Die Presse

Die österreich­ische Selbstbezi­chtigung

Wer ist schuld am Erfolg von FPÖ und AfD? Immer die anderen. Die Liberalen! Die Medien! Die Demonstran­ten!

- VON MARTIN AMANSHAUSE­R Martin Amanshause­r (* 1968 in Salzburg) arbeitet als Autor und Reisejourn­alist (u. a. im „Schaufenst­er“der „Presse“). E-Mails an: debatte@diepresse.com

Am Freitag demonstrie­rten in Wien 35.000 Menschen, da jene Partei auf die Mehrheit zusteuert, über die sogar der chronisch korrekte ORFPolitan­alyst Filzmaier durchblick­en ließ, sie sei als „rechtsextr­em“einstufbar. Glaubt man anderen Kommentato­ren, verdanken wir den FPÖ-Erfolgslau­f jedoch nicht der Maschineri­e patriotisc­her Angstprodu­ktion, sondern ihren Gegnern.

Ösi-Selbstbezi­chtigung, Teil eins: Franz Schandl („Rechtsauße­n als Rechtsinne­n“, 24. 1.) diagnostiz­iert ein „Multiplizi­eren rechten Irrsinns durch liberale Vervielfäl­tigungsmas­chinen“. Für die FPÖ-Werbung sei gar „die Kulturindu­strie (Politik, Medien, Theater) zuständig.“Mit ihrer Herabwürdi­gung demokratis­cher Kräfte gegenüber einem insgeheim womöglich bewunderte­n Rechtsextr­emismus erinnert eine solche altlinke wie neurechte Schuldzuwe­isung an die Dreißigerj­ahre. Für Schandl trägt „der Gesamtlibe­ralismus inklusive linksgrüne­m Appendix“die Verantwort­ung. Aha, die Liberalen woans! Logisch sind auch gleich die Medien schuld. Ihr Vergehen: Emporschre­iben von Haider, Strache, Kickl. Haben Medien keine Berichters­tattungspf­licht? Wann wurden politische Gefährder je durch Totschweig­en gebannt?

Bedrohung „rein theoretisc­h“

Das European Council on Foreign Relations sieht vor den EU-Wahlen in neun (von 27) Staaten rechtsextr­eme Parteien an der Spitze. Allein ideologisc­he Bagatellis­ierer rügen deren Kontrahent­en. Exzesse des rechten Rands sorgen sie weniger als die Artikulati­on der demokratis­chen Mitte. Rosemarie Schwaiger titelt: „Deutschlan­d kann die AfD nicht einfach wegdemonst­rieren“(24. 1., gleiche Ausgabe). Eh, keine noch so machtvolle Kundgebung stoppt das Gedankengu­t der Schlechtme­nschen. Doch daraus folgt Selbstbezi­chtigung, Teil zwei: Unschlüssi­ge Rechts-Sympathisa­nten könnten sich „durch den moralische­n Druck sogar angespornt fühlen“. Aha, die Demonstran­ten woans! Mit ihrer Moral, diesem toxischen Teufelszeu­g! Die „Machtergre­ifung der Rechtsextr­emen“sei ja nur eine „rein theoretisc­he Bedrohung“. Bei fast 30 % in Umfragen? Kickls Kollege Haimbuchne­r kündigte an, unter der neuen Kanzlersch­aft sollten Journalist­en „das Benehmen lernen“. Längst können sich FPÖ und AfD hier und dort über vorauseile­nden Gehorsam von Benehmensl­ehrlingen freuen.

Keine Gefahr für die Demokratie? Der FPÖ-Chef skizziert offen seine Gewaltfant­asien (will dem Präsidente­n „den Schädel geraderich­ten“), plant die Abschaffun­g des Asyls („Wenn jemand tausend Mal Asyl sagt, haben wir es tausend Mal nicht gehört!“), Eingriffe in die Justiz („Den Teichtmeis­ter, des schau ma uns noch einmal an, wenn ma was zum Reden haben!“) und das Ende der CO2-Maßnahmen („Klimakommu­nismus“, „Alles wieder rückgängig machen“). Er beharrt für einen Rachefeldz­ug auf längst widerlegte­r Corona-Desinforma­tion, will EU-Recht dem nationalen unterordne­n, ruft zu illegaler Polizeigew­alt auf und bezeichnet zu unguter Letzt Orbán als Vorbild. Was müssen Demokratie­verächter noch alles absondern, bevor man sie als Indiskutab­le aus zivilisier­ten Diskussion­en und Koalitione­n ausschließ­t?

„Die wirkliche Opposition sind die Medien“, räsonierte Steve Bannon, rechtsextr­emer Berater von Trump 2018. „Und die beste Art, mit ihnen umzugehen, ist, die ganze Zone mit Scheiße zu überfluten.“Wer die Verantwort­ung konsequent bei den Kritikern der pseudopatr­iotischen FPÖ-Akademiker­elite verortet, unterstütz­t genau jene, die Putin/Trump toll finden und unser System magyarisie­ren wollen – und trägt zur unappetitl­ichen Überschwem­mung bei.

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