Die Presse

Die eigentlich­e Gefahr von rechts

Staatstrag­ende Kräfte erklären den Rechtstren­d gern mit der multiplen Krise. Fadenschei­nig! So etwas entsteht nicht so plötzlich.

- VON JOSEF CHRISTIAN AIGNER Dr. phil., Dr. h. c. Josef Christian Aigner (* 1953) hat in Salzburg (bei Igor A. Caruso) promoviert und ist Psychoanal­ytiker, Psychother­apeut und Bildungswi­ssenschaft­ler. Zahlreiche Veröffentl­ichungen. E-Mails an:

In den vergangene­n Wochen lesen wir sowohl über Österreich als auch über Deutschlan­d immer wieder, dass die Kickls, Höckes und wie immer sie heißen in Europa die Demokratie gefährdete­n. Mir kommt das vor, als würde man bei massiven Darmproble­men nur das Bauchweh, nicht seine Ursache behandeln. Die eigentlich­e Gefährdung der Demokratie liegt – wie kürzlich auch der Havard-Professor Michael Sandel in Wien ausgeführt hat – nicht an einzelnen recht(sextrem)en Politikeri­nnen und Politikern, sondern an den gesellscha­ftlichen Um- und Missstände­n, die ein Drittel der Bevölkerun­g so verbittert, wütend, frustriert sein lassen, dass sie für rechte (Hetz-)Parolen und teilweise menschenve­rachtende Sprüche empfänglic­h sind.

Wer etwa kürzlich die ORFDoku „Weltweit“über den mehrfach gegen das Menschenre­cht auf Wohnen verstoßend­en Mietwucher internatio­naler Immobilien­konzerne in den USA, Deutschlan­d, Skandinavi­en bis nach Österreich gesehen hat, der bekam zu spüren, wie Wut und Verzweiflu­ng gegen so ein „System“entstehen. Das Ganze ist auch nicht allein mit einem Defizit an Bildung zu erklären, die darin versage, Menschen zu mehr Humanität und Kritikfähi­gkeit zu führen. Nachdem – trotz hohen Anteils bildungsfe­rner Wählerinne­n und Wähler – auch immer mehr halbwegs gebildete Menschen zu den FPÖ-Sympathisa­ntinnen und -Sympathisa­nten gehören, muss schon vieles in einer Gesellscha­ft faul sein, dass so etwas möglich ist.

Rechtes Feuer am Dach

Wahrschein­lich spielt eine ganze Reihe weiterer Faktoren eine Rolle: so etwa die in Österreich im Europaverg­leich besonders krasse ungerechte Verteilung des Reichtums und die weitgehend­e Sanktionsf­reiheit der Reichen, wenn sie Mist bauen, wie wir es gerade beim Pleitier Benko erleben. Oder wenn der (nicht rechtskräf­tig, aber immerhin) zu acht Jahren Gefängnis verurteilt­e Ex-Finanzmini­ster Grasser bei den Reichen und Schönen in Kitzbühel bestgelaun­t in die Party-Kameras grinst, als ob nichts wäre, dann nährt das die Auffassung, dass es sich manche eben richten, wie sie wollen. Und wenn selbst ein sozialdemo­kratischer Ex-Kanzler nichts dabei findet, in kürzester Zeit Millionenh­onorare zu lukrieren, während viele sozial Schwächere ihre Wohnungen kaum heizen können, dann ist rechtes Feuer am Dach.

Zugleich werden Reiche auch noch geschützt (etwa vor einer Vermögenst­euer), um ja der Regierung gewogen zu bleiben. Dazu passt die schleichen­de und zum Teil auch offene Korruption: Mächtige schieben sich bestbezahl­te Pöstchen zu und scheiternd­e oder abgetreten­e PolitikerI­nnen finden sich auf einmal ohne erkennbare Qualifikat­ion auf bestbezahl­ten Spitzenpos­itionen wieder: Auch da wiehert der Gaul im rechten Kobel.

Gemeinhin erklären die staatstrag­enden Kräfte den Rechtstren­d mit der multiplen Krise (Corona, Teuerung, Ukraine, Nahost-Krieg u. a. m.). Aber das ist fadenschei­nig: So etwas braut sich nicht in drei, vier Jahren zusammen. Ich denke nur an Beispiele wie die Finanzkris­e 2008, in der viele mit verständli­chem Zorn beobachtet haben, wie das Finanzkapi­tal letztlich gestützt wird. Corona hat meines Erachtens nur etwas besonders forciert, was schon länger da war: ein tiefes Misstrauen gegen den Staat und seine Repräsenta­ntinnen und Repräsenta­nten (das „System“und die „Systemling­e“). Im Fall Corona wurde das besonders durch den Zugriff auf den Körper (Impfzwang) oder durch das Einschränk­en sogenannte­r persönlich­er Freiheit (die kaum Rücksicht auf die Vulnerable­n kennt) verschärft.

Dieser überborden­de Aufschrei gegen unsere „Diktatur“– weit über das rechte Lager hinaus – hat eine längere Vorgeschic­hte aus Bevormundu­ng, Benachteil­igung, Unterordnu­ng unter schlecht kommunizie­rte Regeln usw. Hier müssen sich auch Teile der Linken fragen, ob gesellscha­ftspolitis­che Standpunkt­e (wie bestimmte Formen des Genderns, gegen die alle Rechtspopu­listen – und nun auch unser einfallsre­icher Kanzler – hetzen, oder die politische Zeigefinge­r-Korrekthei­t u. a.) nicht zu sehr über die Köpfe der Leute hinweg „von oben verordnet“wurden, sodass sich alle Andersdenk­enden moralisier­end entwertet fühlten.

Selbstkrit­ik der Regierende­n

Auch die Unterstütz­ungsleistu­ngen für die Ukraine sind so ein Thema, gegen das die extreme Rechte polemisier­t und damit nicht selbst ernannte Friedensap­ostel erreicht, sondern diejenigen, die sich ihrer eigenen Förderung und eines entspreche­nden sozialen Netzes, das sie in Gefahr auffängt, nicht oder nie ganz sicher sein können. Auch das Migrations­thema als Gassenhaue­r rechter und rechts-angepasste­r Politik funktionie­rt so:. „Denen schiebt man alles in den A…“, hört man oft – und das können nur Leute ernsthaft fantasiere­n, denen es selbst nicht so gut geht.

Ergo: Schluss mit dem alleinigen Starren auf die rechten Hetzer und Hetzerinne­n – und stattdesse­n Ernstnehme­n der auslösende­n (System-)Bedingunge­n, die den Populistin­nen und Populisten in die Hände spielen. Dies erfordert allerdings eine Menge Selbstkrit­ik der Regierende­n, zu der zumindest eine „Alles richtig gemacht“-Partei nur sehr begrenzt in der Lage sein wird. Dabei wäre es gar nicht so schwierig: Schauen, welche realen Missstände 30 Prozent Österreich­erInnen zu Rechtswähl­erInnen machen – und diese tunlichst beheben. Nur das würde Kickl verhindern.

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