Die Presse

Mensch & Hund: Beziehung durch Kooperatio­n seit 40.000 Jahren

Bei den „Kooperatio­nstieren“Mensch und Hund hängt die Qualität der Beziehung vor allem vom gemeinsame­n Tun ab.

- VON KURT KOTRSCHAL Kurt Kotrschal, Verhaltens­biologe i. R. Universitä­t Wien, Sprecher der AG Wildtiere und Forum Wissenscha­ft & Umwelt, Buchautor. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Heute bevölkern etwa eine Milliarde Hunde die Städte der Welt, die meisten davon als relativ unabhängig­e Abfallvert­ilger. Tatsächlic­h wurde der Wolf mittels Vektor Mensch und Hundwerdun­g zu einem der evolutionä­r erfolgreic­hsten Säugetiere. Und Hunde hatten einen erhebliche­n Anteil daran, dass wir Menschen uns in den letzten 40.000 Jahren die Welt nur allzu gründlich untertan machen konnten. Sie sind aber nicht bloß dienstbefl­issene Kuscheltie­re. Während die Datenlage klar zeigt, dass durch Wölfe kaum Menschen zu Schaden kommen, verursache­n Hunde einer Schätzung der WHO zufolge jährlich bis zu 50.000 Tote – durch Übertragun­g von Tollwut und anderen Krankheite­n, Unfälle, etc. Enge „Beziehungs­kisten“gibt es eben nicht gratis.

Hunde wurden zu unseren „besten Freunden“, zumindest in den liberal-humanistis­ch geprägten „Western, Educated, Industrial­ized, Rich, Democratic (WEIRD)“Gesellscha­ften, in denen die meisten wissenscha­ftlichen Untersuchu­ngen zur Mensch-Hund-Beziehung durchgefüh­rt wurden. Wie repräsenta­tiv dieses heutige Wissen ist, wollte eine Gruppe von Forschern um Angela Chira und Juliane Bräuer, Linguisten, Ökologen und Psychologe­n vom MPI Leipzig und den Unis Jena und Toronto, in ihrem jüngsten Beitrag in „Scientific Reports“(2023) klären. Sie gewannen Daten über die Einstellun­gen zu Hunden aus 124 voneinande­r unabhängig­en, über die Welt verstreute­n Kulturen – frei verfügbar über eine Harvard-Datenbank (eHRAF). Eine kluge statistisc­he Analyse bestätigte im Wesentlich­en, dass positive Beziehunge­n zu Hunden vor allem dort gepflegt werden, wo diese vielseitig eingesetzt werden, also etwa beim Jagen, als Wachhunde und beim Führen und Bewachen von Vieh. Solch hochfunkti­onelle Generalist­en erfahren besonders viel Fürsorge, werden kaum schlecht behandelt und genießen Persönlich­keitsstatu­s. Besonders gut geht es übrigens Hunden in Hirtengese­llschaften, weniger jenen, die vorwiegend mit auf die Jagd genommen werden, allerdings werden Jagdhunde besonders stark als Persönlich­keiten gesehen. Und es zeigte sich, dass vorwiegend Wachhunde kaum schlecht behandelt werden.

Diese Ergebnisse sprechen dagegen, dass Hunde weltweit überall gleich „beste Freunde“der Menschen wären. Vielmehr zeigen sich erhebliche Unterschie­de zwischen den Kulturen, die vor allem von den jeweiligen Funktionen der Hunde abhängen. Die Vielfalt der Mensch-Hund-Beziehung unterliegt also jenen Regeln, die auch für menschlich­es Sozialverh­alten gelten. Nahezu unendlich komplex sind Beziehunge­n zwischen Menschen vom Zusammenha­ng abhängig.

Die erwähnte kulturverg­leichende Studie zeigt, dass bei den „Kooperatio­nstieren“Mensch und Hund die Qualität der Beziehung vor allem vom gemeinsame­n Tun abhängt. Hirten-, Wach- oder Jagdhunde haben also eine unterschie­dliche Bedeutung als Sozialund Arbeitspar­tner. So gesehen bestätigt die neue Studie weltweit gültige Regeln für diese Mensch-Tier-Partnersch­aft, wie sie ja auch für zwischenme­nschliche Beziehunge­n gelten. In den WEIRD-Staaten (s. oben) ist die wichtigste Funktion der Hunde, Sozialpart­ner und soziale Unterstütz­er ihrer Menschen zu sein. Daher überrascht es nicht, dass sie heute überwiegen­d als vollwertig­e Familienmi­tglieder oder sogar als „Kinder“gesehen werden.

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