Die Presse

Elon Musk will in unser Gehirn

Musks Firma Neuralink hat erstmals ihre Hirn-Computer-Schnittste­lle einem Menschen eingesetzt. Was ist daran neu? Und was an den Visionen dran?

- VON MATTHIAS AUER UND KARL GAULHOFER

Diesmal waren es gute Nachrichte­n, die Elon Musk auf seinem Kurznachri­chtendiens­t X verbreiten wollte: Sein Unternehme­n Neuralink habe sein erstes Implantat in das Gehirn eines Menschen eingesetzt. Es geht dabei um eine neuartige Schnittste­lle zwischen Computer und Mensch, die es künftig ermögliche­n soll, Smartphone­s und andere elektronis­che Geräte mit Gedankenkr­aft zu steuern. „Stellen Sie sich vor, Stephen Hawkins könnte so schnell kommunizie­ren wie eine Schnellsch­reiberin oder ein Auktionato­r“, schwärmte der kalifornis­che Multimilli­ardär. „Das ist das Ziel.“

Erreichen soll es das Team von Neuralink, jenem Unternehme­n, das der Tesla-Gründer 2016 aus der Taufe gehoben hat. Das erste Produkt soll mit dem Namen „Telepathie“auf den Markt kommen. Wann, ließ Musk offen. Die Geldgeber springen trotzdem auf: Ende August machten Peter Thiel und eine Reihe anderer Investoren 280 Millionen Euro locker. Aktuell ist das Unternehme­n mit rund 3,5 Milliarden US-Dollar bewertet.

Bevor der Durchschni­ttsmensch seine EMails mit Gedankenkr­aft versenden darf, soll die Technologi­e zunächst bei Menschen mit Lähmungen aufgrund von Rückenmark­sverletzun­gen oder amyotrophe­r Lateralskl­erose erprobt werden. Im Mai 2023 erhielt Neuralink von der US-Behörde FDA (Food and Drug Administra­tion) die Genehmigun­g dafür. Zuvor wurden die Implantate an Affen, Schweinen und Schafen getestet. Bekannt wurden vor allem die Affen, die mit Gedankenkr­aft das Computersp­iel Pong spielen konnten. Die 1500 Tiere, die bei den Tests ums Leben gekommen sein sollen, bleiben in den Kurznachri­chten des Neuralink-Chefs meist unerwähnt.

Wie funktionie­rt die Technologi­e? Die Neuralink-Forscher haben ein münzgroßes Implantat entwickelt, das in jenes Hirnareal eingesetzt wird, das dem Bewegungsz­entrum Befehle erteilt. Von dieser Sonde breiten sich 64 extrem dünne Fäden aus, die mit insgesamt 1024 Elektroden ausgestatt­et sind. Ein chirurgisc­her Roboter zieht diese Fäden mit einer Art Nadel – auch sie dünner als ein menschlich­es Haar – in die graue Substanz.

Wenn Menschen zu Bewegungen ansetzen, wird dieser Hirnbereic­h aktiv und sendet Signale aus. Die Elektroden fangen diese Signale auf. Das Implantat entschlüss­elt sie und gibt sie drahtlos an andere technische Geräte außerhalb des Körpers weiter. Damit genügt ein Gedanke – ich will den Cursor am Bildschirm nach links bewegen, ich will meine Armprothes­e heben und ein Glas ergreifen –, damit die Bewegungen stattfinde­n, fast wie von Geisterhan­d.

In der Medizin lang im Einsatz

Freilich: Neu ist das im Prinzip nicht. Medizinisc­h eingesetzt­e Hirn-Computer-Schnittste­llen gibt es seit Jahrzehnte­n. Schon 1964 implantier­te ein britischer Neurophysi­ologe einem gelähmten Patienten Elektroden und brachte ihn später dazu, kraft seiner Gedanken einen Knopf zu drücken. Bereits 2006 gelang es dank eines Implantats, das in einem Spital in Massachuse­tts eingesetzt wurde, dass ein Querschnit­tgelähmter einen Computer bedienen konnte.

Allerdings waren damals nur 64 Elektroden am Werk, und die Ärzte mussten ein Kabel durch die Schädeldec­ke verlegen. Seitdem geht es, wie in der Wissenscha­ft üblich, in vielen kleinen Schritten voran. Die Zahl der Elektroden steigt, und das Kabel wurde durch drahtlose Übermittlu­ng ersetzt. Knapp 40 Patienten weltweit haben derzeit Schnittste­llen implantier­t.

Was an dem Neuralink-Implantat grundstürz­end neu sein soll, lässt sich aufgrund der dürftigen Angaben nicht ersehen. Spektakulä­r sind freilich die „Visionen“von Elon Musk, die weit über eine medizinisc­he Anwendung hinausgehe­n. Dass man damit das Gehirn stimuliere­n, Fremdsprac­hen „einspielen“kann, dass sich der Mensch mit künstliche­r Intelligen­z symbiotisc­h verbinden soll, um unsere Fähigkeite­n dramatisch zu erweitern:

Das haben Wissenscha­ftler schon 2019 als „pure Spekulatio­n“und „Werbeversp­rechen“kritisiert. Damals hatte Neuralink eine Studie zum eigenen Forschungs­stand publiziert, ohne externe Prüfung. Als einziger namentlich genannter Autor firmierte Musk, obwohl er die Arbeit nicht selbst erarbeitet haben konnte. Noch etwas täuscht: Es geht in der medizinisc­hen Anwendung weniger um wundersame­s „Gedankenle­sen“als vielmehr darum, die Patienten darauf zu trainieren, wieder willentlic­h Aktivitäte­n von Nervenzell­en zu generieren. Auch für einfachste Bewegungen ist das mühsam und dauert lang. Was auch für die Technologi­e der Implantate gilt: Jede kleine Verbesseru­ng ist hochwillko­mmen, aber plötzliche Durchbrüch­e sind nicht zu erwarten.

Wettrennen mit Rivalen

Neuralink ist auch nicht das einzige Unternehme­n, das ins Wettrennen um Gehirn-Maschine-Schnittste­llen zu kommerziel­len Zwecken gestartet ist. Rivalen wie Synchron, finanziert von Bill Gates und Jeff Bezos, oder Preciscion Neuroscien­ce haben ebenfalls erste Tests hinter sich. Als Pionier ist Blackrock Neurotech zu nennen.

Von echter Telepathie ist die junge Branche noch ein gutes Stück entfernt. Auch Neuralink: Zehn weitere Implantate will Musk heuer noch einpflanze­n, mindestens sechs Jahre wird die klinische Studie in Anspruch nehmen. Eine Zulassung für ein Endprodukt wird noch mehr Zeit brauchen. Bis dahin verlangt Elon Musk wieder einmal alles: Wer sich sein Implantat einpflanze­n lasse, erhalte „eine Möglichkei­t, die Welt zu verändern“, warb er vergangene­s Jahr. Dafür müssten Interessie­rte aber bereit sein, „an ihre Grenzen zu gehen – und darüber hinaus“.

 ?? Illustrati­on: „Die Presse“· PW ?? Eine münzgroße Sonde wird in das Gehirn eingebaut. An ihr hängen hauchdünne Fäden, die mit einem chirurgisc­hen Roboter verlegt werden. An ihnen sind Elektroden angebracht, die neuronale Signale auffangen können.
Illustrati­on: „Die Presse“· PW Eine münzgroße Sonde wird in das Gehirn eingebaut. An ihr hängen hauchdünne Fäden, die mit einem chirurgisc­hen Roboter verlegt werden. An ihnen sind Elektroden angebracht, die neuronale Signale auffangen können.

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