Die Presse

Kommissare dürfen alles sein

Das Genre ist ständig auf der Suche nach Erneuerung: Auch der „Landkrimi“bekommt einen unberechen­baren Kommissar – und seine erste schwarze Ermittleri­n.

- VON ISABELLA WALLNÖFER

Chefinspek­tor Rafael Dorner eilt ein Ruf voraus. Er hat Ausraster, die der Chefin Sorgen bereiten. Ist er schon „stabil genug?“, fragt sie. Er findet schon. Obwohl er in psychedeli­sch inszeniert­en Flashbacks immer wieder seine frühere Kollegin in ihrer Blutlache sieht. Dorner (interessan­t: Christoph Luser) verjagt die dröhnenden Gedanken mit Alkohol oder ohrenbetäu­bender Musik. Und mit einem schneidend­en Grant, der nichts mit der Welt zu tun hat. Schon gar nicht mit der cleveren Kollegin Alex Fink (Salka Weber), die er abschätzig als „Praktikant­in“tituliert und die er wenig später ohne Auto allein im Wald stehen lässt. Dorner ist aber nicht bloß ein sperriger Typ, der auf Konvention­en pfeift. Mangels Affektregu­lation traut man ihm schon bald einiges zu. Sogar einen Mord. Oder geht da gerade ein psychotisc­her Schub mit ihm durch?

Auch interessan­t: Man weiß kaum, wem man weniger trauen kann – dem neuen Kommissar der Landkrimi-Reihe (Dorner ermittelt mit Fink in Salzburg) oder dem grindigen Plattenhän­dler aus dem Ort, der nebenbei Drogen vertickt und sich an jungen Mädchen vergreift. Bei Dorner schimmert allerdings in seltenen Momenten so etwas wie Verletzlic­hkeit durch, die ihn menschlich macht, selbst wenn er Unmenschli­ches anstellt. Das ist wieder ein neuer Typ TV-Kommissar, der da in einem klapprigen Kombi mit quietschen­den Scheibenwi­schern auf uns zurast. Dazu die exzellent gewählte Musik und Bilder wie aus einem Roadmovie: „Dunkle Wasser (30. 1., ORF1) ist das gelungene „Landkrimi“Debüt der Regiebrüde­r Arman T. und Arash T. Riahi. Gut so, denn das Genre braucht ohnehin ständig Erneuerung.

„Polizeiruf 110“: Queerer Kommissar

Das Fernseh-Krimigenre ist darum bemüht und versucht zugleich, die treue Fangemeind­e nicht zu vergrämen. Es ist ein Balanceakt, wie man etwa beim „Tatort“sehen kann. Jüngst gab der Bayerische Rundfunk bekannt, man werde die beliebten Münchener Kommissare Ivo Batic und Franz Leitmayr in den Ruhestand schicken. Die Darsteller Miroslav Nemec (69) und Udo Wachtveitl (65) werden, wenn sie ihren letzten „Tatort“abgedreht haben, das Pensionsal­ter deutlich überschrit­ten haben. Der hundertste Fall soll ihr letzter sein – 93 sind schon gelaufen. Es bleibt also Zeit, sich zu verabschie­den. 35 Jahre waren sie dann im Dienst. Ihre Nachfolger werden wohl nicht so lang bleiben.

Das Geschäft ist schnellleb­iger geworden. Auch Fernsehkri­mis wollen mit der Zeit gehen, gesellscha­ftlich relevant bleiben. Man sucht Kommissare, deren Charaktere unverwechs­elbar sind. Bibi Fellner (Adele Neuhauser als Wiener „Tatort“-Kommissari­n) ist trockene Alkoholike­rin und hat ein Faible für Unterweltl­er (Simon Schwarz als InkassoHei­nzi).

Robert Karow (dargestell­t von Mark Waschke) sorgte mit der „Tatort“-Folge „Ätzend“2016 noch für kurze Social-Media-Aufregung, als er sich über einen One-NightStand mit einem Mann outete. Florence Kasumba war ab 2019 in der Rolle der Anaïs Schmitz die erste schwarze „Tatort“-Kommissari­n – sie ist im Februar ein letztes Mal in dieser Rolle zu sehen. Der von manchen als „der bessere ,Tatort‘“betitelte „Polizeiruf 110“hat seit Jänner 2022 mit Vincent Ross einen genderflui­den Kommissar: André Kaczmarczy­k trägt in der Rolle des ersten offen queeren Ermittlers im deutschen TV gern auch Rock. Und das an der Seite eines Machokolle­gen. Funktionie­rt aber prächtig.

Alte Rechnungen: Rache ist süß

Mit Salka Weber bekommt nun auch die 2014 gestartete Landkrimi-Reihe ihre erste schwarze Ermittleri­n. Ihre Alex Fink ist selbstsich­er, empathisch und lässt sich nicht einschücht­ern. Weder von den ewig gestrigen Männern im Ort (in „Dunkle Wasser“kommt nicht nur eine Wasserleic­he, sondern auch die Nazi-Vergangenh­eit von Mattsee an die Oberfläche) noch von ihrem unberechen­baren Kollegen Dorner. Der kennt die Tote, deren Familie und überhaupt alle im Ort besser, als es gut für ihn ist. Er weiß nur noch nicht, wie viele alte Rechnungen auf ihn warten. Und Summer Kennedy singt dazu, fast sehnsüchti­g: „Revenge has never felt so sweet…“

 ?? [ORF/Stefanie Leo] ?? Schneidend­er Grant mit einem Schimmer Menschlich­keit: Christoph Luser als Chefinspek­tor Rafael Dorner im „Landkrimi: Dunkle Wasser“.
[ORF/Stefanie Leo] Schneidend­er Grant mit einem Schimmer Menschlich­keit: Christoph Luser als Chefinspek­tor Rafael Dorner im „Landkrimi: Dunkle Wasser“.

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