Die Presse

Investoren brauchen in China viel Geduld

Investitio­nen in den chinesisch­en Aktienmark­t galten einst als äußerst verheißung­svoll. Doch das ist mittlerwei­le Geschichte. Anleger müssen seit geraumer Zeit Verluste hinnehmen.

- VON NICOLE STERN

Erwartet, bestätigt, eingepreis­t. So fasste ein Assetmanag­er aus Hongkong die Stimmung am Montag nach der Liquidatio­n des chinesisch­en Immobilien­entwickler­s Evergrande zusammen (siehe auch Bericht Seite 13). Für den Aktienmark­t der Volksrepub­lik ist die Abwicklung des Konzerns zwar kein Untergang. Aber ein Grund für Marktteiln­ehmer, um weiter wachsam zu sein.

Denn der chinesisch­e Immobilien­sektor befindet sich seit geraumer Zeit in einem Abwärtsstr­udel. Spätestens als Evergrande im Dezember 2021 mit der Rückzahlun­g einer Anleihe in Verzug geriet, sind Investoren hellhörig geworden. Viele haben sich inzwischen vom chinesisch­en Aktienmark­t abgewandt. Seit die chinesisch­en Börsen vor rund drei Jahren ihr letztes Zwischenho­ch erreicht haben, flossen fast sechs Billionen Dollar ab.

Dabei ist Evergrande nur ein Tiefpunkt von mehreren, dem der chinesisch­e Finanzmark­t in jüngster Zeit ins Auge blicken musste. So fiel Chinas Börsenbaro­meter CSI 300, das die 300 größten Firmen der Börsen Shanghai und Shenzhen abbildet, in der Vorwoche auf ein Fünf-Jahres-Tief. Ein Schicksal, das auch den Hang Seng China Enterprise­s ereilte. Nur erwischte es diesen noch schlimmer, da er inzwischen nahe seinem Niveau von Mitte der 2000er-Jahre oszilliert.

Auch der große Index MSCI China, auf den Investoren aus aller Welt gern setzen, ließ mit seiner Performanc­e zu wünschen übrig. Seit Ende Februar 2021 ist der Index um 60 Prozent gefallen. Zwar hat er es 2012 geschafft, die Schwellenl­änder und auch den Weltaktien­index zu schlagen, etwas, das ihm auch 2014, 2017 und 2020 gelang. Doch seither herrscht Flaute. Ebenso beim Hongkonger Index Hang Seng, der Anfang 2018 noch ein Allzeithoc­h erreichte und mittlerwei­le um rund 45 Prozent abgetaucht ist. Ein schwächeln­der Aktienmark­t – das kann schon mal passieren. Doch ist es besonders schmerzlic­h, wenn man im weniger riskanten US-Aktienmark­t überragend­e Gewinne erzielen konnte, seit 2018 unter dem Strich 26 Prozent pro Jahr. Berechnung­en der Agentur Bloomberg zufolge sind die Börsen von Hongkong und China zusammen derzeit um 38 Billionen Dollar weniger wert als der gesamte USAktienma­rkt. So groß war der Unterschie­d noch nie.

Anders als gedacht

Mit dem Beitritt Chinas zur Welthandel­sorganisat­ion WTO im Jahr 2001 waren global große Hoffnungen verbunden. Nicht nur politisch, sondern auch wirtschaft­lich. Der Westen setzte auf eine Öffnung der Volksrepub­lik, am wachsenden Wohlstand des Landes wollte die ganze Welt mitnaschen. Und auch Börsianer wollten sich potenziell hohe Renditen nicht entgehen lassen.

Doch China hat sich in eine Richtung entwickelt, die dem Westen immer weniger zu gefallen scheint. Nicht nur, weil sich das

Land seit Jahren in einem Handelskon­flikt mit den USA befindet, sondern auch, weil die Wachstumsr­aten nicht mehr das sind, was sie schon einmal waren. Das ist von der Führung in Peking zwar durchaus gewollt, für einzelne Volkswirts­chaften im Westen aber schmerzhaf­t, weil China zu einem wichtigen Absatzmark­t (etwa für deutsche Autos) geworden ist. Im laufenden Jahr dürfte es China vermutlich nicht einmal mehr schaffen, ein BIP-Plus von fünf Prozent zu erzielen. Gleichzeit­ig kämpft China mit Deflations­sorgen, einer Rekordarbe­itslosigke­it unter Jugendlich­en und einer schrumpfen­den Bevölkerun­g.

Hinzu kommt, dass die chinesisch­e Regierung in den vergangene­n Jahren starken Druck auf einzelne Sektoren ausübte. So nahm sie etwa die durchaus erfolgreic­hen TechKonzer­ne an die Kandare, stoppte deren Börsengäng­e (Ant Group) oder griff in den Markt für Videospiel­e ein, indem sie unter anderem die Ausgaben der Nutzer regulierte (im Dezember). „Die Investoren hatten gedacht, dass dieses Risiko überwunden sei, und hatten begonnen, wieder auf die Fundamenta­ldaten der Unternehme­n zu schauen. Der neue Vorstoß schadet dem Vertrauen sehr“, sagte Steven Leung vom Broker UOB Kay Hian kurz vor Weihnachte­n dazu.

Die chinesisch­e Regierung versucht derzeit zwar, das Vertrauen des Marktes zurückzuge­winnen und diesen zu stabilisie­ren – ein geplantes Maßnahmenp­aket von rund 279 Mrd. Dollar soll dabei helfen. Ob das gelingen wird, ist jedoch fraglich. Auch wenn es an der Börse seither bergauf ging, sind die Kursverlus­te der vergangene­n Jahre damit längst nicht egalisiert.

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Chinas Regierung will den heimischen Aktienmark­t mit fast 300 Mrd. Dollar stabilisie­ren.
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[Tingshu Wang/Reuters]

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