Kommissare dürfen alles sein
Das Genre ist ständig auf der Suche nach Erneuerung: Auch der „Landkrimi“bekommt einen unberechenbaren Kommissar – und seine erste schwarze Ermittlerin.
Chefinspektor Rafael Dorner eilt ein Ruf voraus. Er hat Ausraster, die der Chefin Sorgen bereiten. Ist er schon „stabil genug?“, fragt sie. Er findet schon. Obwohl er in psychedelisch inszenierten Flashbacks immer wieder seine frühere Kollegin in ihrer Blutlache sieht. Dorner (interessant: Christoph Luser) verjagt die dröhnenden Gedanken mit Alkohol oder ohrenbetäubender Musik. Und mit einem schneidenden Grant, der nichts mit der Welt zu tun hat. Schon gar nicht mit der cleveren Kollegin Alex Fink (Salka Weber), die er abschätzig als „Praktikantin“tituliert und die er wenig später ohne Auto allein im Wald stehen lässt. Dorner ist aber nicht bloß ein sperriger Typ, der auf Konventionen pfeift. Mangels Affektregulation traut man ihm schon bald einiges zu. Sogar einen Mord. Oder geht da gerade ein psychotischer Schub mit ihm durch?
Auch interessant: Man weiß kaum, wem man weniger trauen kann – dem neuen Kommissar der Landkrimi-Reihe (Dorner ermittelt mit Fink in Salzburg) oder dem grindigen Plattenhändler aus dem Ort, der nebenbei Drogen vertickt und sich an jungen Mädchen vergreift. Bei Dorner schimmert allerdings in seltenen Momenten so etwas wie Verletzlichkeit durch, die ihn menschlich macht, selbst wenn er Unmenschliches anstellt. Das ist wieder ein neuer Typ TV-Kommissar, der da in einem klapprigen Kombi mit quietschenden Scheibenwischern auf uns zurast. Dazu die exzellent gewählte Musik und Bilder wie aus einem Roadmovie: „Dunkle Wasser (30. 1., ORF1) ist das gelungene „Landkrimi“Debüt der Regiebrüder Arman T. und Arash T. Riahi. Gut so, denn das Genre braucht ohnehin ständig Erneuerung.
„Polizeiruf 110“: Queerer Kommissar
Das Fernseh-Krimigenre ist darum bemüht und versucht zugleich, die treue Fangemeinde nicht zu vergrämen. Es ist ein Balanceakt, wie man etwa beim „Tatort“sehen kann. Jüngst gab der Bayerische Rundfunk bekannt, man werde die beliebten Münchener Kommissare Ivo Batic und Franz Leitmayr in den Ruhestand schicken. Die Darsteller Miroslav Nemec (69) und Udo Wachtveitl (65) werden, wenn sie ihren letzten „Tatort“abgedreht haben, das Pensionsalter deutlich überschritten haben. Der hundertste Fall soll ihr letzter sein – 93 sind schon gelaufen. Es bleibt also Zeit, sich zu verabschieden. 35 Jahre waren sie dann im Dienst. Ihre Nachfolger werden wohl nicht so lang bleiben.
Das Geschäft ist schnelllebiger geworden. Auch Fernsehkrimis wollen mit der Zeit gehen, gesellschaftlich relevant bleiben. Man sucht Kommissare, deren Charaktere unverwechselbar sind. Bibi Fellner (Adele Neuhauser als Wiener „Tatort“-Kommissarin) ist trockene Alkoholikerin und hat ein Faible für Unterweltler (Simon Schwarz als InkassoHeinzi).
Robert Karow (dargestellt von Mark Waschke) sorgte mit der „Tatort“-Folge „Ätzend“2016 noch für kurze Social-Media-Aufregung, als er sich über einen One-NightStand mit einem Mann outete. Florence Kasumba war ab 2019 in der Rolle der Anaïs Schmitz die erste schwarze „Tatort“-Kommissarin – sie ist im Februar ein letztes Mal in dieser Rolle zu sehen. Der von manchen als „der bessere ,Tatort‘“betitelte „Polizeiruf 110“hat seit Jänner 2022 mit Vincent Ross einen genderfluiden Kommissar: André Kaczmarczyk trägt in der Rolle des ersten offen queeren Ermittlers im deutschen TV gern auch Rock. Und das an der Seite eines Machokollegen. Funktioniert aber prächtig.
Alte Rechnungen: Rache ist süß
Mit Salka Weber bekommt nun auch die 2014 gestartete Landkrimi-Reihe ihre erste schwarze Ermittlerin. Ihre Alex Fink ist selbstsicher, empathisch und lässt sich nicht einschüchtern. Weder von den ewig gestrigen Männern im Ort (in „Dunkle Wasser“kommt nicht nur eine Wasserleiche, sondern auch die Nazi-Vergangenheit von Mattsee an die Oberfläche) noch von ihrem unberechenbaren Kollegen Dorner. Der kennt die Tote, deren Familie und überhaupt alle im Ort besser, als es gut für ihn ist. Er weiß nur noch nicht, wie viele alte Rechnungen auf ihn warten. Und Summer Kennedy singt dazu, fast sehnsüchtig: „Revenge has never felt so sweet…“