Die drohende Anarchie auf den Meeren der Welt
Die Angriffe der Houthis auf Frachtschiffe zeigen auf, wie verletzlich die Adern des internationalen Handels über die Ozeane sind.
Das Rote Meer ist zum Aufzugsgebiet für Kriegsschiffe aus vieler Herren Länder geworden. Vor der Meerenge zwischen Jemen auf der Arabischen Halbinsel und Djibouti am Horn von Afrika, dem sogenannten Tor der Tränen (Bab el-Mandeb), stauen sich Tanker, Container- und Frachtschiffe, die in Richtung Suezkanal fahren wollen. Die Kriegsschiffe sollen ihre Fahrt dorthin absichern, die Handelsschiffe gegen mögliche Angriffe verteidigen.
Seit November greifen die jemenitischen Houthi-Rebellen im Roten Meer Handelsschiffe mit angeblichen Verbindungen zu Israel mit Raketen und Marschflugkörpern an; ein Frachtschiff haben die Rebellen sogar gekapert.
Die Houthis sind ein Teil der „Achse des Widerstands“. Sie nimmt zum Beistand der durch die israelische Militäroperation im Gazastreifen schwer in Bedrängnis geratenen palästinensischen Terrorgruppe Hamas seit Monaten israelische und amerikanische Ziele ins
Visier. Neben den Houthis, der Hamas, dem Islamischen Djihad, den irakischen Volksmobilisierungseinheiten gehört zu dieser Achse auch die libanesische Hisbollah als militärisch stärkste Kraft. Zusammengehalten wird die Achse durch ihren Hass auf Israel und die USA.
Der Iran unterstützt zwar alle diese Gruppen militärisch, technisch und finanziell. Doch bezweifeln Experten, dass diese nicht staatlichen Akteure ausschließlich auf Pfiffe aus Teheran hin aktiv werden. Geplant und koordiniert werden militärische Aktionen weniger aus Teheran, vielmehr – wenn überhaupt – von der Hisbollah.
Insofern wäre internationaler Druck, um den Störmanövern der
Houthis gegen den Welthandel Einhalt zu gebieten, wohl auf die Hisbollah und weniger auf das Mullahregime in Teheran auszuüben. Doch wird das vermutlich nicht geschehen – allein schon, weil es aussichtslos erscheint.
Also versuchen es Amerikaner und Briten seit dem 11. Jänner mit gezielten Luftschlägen auf Raketenabschussvorrichtungen, Waffenlager und die militärische Infrastruktur der Houthis. Das eine oder andere Ziel haben diese Angriffe auch gewiss zerstört, dennoch greifen die Houthis weiter Schiffe im Roten Meer an und zeigen sich bisher durch den internationalen Flottenauflauf dort nicht sonderlich eingeschüchtert.
Zehn, nach anderen Quellen zwölf Prozent des Welthandels werden durch diese zentrale Meeresverbindung zwischen Indischem Ozean und Mittelmeer abgewickelt. Insbesondere für den Handel zwischen der Volksrepublik China und Europa ist diese Verbindung von fundamentaler Bedeutung.
Insofern ist mehr als verwunderlich, dass man aus Peking so gut wie nichts über die Houthi-Angriffe auf diese Ader des Welthandels hört, es auch keine militärischen Schutzmaßnahmen der Chinesen für die Handelsschifffahrt im Roten Meer gibt. Als ob die chinesischen Kommunisten die westlichen Kriegsschiffe die Drecksarbeit machen ließen, damit ihre Handelsgeschäfte weiter florieren können. Also ein weiteres Beispiel dafür, was von der Volksrepublik als künftiger Führungsmacht der Welt zu erwarten wäre: weltpolitische Verantwortungslosigkeit.
Das aufmüpfige Treiben der Houthis führt zu höheren Versicherungskosten für die Handelsschiffe, längeren Transportzeiten, weil etliche Reedereien jetzt das Rote Meer meiden und ihre Schiffe rund um Afrika schicken. Insgesamt wird der Seetransport teurer, das wird auch noch die Preise für die transportierten Produkte in die Höhe treiben.
Schüsse ins eigene Knie
Vor allem aber schießen sich die Houthis mit ihren Angriffen auf Handelsschiffe selbst ins Knie, wie der Londoner „Economist“urteilte. Jemen, durch fast zehn Jahre Bürgerkrieg ohnedies völlig verarmt, ist zu 80 Prozent auf Nahrungsmittelimporte angewiesen, die überwiegend per Schiff über den Hafen Hodeiah am Roten Meer erfolgen. Aber viele Schiffe laufen den Hafen wegen der schießwütigen Houthis inzwischen nicht mehr an.
Folge, so der „Economist“: „Das heißt höhere Lebensmittelpreise in einem Land, in dem sich die meisten Einwohner das Essen ohnedies schon nicht mehr leisten können (…). Zwei Drittel der Jemeniten sind auf Hilfe von außen angewiesen, um zu überleben. Die Houthis blockieren mit ihren Angriffen also weniger Israel, als vielmehr ihr eigenes, verzweifelt armes Land.“
Das Rote Meer ist dabei derzeit nicht das einzige Problemgebiet des Welthandels auf den Meeren. Momentan ist der Schiffsverkehr durch den Panamakanal wegen Niedrigwassers stark eingeschränkt. Hier ist die Ausweichroute um das Kap Hoorn noch viel länger als der Umweg um das Kap der Guten Hoffnung.
Das Schwarze Meer ist wie das Rote Meer Kriegsgebiet. Den Ukrainern ist es 2023 gelungen, die russische Schwarzmeerflotte derart zu schwächen, dass sie große Kriegsschiffe aus Sewastopol auf der Krim ins sicherere Noworossijsk in der Region Krasnodar verlegen musste. Mittlerweile können Frachtschiffe auch wieder einigermaßen sicher Getreide aus ukrainischen Schwarzmeerhäfen zu Kunden in aller Welt exportieren.
Imperialistische Ansprüche
Die Taiwan-Straße, durch die die drei Exportgroßmächte China, Japan und Südkorea einen gehörigen Teil ihres Handels abwickeln, steht wegen Pekings Gelüsten, sich die demokratische Insel Taiwan einzuverleiben, unter ständiger Spannung. Die Gefahr, dass die Volksrepublik einen Blockadering um die Insel aufzieht und so diese wichtige Ader des Welthandels abschnürt, ist permanent gegeben.
Inzwischen hat die chinesische Volksbefreiungsarmee die größte Kriegsmarine der Welt. Peking hat diese Flotte nicht nur zur Einschüchterung Taiwans angeschafft, sondern auch, um seine imperialistischen Ansprüche auf das Südchinesische Meer militärisch zu untermauern.
Zwar ist die US Navy der chinesischen Kriegsmarine dank ihrer Flugzeugträger und ihrer U-BootFlotte immer noch überlegen. Aber die Warnungen in Washington vor einem Niedergang der amerikanischen Seemacht und einer erfolgreichen Aufholjagd Chinas sind schrill. Wobei diese Warnungen natürlich auch mit dem Kampf der Teilstreitkräfte um die Aufteilung der Budgetmittel zu tun haben.
Ignoriertes Seerecht
Bleibt noch die Straße von Malakka in Südostasien als weiteres Nadelöhr des Welthandels. Hier sind es immer wieder Piratenüberfälle, die den Schiffsverkehr in dieser Meerenge, die den Pazifischen und den Indischen Ozean verbindet, unsicher machen. Wobei sich auch im Indischen Ozean immer mehr Kriegsschiffe aus immer mehr Ländern tummeln, weil die strategische Bedeutung dieses Meers in den vergangenen Jahren bedeutend zugenommen hat.
Zwar ist der Welthandel über die See enorm gewachsen, keineswegs aber ist parallel dazu auch das internationale Seerecht relevanter geworden. Im Gegenteil: China ignoriert das Urteil des Ständigen Schiedsgerichtshofs in Den Haag zum Südchinesischen Meer; die USA haben den wichtigsten Seerechtsvertrag zwar unterzeichnet, aber nie ratifiziert. Die Angriffe der Houthis auf Handelsschiffe im Roten Meer sind so gesehen nur ein weiterer Schritt auf dem Weg zu zusehends anarchischen Zuständen auf den Weltmeeren.