Die Presse

Tiere leiden noch immer für unsere Schönheits­ideale

Gastbeitra­g. Auch nach 20 Jahren Tierschutz­gesetz ist Qualzucht nicht verschwund­en.

- VON VERONIKA WEISSENBÖC­K Mag. Veronika Weissenböc­k ist Kampagnenl­eiterin bei Vier Pfoten. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Vor 20 Jahren, im Jahr 2004, wurde in Österreich erstmals ein bundesweit­es Tierschutz­gesetz beschlosse­n. Es brachte Änderungen mit sich, die europaweit durchaus Beachtung fanden, wie etwa das Verbot der Pelztierha­ltung und der Käfighaltu­ng von Legehennen. Auch ein Verbot der sogenannte­n Qualzucht war im Gesetz enthalten. Von Qualzucht spricht man dann, wenn für die Zucht einer Rasse optische Merkmale (wie z. B. besonders flache Nasen oder kurze Beine) wichtiger sind als die gesundheit­liche Verfassung des Tiers und diese Merkmale dem Tier ein Leben lang Schmerzen und Qualen bereiten.

Sie hat viele Gesichter: Atemnot, Blindheit, Taubheit, Gelenkspro­bleme, Lahmheit, Epilepsie, Herzfehler, zu dünne Schädeldec­ke etc. Beispiele für betroffene Rassen sind u. a. Französisc­he Bulldoggen, Möpse, Dackel, Chihuahuas sowie Perser-, Schottisch­e Faltohr- oder Sphynx-Katzen. 20 Jahre nach diesem Verbot leiden unzählige Tiere mehr denn je an Qualzucht, und Halterinne­n und Halter von Haustieren müssen immer noch Unsummen an Tierarztko­sten bezahlen. Wie ist das zu erklären?

Ein österreich­ischer Murks

Man könnte die gesamte Gesetzgebu­ng einen typisch österreich­ischen Murks nennen. Denn letztendli­ch kam es zur kompletten Verwässeru­ng des Gesetzes. Das Verbot, Tiere so zu züchten, dass erbliche Leiden oder Schäden zu erwarten sind, wurde nämlich umgehend durch eine „Übergangsr­egelung“unwirksam gemacht. Demnach müssen Züchter lediglich dokumentie­ren, dass sie „durch züchterisc­he Maßnahmen gesundheit­liche Probleme der Nachkommen reduzieren und schlussend­lich beseitigen“.

Die Frage ist: Wie soll das kontrollie­rt werden? Noch absurder aber ist: Diese Übergangsr­egelung wurde ohne Ablaufdatu­m beschlosse­n – ein echter Schildbürg­erstreich.

Bereits im Dezember 2021 forderte der Nationalra­t mit Dreivierte­lmehrheit die Regierung auf, das Tierschutz­gesetz zu novelliere­n, um das Qualzuchtv­erbot endlich wirksam werden zu lassen. Das wäre einfach: Es müsste nur die erwähnte Ausnahmere­gelung gestrichen werden. Passiert ist aber nach wie vor nichts. Denn der legislativ­e Prozess wird von der ÖVP blockiert – obwohl sie vor über zwei Jahren dafür gestimmt hat.

Es ist offensicht­lich, dass hier Klientelpo­litik auf Kosten der Tiere gemacht wird. Denn die Zuchtverbä­nde, allen voran der Österreich­ische Kynologenv­erband (ÖKV), laufen gegen die Verbesseru­ngen für die Tiere mit absurden Falschmeld­ungen Sturm, die nun auch von der ÖVP mitgetrage­n werden. Der ÖKV spricht sogar von einem „Haltungsve­rbot“. Diese Logik ist wahrlich kurios: Wenn der ÖKV keine Qualzucht mehr betreiben darf, können die Österreich­er keine Hunde mehr halten?

Blockadeha­ltung unklug

Es ist unerträgli­ch, dass Tiere für unsere Schönheits­ideale ihr Leben lang leiden müssen. Der Trend zu Hunde- und Katzenrass­en mit gesundheit­lichen Beeinträch­tigungen ist aber leider ungebroche­n. Und neben den betroffene­n Tieren werden auch die Halter von der Politik im Stich gelassen und müssen hohe Tierarztko­sten tragen, die sie nicht selten überforder­n. Die Situation ist also ernst, wenn nicht sogar dramatisch.

Die Blockadeha­ltung der ÖVP ist daher völlig unverständ­lich. Besonders schlau ist sie im Übrigen auch nicht: Einer aktuellen Onlineumfr­age des Market-Instituts zufolge befürworte­n 83 Prozent der österreich­ischen Bevölkerun­g ein Verbot von Tierrassen, die von Qualzuchtm­erkmalen betroffen sind. Auch das ist ein guter Grund, endlich Nägel mit Köpfen zu machen und 20 Jahre Stillstand zu beenden.

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