sich selbst zu erschaffen. Manche glauben an die Zukunft; keiner weiß wirklich, was damit gemeint sein soll. Gerüche spielen eine große Rolle, einmal kauern alle beisammen und erraten Düfte. Als das Ende naht, ganz langsam natürlich, wird Nebel versprüht und legt sich über die Bühne, dann über den ganzen Saal. Das Licht bricht sich morgendlich im Nebel: ein schöner Effekt.
Überhaupt zeichnet Alexander Giesche oft schöne, meist melancholische Bilder. Die manchmal an Popkonzert-Inszenierungen erinnern, aber nicht an die rasanten ZirkusSzenarien der 1990er, eher an frühe Pink Floyd. Das kann er. Leider ist die Minimal Music, die er zuspielen lässt, nicht von entsprechender Faszinationskraft. Aber vielleicht ist das ja gewollt? Wer Fadesse darstellen will, muss mit allen Mitteln arbeiten. Das Ergebnis ist dann eben – fad. Bei der Premiere verließen etliche vorzeitig den schon zu Beginn nicht vollständig gefüllten Saal.