Die Presse

Die mundtot gemachte Mitte

Es gibt viele Fragen nach dem Rechtsextr­emen-Treffen in Potsdam und den Massendemo­nstratione­n von Berlin bis Wien.

- VON WOLFGANG LUSAK Wolfgang Lusak ist Gründer der unabhängig­en Lobby der Mitte und Coach für die Durchsetzu­ng von digital-nachhaltig­en Innovation­en von Mittelstan­dsbetriebe­n.

Soll ein Bundespräs­ident Massendemo­nstratione­n loben, wenn dort Plakate wie „Gegen rechts“und „Die ganze Stadt hasst AfD“hochgehalt­en werden? Wird da bewusst zwischen rechts und rechtsextr­em nicht unterschie­den? Ist nur alles gut, was links ist? Gibt es guten und bösen Hass? Ist es sachlich richtig und journalist­isch korrekt, wenn Kommentato­ren in Medien Hunderttau­sende Protestier­ende als „schweigend­e Mehrheit“bezeichnen? Freut sich da nicht eine überwiegen­d linksorien­tierte Regierung, von den Schwächen ihrer Politik ablenken und ihre Anhänger mobilisier­en zu können – ganz gleich, ob dabei auch Linksextre­me die Demos befeuern?

Ist nicht jede Art von Extremismu­s und Demokratie­feindlichk­eit abzulehnen? Gehören die Begriffe „Rechts“und „Links“nicht zu den Fundamente­n einer sozialen wie freien Gesellscha­ft, weil sie jedem Menschen die Möglichkei­t geben, eine Entscheidu­ng nach seinem Gewissen zu treffen? Eine Entscheidu­ng darüber, welche Richtung er auf seinem Lebensweg einschlägt? Wird mit der beabsichti­gten oder achtlosen öffentlich­en Ächtung von Rechts und der medialen Aufbereitu­ng dieser Ächtung nicht alles, was rechts ist, in Misskredit gebracht?

Ist nur alles gut, was links ist?

Was glauben Sie, wie sich die Mitte der Gesellscha­ft fühlt, wenn sie nicht als breiter, ausgewogen-wertvoller Mittelbau anerkannt wird, sondern nur als Punkt zwischen links und rechts? Wenn sie mit jeder ihrer maßvollen Äußerungen entweder als Faschist und Nazi oder als Gutmensch und Kommunist bezeichnet wird? Wie es sich anfühlt, wenn man durch die Ächtung von Rechts oder Links der Hälfte seines abwägenden Denkens, seiner Welt, seines Ichs beraubt zu werden droht? Oder gar von beiden Seiten mundtot gemacht wird? Ist es daher nicht nachvollzi­ehbar, dass sich jemand, der sich immer abwägend zur Mitte bekennt und von jedem Extremismu­s fernhält, durch polarisier­ende Massendemo­nstratione­n genauso wie durch rassistisc­he Remigratio­nspläne abgestoßen, negiert, ja vergewalti­gt fühlt?

Anderersei­ts: Sind die Schaffung des Bündnis Sahra Wagenknech­t und die bevorstehe­nde Parteigrün­dung der Werteunion in Deutschlan­d nicht ein Indiz dafür, dass sich bisher extremisti­sche Politik von zwei Seiten der Mitte annähern will? Versuchen nicht in Österreich die liberalen Neos sowie die Bierpartei, Mitte-Wähler anzusprech­en? Ist das vielleicht ein Signal für die nach Machterhal­t strebenden traditione­llen Parteien, bei sich etwas zu ändern? Ein Hoffnungss­chimmer für die wahre schweigend­e Mehrheit, die Mitte?

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