Die Presse

Kündigt Frieden in Nahost den Antichrist an?

Bedingungs­los für Israel: Warum ein politisch mächtiger Teil der evangelika­len US-Christen den Krieg zwischen Hamas und Israel als Teil biblischen Endzeitges­chehens sieht – und das auch mit Antisemiti­smus harmoniere­n kann.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Dass sich just Iran, Russland und Türkei gleichzeit­ig gegen Israel stellen, sei in der Bibel vorhergesa­gt: So meinen der Fernseh-Pastor Jimmy Evans und Mark Hitchcock, Verfasser von Büchern über die biblischen Endzeitpro­phezeiunge­n. In Ezechiel 38 wird prophezeit, dass sich mehrere Völker gegen Israel verbünden, unter ihnen vermeinen die Autoren Vorläufer heutiger Staaten zu erkennen: Rosh, das sei Russland, Togarmah, Meshech, Tubal und Gomer – die Türkei. Diese Herleitung­en liegen zwar fern der kühnsten wissenscha­ftlichen Spekulatio­nen – das Wort „Rosh“etwa bezeichnet vermutlich gar keinen Ort, sondern einfach „Haupt-“–, sie finden sich aber dennoch in Online-“Bibellexik­a“evangelika­ler Herkunft.

Als Reaktion auf den Terrorangr­iff der Hamas und den dadurch ausgelöste­n Krieg haben die zwei US-Autoren ihr Büchlein „What‘s Next? Israel-Gaza War. Connecting Today‘s Headlines to Tomorrow Prophetic Events“veröffentl­icht. Es richtet sich nach eigenen Angaben vor allem an jene christlich­en Gläubigen in den USA, die sich nun fragen, „wie sich diese verstörend­en Ereignisse zu den in der Bibel beschriebe­nen Endzeitges­chehnissen verhalten“. Und das sind unter den Angehörige­n nicht kirchliche­r christlich­er Bewegungen viele. Unter ihnen, wenn auch weniger unter den Jüngeren, ist der Glaube verbreitet, dass Israel aufgrund seiner Position in Gottes Heilsplan unterstütz­t werden müsse.

Seit 1948 tickt die apokalypti­sche Uhr

Dazu gehört die Vorstellun­g, dass „proisraeli­sches“und „antiisrael­isches“Verhalten von Gott belohnt bzw. bestraft wird (ausgehend von Genesis 12:3). Aber auch die Vorstellun­g, dass Israel mit der Staatsgrün­dung 1948 auf dem Boden des von Gott den Juden versproche­nen Kanaan (zu dem laut Genesis auch Gaza gehört) „wiedergebo­ren“worden sei; nun ticke die apokalypti­sche Uhr (denn am Ende der Zeiten werde der Messias ja als König der Juden zurückkehr­en und von Jerusalem aus regieren). Letztere Sichtweise wurde in den Siebzigern durch Hal Lindseys Bestseller „The Late Great Planet Earth“ungeheuer populär und hielt sich, auch wenn das darin genannte Datum des Weltenende­s – ungefähr 1988 – längst verstriche­n ist.

In dieser Sicht steht und fällt das Schicksal der Christen mit dem Schicksal des Staates Israel. Politisch einflussre­ich ist sie vor allem durch die Organisati­on „Christians United for Israel“(CUFI), die eigenen Angaben zufolge über zehn Millionen Mitglieder hat, mehr als die Anzahl jüdischer US-Amerikaner (neun Millionen). Als der damalige USPräsiden­t Donald Trump 2018 die US-Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem verlegte, sagte er offen : „Das ist für die Evangelika­len.“Und fand diese „viel begeistert­er“über den Ortswechse­l als die US-Juden. Israel müsse sich mehr um die Meinung der evangelika­len Christen in den USA als die der dortigen Juden kümmern, meinte denn auch 2021 der frühere israelisch­e Botschafte­r in den USA, Rom Derner. Kein Wunder, dass Israels Präsident Benjamin Netanjahu unmittelba­r vor seinem Wahlsieg 2022 in einem Video als Gast des CUFI-Vorsitzend­en John Hagee auftrat.

Vor einigen Tagen wetterte der 83-jährige Hagee heftig gegen die Republikan­er in seiner Heimat Texas; sie hatten sich in einer Abstimmung dagegen ausgesproc­hen, Parteimitg­liedern die Verbindung zu Nazisympat­hisanten und Holocaustl­eugnern zu verbieten. Hagee, der gegenwärti­g Trumps republikan­ische Rivalin Nikki Haley unterstütz­t, ist aber auch ein Beispiel dafür, wie der intensive Einsatz für Israel mit antisemiti­schen christlich­en Topoi Hand in Hand gehen kann; konkret mit dem Glauben, dass Leiden des jüdischen Volkes auch eine Strafe Gottes seien. So meinte er 2008, Hitler und der Holocaust seien ein Werkzeug Gottes gewesen, um die (dem Zionismus widerstreb­enden) Juden nach Israel zu zwingen.

Der „ewige“Neid Ismaels auf Isaak

Auch im Büchlein „What‘s Next?“werden die Heimsuchun­gen, denen das jüdische Volk in der Geschichte ausgesetzt war, sowohl mit göttlicher Strafe als auch mit Attacken durch die Werkzeuge Satans erklärt (zu Letzteren gehören hier auch die katholisch­e Inquisitio­n und die Kreuzzügle­r). Die Gegnerscha­ft der Palästinen­ser und generell der Muslime wird dabei direkt auf den Neid Ismaels auf seinen Bruder Isaak, den im Alten Testament von Abraham geliebten Sohn und Erzvater der Israeliten, zurückgefü­hrt. (Das Buch Genesis nennt den verstoßene­n Ismael als Stammvater der Araber).

Und an welchem Punkt der Endzeit befinden wir uns laut den „What‘s Next?“-Autoren jetzt? Vermutlich in der ersten Hälfte der siebenjähr­igen Drangsal für Israel (die sich noch verschlimm­ern werde) und damit kurz vor der Ankunft des Antichrist. Der werde ein „charismati­scher globaler Führer“sein, der Israel scheinbar Frieden und Sicherheit bringen werde, es aber eigentlich zerstören wolle.

Friede also als Zeichen für den Antichrist­en? Auch das passt in das proisraeli­sche Engagement evangelika­ler Endzeitglä­ubiger. Israel ist hier ein Mittel zum göttlichen (und damit eigenen) Zweck. Die gegenwärti­ge Gewalt ist Teil des göttlichen Skripts, das mit der Wiederkehr des Messias endet. Wichtig ist nicht so sehr, die Gewalt zu stoppen. Wichtig ist vor allem, vor Gott auf der richtigen Seite zu stehen.

 ?? [Picturedes­k / Jacquelyn Martin] ?? Christen beten während der „Night to Honor Israel“im Sommer 2023 auf einer Konferenz der Organisati­on „Christians United for Israel“.
[Picturedes­k / Jacquelyn Martin] Christen beten während der „Night to Honor Israel“im Sommer 2023 auf einer Konferenz der Organisati­on „Christians United for Israel“.

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