EU-Peitsche statt Zuckerbrot für Ungarn
Europäischer Rat. Ungarns Regierungschef überspannt den Bogen mit seinem Nein zu Ukraine-Krediten. In Brüssel erwägt man drastische Schritte – bis zu totalem Geldentzug.
Drei Tage vor einem Krisentreffen des Europäischen Rates über die Budgethilfe für die Ukraine schlug am Montag ein Bericht der „Financial Times“hohe Wellen. Sie zitierte aus einem Brüsseler Papier, welches Maßnahmen skizziert, mit denen die ungarische Volkswirtschaft durch koordiniertes Handeln der anderen Mitgliedstaaten geschädigt werden soll. „In dem Fall, dass es am 1. Februar keine Einigung gibt, würden die anderen Staats- und Regierungschefs öffentlich erklären, dass sie es sich nicht vorstellen können, im Licht des unkonstruktiven Verhaltens des ungarischen Ministerpräsidenten“weiterhin EU-Förderungen für Ungarn zuzustimmen. Ohne diese Subventionen jedoch „könnten die Finanzmärkte sowie europäische und internationale Unternehmen weniger daran interessiert sein, in Ungarn zu investieren“. Das könnte „schnell einen weiteren Anstieg der Finanzierungskosten für die Staatsschulden und ein Sinken der Währung auslösen.“
Wer genau das Papier verfasst hat, ist unklar. Aus dem Kabinett von Charles Michel, dem Präsidenten des Europäischen Rates, hieß es am Montag, es handle sich „um ein Hintergrundpapier, das vom Sekretariat des Rates in Eigenverantwortung verfasst wurde und den Zustand der ungarischen Volkswirtschaft darstellt“. Es spiegle nicht den Stand der laufenden Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen wider, und es skizziere „keinen Plan mit Bezug auf Ungarn“.
Wackelt Ungarns EU-Vorsitz?
Ungarns Regierung reagierte erwartungsgemäß erbost. „Brüssel setzt Erpressung gegen Ungarn ein, als gäbe es kein Morgen, ungeachtet der Tatsache, dass wir einen Kompromiss angeboten haben“, zürnte Balázs Orbán, Kabinettschef von Ministerpräsident Viktor Orbán (die beiden sind nicht miteinander verwandt). Europaminister János Bóka habe am Samstag einen Kompromissvorschlag nach Brüssel geschickt, in dem er sich bereit erklärt, die Hilfskredite für die Ukraine doch über das EU-Budget zu finanzieren.
Zur Erinnerung: Die Europäische Kommission hatte vorgeschlagen, das ukrainische Budget für die nächsten vier Jahre bis 2027 mit insgesamt 50 Milliarden Euro zu stützen. 33 Milliarden Euro sollten durch erhöhte Mitgliedsbeiträge der Staaten gedeckt werden, die restlichen 17 Milliarden Euro sollte die Kommission an den Finanzmärkten aufnehmen. Bis auf Ungarn sind alle Mitgliedstaaten dafür, doch es gilt das Einstimmigkeitsprinzip.
Ob Ungarn nun tatsächlich einlenkt, ist offen. Zwei für gewöhnlich sehr gut informierte EU-Diplomaten gaben gegenüber der „Presse“an, weder das Papier aus dem Rat noch den angeblichen Kompromissvorschlag Ungarns gesehen zu haben.
Doch der Ärger über Orbán ist so groß wie nie zuvor. Er hat den Geduldsfaden mehrerer bisher eher zurückhaltender Mitglieder des Europäischen Rates zum Reißen gebracht. „Beim letzten Gipfel im Dezember habe ich einige EU-Chefs so irritiert gesehen wie seit Jahren nicht“, sagte einer der EU-Diplomaten. „Handlungen haben Folgen. Ungarn hat vorige Woche seine Haltung betreffend der 50 Milliarden Euro verhärtet.“Zwar sei die juristische Grundlage dafür, Ungarn Subventionen allein deshalb zu entziehen, weil es eine Politik nicht mitträgt, dünn. „Aber es braucht nur eine qualifizierte Mehrheit, um die Reihenfolge der EU-Ratsvorsitze zu ändern“, fügte der Diplomat hinzu. „Und dann findet die nächste ungarische Ratspräsidentschaft nicht im zweiten Halbjahr 2024 statt, sondern im zweiten Halbjahr 2036.“
Am Montag bestätigte sich allerdings auch, dass es im Kreis der 26 anderen Mitgliedstaaten wenig Lust darauf gibt, im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 7 des EUVertrages eine Gefährdung beziehungsweise Verletzung der Grundwerte der Union in Ungarn festzustellen und über den Entzug von Stimm- oder gar Mitgliedsrechten Ungarns abzustimmen. Die belgische Außenministerin, Hadja Lahbib, wies dies nach dem Rat für Allgemeine Angelegenheiten erneut zurück.