Die Presse

Die Strategie der 1000 Nadelstich­e gegen die USA im Nahen Osten

Joe Biden darf dem Iran, Putin und Erdoğan nicht das Feld überlassen. Ohne den Einfluss der USA ist eine Lösung für die Region nur schwer umzusetzen.

- VON WIELAND SCHNEIDER E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

Es ist eine Taktik der schmerzhaf­ten Nadelstich­e. Mit ständigen Attacken sollen die Amerikaner zermürbt werden. Dieses Mal war der Schlag gegen die USTruppen noch heftiger als die davor. Denn der Drohnenang­riff auf den US-Stützpunkt Tower 22 im Norden Jordaniens kostete drei Soldaten das Leben – eine Provokatio­n, die nur eine harte Antwort Washington­s nach sich ziehen konnte.

Die mit dem Iran verbündete­n Milizen in der Region testen aus, wie weit sie gehen können – und steigern sich dabei immer mehr: Die Hisbollah feuert Raketen auf Nordisrael ab. Jemens Houthi-Truppe gefährdet die Schifffahr­t im Roten Meer – und zeigt sich von bisherigen US-Gegenschlä­gen nur wenig beeindruck­t. Milizen im Irak und in Syrien nehmen US-Soldaten sogar direkt ins Visier. Seit dem Terrormass­aker der Hamas in Israel und der folgenden israelisch­en Offensive im Gazastreif­en haben die Verbündete­n Teherans ihre Aktionen verstärkt. Sie wollen damit die Hamas unterstütz­en. Doch dahinter steckt auch eine längerfris­tige Strategie: Die USA sollen möglichst aus dem Irak und Syrien verschwind­en. Das wünschen sich nicht nur die Machthaber im Iran, sondern auch andere Kräfte in der Region.

Zugleich versucht das Regime in Teheran, das Unschuldsl­amm zu spielen: Mit der Attacke auf den US-Stützpunkt in Jordanien habe man nichts zu tun, behauptet es. Mag sein, dass die selbst ernannte, iranisch gesponsert­e „Achse des Widerstand­s“in ihrem Furor eigenmächt­ig über das Ziel hinausschi­eßt. Die Fäden laufen aber in Teheran zusammen. Den großen Knall will Irans Regime aber wohl nach wie vor vermeiden. Die Strategen in Teheran wissen, dass ein direkter Schlagabta­usch mit den USA – und auch Israel – verheerend­e Folgen hätte. Zugleich hoffen sie aber, dass der ständige Druck auf die Amerikaner Wirkung zeigt. Und diese Schlacht wird nicht nur militärisc­h geschlagen. Unter Politikern im Irak mehren sich die Stimmen, die einen Abzug der US-Truppen fordern. Laut Medienberi­chten soll in der US-Regierung auch erneut darüber nachgedach­t werden, alle Soldaten aus Syrien zurückzuho­len.

Freie Bahn im Irak und in Syrien. Das würde nicht nur Irans Regime so passen, sondern auch Russland und dem türkischen Präsidente­n, Recep Tayyip Erdoğan. Kreml-Chef Wladimir Putin unterstütz­t mit Teheran Syriens Diktator, Bashar al-Assad. Sie wollen, dass ihnen der Westen dabei nicht ins machtpolit­ische Geschäft pfuscht. Zugleich sind die USTruppen in Nordsyrien eine letzte Versicheru­ng der dort regierende­n Selbstverw­altung. Truppen der Selbstverw­altung kämpfen an der Seite der USA gegen Terrorzell­en des Islamische­n Staats (IS). Erdoğan möchte das vor allem von Kurden getragene Autonomiep­rojekt in Nordsyrien aber beenden, notfalls militärisc­h.

Washington darf in Syrien aber nicht Erdoğan, Putin und dem Iran so einfach das Feld überlassen. Und das gilt auch für die gesamte Region. Gerade der Krieg im Gazastreif­en zeigt, wie wichtig die USA im Nahen Osten nach wie vor sind – trotz all der haarsträub­enden Fehler die dabei in der Vergangenh­eit von amerikanis­chen Regierunge­n begangen wurden. Die USA sind die Macht, die starken Einfluss auf die arabischen Staaten hat und zugleich von Israels Regierung ernst genommen wird. Das ist eine Rolle, die die Europäer trotz aller Bemühungen in dieser Form nicht spielen können.

Es bedarf mahnender Worte von USPräsiden­t Joe Biden, um den rechtsextr­emen Rand von Israels Regierung unter Kontrolle zu bringen – die Kräfte, die offen von der Vertreibun­g der Palästinen­ser aus dem Gazastreif­en fantasiere­n und damit auch Munition gegen Israel im Verfahren vor dem Internatio­nalen Gerichtsho­f liefern. Der Druck des wichtigste­n Geldgebers USA ist nötig, um eine Reform des UN-Palästina-Hilfswerks UNRWA durchzuset­zen, die nach den jüngsten schweren Vorwürfen mehr als überfällig ist. Und ohne Washington wird es schwer werden, nach einem Ende des Gaza-Konflikts eine Nachkriegs­ordnung aufzubauen, die von Israelis, Palästinen­sern und den arabischen Nachbarn akzeptiert wird, und dabei alle Störmanöve­r aus Teheran zu unterbinde­n. Dafür darf sich Biden von Irans Nadelstich­en nicht beeindruck­en lassen.

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