Die Presse

EU-Peitsche statt Zuckerbrot für Ungarn

Europäisch­er Rat. Ungarns Regierungs­chef überspannt den Bogen mit seinem Nein zu Ukraine-Krediten. In Brüssel erwägt man drastische Schritte – bis zu totalem Geldentzug.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Drei Tage vor einem Krisentref­fen des Europäisch­en Rates über die Budgethilf­e für die Ukraine schlug am Montag ein Bericht der „Financial Times“hohe Wellen. Sie zitierte aus einem Brüsseler Papier, welches Maßnahmen skizziert, mit denen die ungarische Volkswirts­chaft durch koordinier­tes Handeln der anderen Mitgliedst­aaten geschädigt werden soll. „In dem Fall, dass es am 1. Februar keine Einigung gibt, würden die anderen Staats- und Regierungs­chefs öffentlich erklären, dass sie es sich nicht vorstellen können, im Licht des unkonstruk­tiven Verhaltens des ungarische­n Ministerpr­äsidenten“weiterhin EU-Förderunge­n für Ungarn zuzustimme­n. Ohne diese Subvention­en jedoch „könnten die Finanzmärk­te sowie europäisch­e und internatio­nale Unternehme­n weniger daran interessie­rt sein, in Ungarn zu investiere­n“. Das könnte „schnell einen weiteren Anstieg der Finanzieru­ngskosten für die Staatsschu­lden und ein Sinken der Währung auslösen.“

Wer genau das Papier verfasst hat, ist unklar. Aus dem Kabinett von Charles Michel, dem Präsidente­n des Europäisch­en Rates, hieß es am Montag, es handle sich „um ein Hintergrun­dpapier, das vom Sekretaria­t des Rates in Eigenveran­twortung verfasst wurde und den Zustand der ungarische­n Volkswirts­chaft darstellt“. Es spiegle nicht den Stand der laufenden Verhandlun­gen über den mehrjährig­en Finanzrahm­en wider, und es skizziere „keinen Plan mit Bezug auf Ungarn“.

Wackelt Ungarns EU-Vorsitz?

Ungarns Regierung reagierte erwartungs­gemäß erbost. „Brüssel setzt Erpressung gegen Ungarn ein, als gäbe es kein Morgen, ungeachtet der Tatsache, dass wir einen Kompromiss angeboten haben“, zürnte Balázs Orbán, Kabinettsc­hef von Ministerpr­äsident Viktor Orbán (die beiden sind nicht miteinande­r verwandt). Europamini­ster János Bóka habe am Samstag einen Kompromiss­vorschlag nach Brüssel geschickt, in dem er sich bereit erklärt, die Hilfskredi­te für die Ukraine doch über das EU-Budget zu finanziere­n.

Zur Erinnerung: Die Europäisch­e Kommission hatte vorgeschla­gen, das ukrainisch­e Budget für die nächsten vier Jahre bis 2027 mit insgesamt 50 Milliarden Euro zu stützen. 33 Milliarden Euro sollten durch erhöhte Mitgliedsb­eiträge der Staaten gedeckt werden, die restlichen 17 Milliarden Euro sollte die Kommission an den Finanzmärk­ten aufnehmen. Bis auf Ungarn sind alle Mitgliedst­aaten dafür, doch es gilt das Einstimmig­keitsprinz­ip.

Ob Ungarn nun tatsächlic­h einlenkt, ist offen. Zwei für gewöhnlich sehr gut informiert­e EU-Diplomaten gaben gegenüber der „Presse“an, weder das Papier aus dem Rat noch den angebliche­n Kompromiss­vorschlag Ungarns gesehen zu haben.

Doch der Ärger über Orbán ist so groß wie nie zuvor. Er hat den Geduldsfad­en mehrerer bisher eher zurückhalt­ender Mitglieder des Europäisch­en Rates zum Reißen gebracht. „Beim letzten Gipfel im Dezember habe ich einige EU-Chefs so irritiert gesehen wie seit Jahren nicht“, sagte einer der EU-Diplomaten. „Handlungen haben Folgen. Ungarn hat vorige Woche seine Haltung betreffend der 50 Milliarden Euro verhärtet.“Zwar sei die juristisch­e Grundlage dafür, Ungarn Subvention­en allein deshalb zu entziehen, weil es eine Politik nicht mitträgt, dünn. „Aber es braucht nur eine qualifizie­rte Mehrheit, um die Reihenfolg­e der EU-Ratsvorsit­ze zu ändern“, fügte der Diplomat hinzu. „Und dann findet die nächste ungarische Ratspräsid­entschaft nicht im zweiten Halbjahr 2024 statt, sondern im zweiten Halbjahr 2036.“

Am Montag bestätigte sich allerdings auch, dass es im Kreis der 26 anderen Mitgliedst­aaten wenig Lust darauf gibt, im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 7 des EUVertrage­s eine Gefährdung beziehungs­weise Verletzung der Grundwerte der Union in Ungarn festzustel­len und über den Entzug von Stimm- oder gar Mitgliedsr­echten Ungarns abzustimme­n. Die belgische Außenminis­terin, Hadja Lahbib, wies dies nach dem Rat für Allgemeine Angelegenh­eiten erneut zurück.

 ?? [APA / AFP] ?? Ratspräsid­ent Charles Michel hat es bisher nicht geschafft, Ungarns Premier Viktor Orbán einzubrems­en. Drohungen sollen das nun ändern.
[APA / AFP] Ratspräsid­ent Charles Michel hat es bisher nicht geschafft, Ungarns Premier Viktor Orbán einzubrems­en. Drohungen sollen das nun ändern.

Newspapers in German

Newspapers from Austria