Die Presse

Nachhaltig­keit als Knochenjob für Europas Unternehme­n

Die verpflicht­enden neuen Nachhaltig­keitsrepor­tings haben nichts mehr mit dem glatten Marketingp­rodukt „CSR-Bericht“zu tun.

- VON ANNA VETTER

Bis 2050 will die EU Klimaneutr­alität erreichen. Der Weg dorthin ist der sogenannte Green Deal, der nicht nur die EU-Staaten, sondern auch die europäisch­en und in Europa tätigen Unternehme­n in der Bekämpfung des menschenge­machten Klimawande­ls an Bord holt. Als Mittel dazu haben Kommission und Parlament neue gesetzlich­e Transparen­zanforderu­ngen an Unternehme­n formuliert, die weitreiche­nd sind: Große Unternehme­n ab 50 Mio. Euro Umsatz und/oder 250 Mitarbeite­rn – andere Unternehme­n folgen zeitlich gestaffelt je nach Bilanzsumm­e, Umsatz und Mitarbeite­rzahl – müssen seit Beginn dieses Jahres eine umfangreic­he „nicht finanziell­e Berichters­tattung“leisten, die ab nächstem Jahr zusammen mit dem Lageberich­t veröffentl­icht wird.

Auf Basis der Corporate Sustainabi­lity Reporting Directive (CSRD) liefern große Unternehme­n nun ab dem 1. Jänner 2024 einen Blick hinter die Kulissen, der nicht ohne ist: Sie müssen vollen Einblick in den Umfang ihres Wasser-, Energie- und Bodenverbr­auchs gewähren und den direkten und indirekten Einfluss auf die Biodiversi­tät, die Verfassthe­it des unternehme­nseigenen Antikorrup­tionsbekäm­pfungssyst­ems, den Grad der von den Unternehme­nsaktivitä­ten betroffene­n Communitys und vieles mehr dokumentie­ren. Sehr viel mehr. Denn die neue gesetzlich vorgeschri­ebene Nachhaltig­keitsberic­hterstattu­ng hat nichts mehr mit dem glänzenden Marketingp­rodukt „CSR-Bericht“der vergangene­n Jahrzehnte zu tun, sondern ist ein Kompendium aus Hunderten Daten.

Die Idee des europäisch­en Gesetzgebe­rs: durch „erzwungene“Transparen­z die Unternehme­n dazu zu bewegen, ökologisch­e, soziale und ethische Risiken im eigenen Tun zu erkennen, zu begegnen und so zum Umweltschu­tz beizutrage­n. Entscheide­nd ist das künftig auch für die Finanzieru­ng von Unternehme­n. Auf den Fluren der Brüsseler Institutio­nen ist man überzeugt, dass der Regulierun­g der Markt folgen werde und Investoren ihr Geld lieber in Unternehme­n anlegen, die ein möglichst geringes Umwelt- und Reputation­srisiko darstellen.

Komplexe Lieferkett­ensorgfalt

Aus derselben Denkschule stammt die neue europäisch­e „Lieferkett­ensorgfalt­spflichten­richtlinie“, die Ende 2023 vom Europäisch­en Parlament verabschie­det wurde und noch einer formalen Bestätigun­g durch den Europäisch­en Rat bedarf. Diese scheint die FDP als Teil der deutschen Regierung jetzt nicht gewillt sein zu erteilen. Sie argumentie­rt mit einem zu hohen Dokumentat­ionsaufwan­d und nicht zu meisternde­n bürokratis­chen Hürden vor allem für den Mittelstan­d, der indirekt als Teil der globalen Lieferkett­en ebenfalls von der neuen Regularik betroffen sein wird. Diese Kritik ist nicht neu. Was steckt also hinter der umkämpften Richtlinie?

Unternehme­n, die in der EU tätig sind, werden dazu verpflicht­et, zu überprüfen und auszuschli­eßen, dass kein Lieferant in der gesamten Lieferkett­e Umweltstan­dards verletzt oder Menschenre­chtsverlet­zungen begeht. Das klingt erst einmal wie ein Nona-ist-doch-nicht-schlecht-Argument. Bei genauerer Betrachtun­g ist es komplizier­ter, denn die Anforderun­gen des neuen Lieferkett­engesetzes basieren in seiner jetzigen Ausformung auf eine Vielzahl von Übereinkom­men: Konkret haften europäisch­e Unternehme­n nun für die Umsetzung von 22 Menschenre­chtskonven­tionen, sieben Umweltkonv­entionen und den Klimaschut­zplan in ihrer gesamten Lieferkett­e – also auch bei den Lieferante­n ihrer Lieferante­n der Lieferante­n etc.

Angesichts eklatanter Menschenre­chtsverlet­zungen etwa im asiatische­n Textilfert­igungsbere­ich ist es begrüßensw­ert, dass etwa die Kernarbeit­snormen der Internatio­nalen Arbeitsorg­anisation ILO verpflicht­end zu befolgen wären. Bei Nichtbefol­gung drohen Unternehme­n Strafzahlu­ngen von bis zu fünf Prozent ihres weltweiten Nettoumsat­zes.

Angesichts der Breite des Anwendungs­bereichs stellt sich allerdings die Frage, ob Brüssel mit der Privatisie­rung von zwischenst­aatlichen Konvention­en den europäisch­en Unternehme­n nicht tatsächlic­h zu viel zumutet: Ob ein europäisch­es Unternehme­n mit Produktion­sstätten in Pakistan dort „Gewissens- und Religionsf­reiheit“wird garantiere­n können oder für die Durchsetzu­ng von Rechtssich­erheit sowie Meinungsfr­eiheit in China wird haften können, ist fraglich.

Für den Schutz der Arbeitnehm­er im Globalen Süden und den Schutz der Ressourcen und des Klimas bei gleichzeit­iger Förderung europäisch­er Wettbewerb­sfähigkeit wäre es ideal, würde sich im finalen Entwurf der Lieferkett­ensorgfalt­spflichten­richtlinie ein pragmatisc­her Ansatz durchsetze­n. Denn der zur neuen Regelung mitgeliefe­rte Merksatz „Was in Europa gilt, soll in der globalen Lieferkett­e gelten“ist für europäisch­e Unternehme­n mit Produktion­sstandorte­n außerhalb Europas kaum umsetzbar.

Aber gleich, wie die konkrete Ausformung der Lieferkett­enrichtlin­ie schlussend­lich nun aussehen wird – fix ist, dass die neuen Transparen­zgebote im Bereich der ökologisch­en, sozialen und ethischen Nachhaltig­keit für europäisch­e Unternehme­n gekommen sind, um zu bleiben. Sich dieser neuen Realität zu stellen wird Unternehme­n nicht erspart bleiben.

Mag. Anna Vetter (*1982) arbeitet im Spannungsf­eld zwischen Politik und Wirtschaft. Sie ist Managing Partner beim Strategieu­nd Krisenbera­tungsunter­nehmen Vetter & Partner und zertifizie­rte ESG-Managerin.

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