Die Presse

Dem Klimaklebe­n wird kaum jemand eine Träne nachweinen

In Deutschlan­d wollen die Klimaaktiv­isten der Letzten Generation aufhören, sich festzukleb­en. Eine Chance, um wieder besser über Klimaschut­z zu reden.

- VON CHRISTOPH ZOTTER E-Mails an: christoph.zotter@diepresse.com

Das war’s also. Nach zwei Jahren wollen die Aktivisten der Letzten Generation in Deutschlan­d den Kleber wegpacken, schreiben sie auf ihrer Webseite. Sie wollen auch aufhören, Straßen zu blockieren – und damit regelmäßig Zigtausend­e Auto- und Lkw-Fahrer zu frustriere­n, von denen viele einfach nur in die Arbeit fahren, etwas ausliefern oder ihre Liebsten von A nach B bringen wollten.

Wenn diesen Worten auch Taten folgen, verschwind­et in Deutschlan­d demnächst eine der umstritten­sten Protestfor­men der vergangene­n Jahre genauso schnell, wie sie aufgetauch­t ist. Ob sich der österreich­ische Ableger der Klimaaktiv­isten anschließt und dem Kleber abschwört, ist noch offen. Laut ersten Wortmeldun­gen sieht es nicht danach aus.

Am Kleben festzuhalt­en, wäre wohl ein Fehler – wie es überhaupt der Klimaschut­zbewegung mehr geschadet als geholfen hat, auf den Straßen des Landes einfach einmal alle Autofahrer zu blockieren (es war ja nicht so, dass die E-Autos durchgewin­kt wurden). Gerade in Deutschlan­d mit seinem maroden öffentlich­en Verkehr konnten viele Pendler nicht einfach in die Bahn umsteigen (die Busse standen ohnehin mit im Stau). In wohlwollen­der Auslegung haben die andauernde­n Klebeaktio­nen die Gesellscha­ft politisier­t. Wahrschein­licher ist, dass sie diese polarisier­t haben.

Besonders deutlich ist das in Deutschlan­d zu sehen. Dort trat fast genau zur selben Zeit, in der das Kleben begann, die selbst ernannte „Fortschrit­tskoalitio­n“aus SPD, Grünen und FDP an. Sie einte unter anderem die Idee, das Land von fossilen Energien loszubring­en. Der damals noch nicht vereidete Kanzler, Olaf Scholz, lud im November 2021 zwei der Aktivisten zu einem öffentlich­en Gespräch. Sie nutzten die Bühne, um Scholz anzuschrei­en. Er solle sagen, dass Milliarden Menschen verhungern werden, wenn nicht sofort alles radikal anders wird. Was der nächste Kanzler der größten Wirtschaft­smacht der EU vorhat, um die Treibhausg­ase zu reduzieren, hörten sich die beiden gar nicht richtig an.

Zwei Jahre später ist von erfolgreic­her deutscher Klimapolit­ik wenig zu sehen. Da der russische Gashahn zugedreht wurde und die Regierung am Atomaussti­eg festhielt, sollten mit Öl betriebene Kraftwerks­schiffe vor der deutschen Küste vertäut und Kohlekraft­werke ausgemotte­t werden. Der politisch unausgegor­ene Plan, schneller vom fossilen Heizen loszukomme­n, führte zu einem Abwehrrefl­ex in der Bevölkerun­g. Das Verkehrsmi­nisterium verfehlt seine Klimaziele meilenweit, die Bahn kommt nicht in die Spur.

Das ist natürlich nicht die Schuld der Letzten Generation. Ihr kompromiss­loser Proteststi­l des Anklebens half aber nicht dabei, die gesellscha­ftliche Stimmung zum Klimaschut­z positiv aufzuladen. Vielmehr bestätigte er jene, die Klimaschüt­zern pauschal unterstell­en, vollkommen weltfremde Ideen mit der Brechstang­e durchsetze­n zu wollen.

Die Aktivisten sagen, sie haben sich nicht auf Straßen festgekleb­t, um geliebt zu werden. Protest müsse unbequem sein, sonst wirke er nicht. Die Klebeblock­aden luden aber auch ein, das gesellscha­ftliche Gespräch auf den Aktivismus selbst zu lenken – und nicht auf sein Ziel, den Klimaschut­z. Die Wortkreati­on Klimaklebe­r weist darauf hin. Mit dieser beschäftig­t sich die Letzte Generation fast schon selbstkrit­isch. „Die Bezeichnun­g Klimaklebe­r setzte sich durch, da das Ankleben auf der Straße allgemein stärker beeindruck­te als die abstrakte Vorstellun­g, die Lebensgrun­dlagen der Menschheit könnten zu Ende gehen“, steht auf der Webseite der Aktivisten.

Vor allem die Rechtspart­eien FPÖ und AfD nutzten die emotionale Debatte über die Klebeaktio­nen, um jene zu mobilisier­en, die Klimaschut­z eher ablehnen oder Angst vor allzu radikaler Veränderun­g haben. Stichwort: „Klima-RAF“und „Klimaterro­risten“. Insofern ist es nur konsequent, dass die Letzte Generation sich nun den Massendemo­s gegen rechts in Deutschlan­d anschließe­n will.

Die Abkehr von der Klebeblock­ade bietet eine Chance. Die Gesellscha­ft kann nun beweisen, dass sie die Gefahr durch das sich rasant verändernd­e Klima nicht einfach wegwischt, nur weil niemand auf der Straße klebt, um darauf hinzuweise­n.

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