Investoren brauchen in China viel Geduld
Investitionen in den chinesischen Aktienmarkt galten einst als äußerst verheißungsvoll. Doch das ist mittlerweile Geschichte. Anleger müssen seit geraumer Zeit Verluste hinnehmen.
Erwartet, bestätigt, eingepreist. So fasste ein Assetmanager aus Hongkong die Stimmung am Montag nach der Liquidation des chinesischen Immobilienentwicklers Evergrande zusammen (siehe auch Bericht Seite 13). Für den Aktienmarkt der Volksrepublik ist die Abwicklung des Konzerns zwar kein Untergang. Aber ein Grund für Marktteilnehmer, um weiter wachsam zu sein.
Denn der chinesische Immobiliensektor befindet sich seit geraumer Zeit in einem Abwärtsstrudel. Spätestens als Evergrande im Dezember 2021 mit der Rückzahlung einer Anleihe in Verzug geriet, sind Investoren hellhörig geworden. Viele haben sich inzwischen vom chinesischen Aktienmarkt abgewandt. Seit die chinesischen Börsen vor rund drei Jahren ihr letztes Zwischenhoch erreicht haben, flossen fast sechs Billionen Dollar ab.
Dabei ist Evergrande nur ein Tiefpunkt von mehreren, dem der chinesische Finanzmarkt in jüngster Zeit ins Auge blicken musste. So fiel Chinas Börsenbarometer CSI 300, das die 300 größten Firmen der Börsen Shanghai und Shenzhen abbildet, in der Vorwoche auf ein Fünf-Jahres-Tief. Ein Schicksal, das auch den Hang Seng China Enterprises ereilte. Nur erwischte es diesen noch schlimmer, da er inzwischen nahe seinem Niveau von Mitte der 2000er-Jahre oszilliert.
Auch der große Index MSCI China, auf den Investoren aus aller Welt gern setzen, ließ mit seiner Performance zu wünschen übrig. Seit Ende Februar 2021 ist der Index um 60 Prozent gefallen. Zwar hat er es 2012 geschafft, die Schwellenländer und auch den Weltaktienindex zu schlagen, etwas, das ihm auch 2014, 2017 und 2020 gelang. Doch seither herrscht Flaute. Ebenso beim Hongkonger Index Hang Seng, der Anfang 2018 noch ein Allzeithoch erreichte und mittlerweile um rund 45 Prozent abgetaucht ist. Ein schwächelnder Aktienmarkt – das kann schon mal passieren. Doch ist es besonders schmerzlich, wenn man im weniger riskanten US-Aktienmarkt überragende Gewinne erzielen konnte, seit 2018 unter dem Strich 26 Prozent pro Jahr. Berechnungen der Agentur Bloomberg zufolge sind die Börsen von Hongkong und China zusammen derzeit um 38 Billionen Dollar weniger wert als der gesamte USAktienmarkt. So groß war der Unterschied noch nie.
Anders als gedacht
Mit dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation WTO im Jahr 2001 waren global große Hoffnungen verbunden. Nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich. Der Westen setzte auf eine Öffnung der Volksrepublik, am wachsenden Wohlstand des Landes wollte die ganze Welt mitnaschen. Und auch Börsianer wollten sich potenziell hohe Renditen nicht entgehen lassen.
Doch China hat sich in eine Richtung entwickelt, die dem Westen immer weniger zu gefallen scheint. Nicht nur, weil sich das
Land seit Jahren in einem Handelskonflikt mit den USA befindet, sondern auch, weil die Wachstumsraten nicht mehr das sind, was sie schon einmal waren. Das ist von der Führung in Peking zwar durchaus gewollt, für einzelne Volkswirtschaften im Westen aber schmerzhaft, weil China zu einem wichtigen Absatzmarkt (etwa für deutsche Autos) geworden ist. Im laufenden Jahr dürfte es China vermutlich nicht einmal mehr schaffen, ein BIP-Plus von fünf Prozent zu erzielen. Gleichzeitig kämpft China mit Deflationssorgen, einer Rekordarbeitslosigkeit unter Jugendlichen und einer schrumpfenden Bevölkerung.
Hinzu kommt, dass die chinesische Regierung in den vergangenen Jahren starken Druck auf einzelne Sektoren ausübte. So nahm sie etwa die durchaus erfolgreichen TechKonzerne an die Kandare, stoppte deren Börsengänge (Ant Group) oder griff in den Markt für Videospiele ein, indem sie unter anderem die Ausgaben der Nutzer regulierte (im Dezember). „Die Investoren hatten gedacht, dass dieses Risiko überwunden sei, und hatten begonnen, wieder auf die Fundamentaldaten der Unternehmen zu schauen. Der neue Vorstoß schadet dem Vertrauen sehr“, sagte Steven Leung vom Broker UOB Kay Hian kurz vor Weihnachten dazu.
Die chinesische Regierung versucht derzeit zwar, das Vertrauen des Marktes zurückzugewinnen und diesen zu stabilisieren – ein geplantes Maßnahmenpaket von rund 279 Mrd. Dollar soll dabei helfen. Ob das gelingen wird, ist jedoch fraglich. Auch wenn es an der Börse seither bergauf ging, sind die Kursverluste der vergangenen Jahre damit längst nicht egalisiert.