„Wer zu uns kommt, muss sich anpassen“
Karl Nehammer über das „Rechtsextreme“an Herbert Kickl, die Notwendigkeit einer Leitkultur und das vorläufige Vermächtnis seiner Kanzlerschaft.
Sie haben Herbert Kickl „rechtsextrem“genannt. Was ist für Sie rechtsextrem?
Karl Nehammer: Herbert Kickl hat selbst gesagt, er nimmt den Vorwurf, er sei rechtsextrem als Orden, den er stolz auf der Brust trägt. Alles Extreme zeichnet sich dadurch aus, dass es in der Bewertung der Lage radikalisiert ist. Es gibt gerade bei Herbert Kickl dunkle Verschwörungstheorien. Er versucht bei seinen Parteiinszenierungen – weil in der breiten Öffentlichkeit kann man ihm ja nicht begegnen – ganz bewusst, das Schlechteste aus den Menschen herauszuholen. Er beschwört die Dunkelheit herauf. Ich stehe auf der anderen Seite – für eine Zukunft, die wir auch hell gestalten können.
Gemäß der gängigen Definition lehnt ein Rechtsextremer die Verfassung und die demokratische Grundordnung ab. Das ist bei Kickl nicht der Fall.
Dann müssen Sie Kickl fragen, warum er es toll findet, wenn er als rechtsextrem bezeichnet wird. Und wenn er Fahndungslisten über Andersdenkende erstellt, dann ist das kein Demokratieverständnis. Ich selbst empfinde mich als Mitte-rechts. Ich würde es als Zumutung erachten, in das gleiche politische Schema gesetzt zu werden wie Herbert Kickl.
Ihre Partei war mit Herbert Kickl in einer Regierung. An sich hat das, zumindest nach außen hin, ganz gut funktioniert.
Bis die FPÖ sich selbst weggesprengt hat. Schon damals war Kickl der Grund. Wir haben vor allem danach erst festgestellt, wie viel er zerstört hat im Innenministerium. Allein durch die Zerstörung des Verfassungsschutzes hat er das Vertrauen in die österreichische Sicherheitsarchitektur zerstört.
Aber im BVT war schon vorher der Wurm drinnen.
Ja, das hat ja niemand bestritten. Die Frage ist immer nur: Wie gehe ich mit Problemen um. Ich habe dann auch den Verfassungsschutz neu aufgebaut, wir haben das Vertrauen zurückgewonnen.
Die Vorhaben im Kapitel Migration Ihres „Österreichplans“werden Sie aber vermutlich nur mit der FPÖ durchkriegen.
Das glaube ich nicht. Von den Rechtsradikalen wird versucht, das Thema Leitkultur zu kapern. Das dürfen wir nicht zulassen, daher ist es wichtig, dass gerade wir als Partei der Mitte das ansprechen: die Vielfalt der Gesellschaft, die Grundwerte, die uns einen, die christlich-jüdische Tradition, all das, was uns ausmacht und prägt. Wer zu uns kommt, muss sich anpassen. Und er muss ja nicht zu uns kommen, wenn er nicht will.
Wie wollen Sie denn den Begriff der Leitkultur gesetzlich festschreiben?
Die Integrationsministerin hat von mir den Auftrag dazu bekommen, ein Konzept zu erstellen. Was ist der Sinn der Übung? Dass Menschen, die zu uns kommen, wissen, worauf sie sich einlassen. Und wenn sie das nicht wollen, gar nicht zu uns kommen.
Mit Babler ginge es leichter als mit Kickl? So weit links außen war schon lange kein SPÖ-Chef mehr.
Die Erfahrung, dass irgendetwas leicht ist, habe ich in den vergangenen Jahren nicht gemacht. Die Frage wird sich nach der Wahl stellen, wenn der Wähler entschieden haben.
Wann wird gewählt?
Der Plan lautet: im September.
Kommen wir zu Ihrem Programm: Wer genau bekommt nun den Vollzeit-Bonus?
Zunächst ist festzuhalten: Der Leistungsgedanke ist das Fundament für Wohlstand. Es braucht genügend Menschen, die in das System einzahlen, damit der Sozialstaat funktionieren kann. Der Leistungsgedanke ist breit: Es ist ja nicht nur Vollzeit-Bonus Teil des Plans, sondern auch die Steuerfreistellung von Überstunden. Leistung soll sich also lohnen. Der Vollzeit-Bonus soll jene, die keine Betreuungspflichten haben, ermutigen, von einem Teilzeitjob auf Vollzeit aufzustocken. Jeder, der jetzt schon Vollzeit arbeitet, kommt ohnehin in den Genuss der Steuerreform.
Sie wollen die Steuerstufe bei 48 Prozent streichen. Was heißt das?
Das ist ein Leistungsanreiz für Menschen, die mehr in das System einzahlen als sie herausbekommen.
Das heißt, die Steuerstufe bleibt dann bei 40 Prozent und dann folgt 50? Ja.
Es wurde bereits die Frage der Gegenfinanzierung gestellt: Ist da etwas geplant oder muss der Staat dann einfach mit weniger Geld auskommen?
Es gibt ein Modell mit drei Säulen zur Gegenfinanzierung: Wir wollen zum einen die Subventionen deutlich zurückfahren und durchforsten, die Covid-Förderungen werden sich langsam dem Ende zuneigen, die Energiekostenzuschüsse ebenso. Die Deregulierung soll auch mitwirken. Und so paradox das klingen mag: Wenn man Steuern senkt, den Eingangssteuersatz etwa, dann kann man dadurch mehr Steuern generieren, über verstärkten Konsum und die Massensteuern. Und auch dazu gehört ein Ja zur gezielten Zuwanderung in den Arbeitsmarkt. Und ein Nein zur illegalen Migration, zur Zuwanderung ins Sozialsystem. Daher auch erst nach fünf Jahren voller Anspruch auf Sozialhilfe.
Es zeigen alle Zahlen, Daten und Fakten, dass das notwendig ist, da in diesem Bereich die meisten Bezieher aus Drittstaaten kommen.
Beim Thema EU will die ÖVP den Einfluss der nationalen Parlamente wieder stärken. Wie?
Wir sehen bei der EU eine Entwicklung, die in die falsche Richtung geht. Der Beitritt zur EU war eine der besten Entscheidungen in der Geschichte. Weil uns die EU Stabilität und Sicherheit gebracht hat, der Binnenmarkt hat unsere Wirtschaft beflügelt. Aber die EU beginnt sich immer mehr in Details einzumischen. Der österreichische Zugang zur EU war immer Subsidiarität. Das ist auch in der DNA der Volkspartei. Probleme sollen in erster Linie dort gelöst werden, wo sie entstehen. Da braucht es eine Redimensionierung der Aufgaben der EU. Deregulierung, wo es notwendig ist, um auch die Wirtschaft wieder ein Stück weit zu befreien.
Was ist von Türkis-Grün jetzt noch zu erwarten?
Wir wollen das, was wir beschlossen haben, auf den Boden zu bringen. Wie die Gesundheitsreform und den Ausbau der Kinderbetreuung. Ein großes Thema war da auch der Ärztemangel: Wie können wird das kompensieren in der Zukunft? Ein erster Schritt mit hundert Kassenärzten mehr ist gesetzt.
Wie soll denn die Arbeitspflicht für Mediziner aussehen?
Das ist ein Modell, das es auch in anderen Berufen gibt: Wenn man eine Ausbildung finanziert bekommt, dann verpflichtet man sich dazu, eine gewisse Zeit im Gesundheitssystem zu arbeiten. Tue ich das nicht, muss ich Ausbildungskosten zurück erstatten.
Sollte es sich nicht mehr ausgehen mit einer Fortsetzung im Kanzleramt: Was soll denn von Ihrer Kanzlerschaft bleiben?
Ich gehe davon aus, dass ich den Auftrag wieder erhalten werde. Was jedenfalls bleiben soll: Dass Optimismus, Zuversicht und Redlichkeit Tugenden sind, die gerade in Krisenzeiten besonders wichtig sind. Es war in dieser Zeit der Krisen beeindruckend, wie durchhaltefähig Österreich ist. Und die Abschaffung der Kalten Progression, die ökosoziale Steuerreform, eine neue Sicherheitsstruktur mit dem Sky-shield werden auch bleiben.
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Es braucht eine Redimensionierung der Aufgaben der EU. Deregulierung, wo es notwendig ist, um die Wirtschaft ein Stück weit zu befreien.
Karl Nehammer Bundeskanzler
Die Reise zu Putin haben Sie nie bereut?
Überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Es war damals die Chance auf einen Waffenstillstand und die Reise war ja akkordiert mit der EU-Führung und der Ukraine. Ich habe damals die Gelegenheit genutzt, den russischen Präsidenten mit dem Schrecken des Krieges zu konfrontieren.
Hat Sie das Burger-Video vorsichtiger werden lassen?
Sagen wir es so: Ich bin noch bewusster geworden. Das Burger-Beispiel war sicher nicht das beste für die Verantwortung der Eltern, wenn es darum geht, dass ihre Kinder eine warme Mahlzeit zu bekommen. Aber das Ganze fand statt im Rahmen einer leidenschaftlichen Diskussion, nicht bei einer Rede an die Nation. Das Video hat mir noch einmal deutlich vor Augen geführt: Man ist Bundeskanzler 24 Stunden lang.
Noch Kontakt zu Sebastian Kurz?
Regelmäßig. Es ist dann auch immer ein Austausch über die vielen Erfahrungen, die er jetzt macht, über die Entwicklungen in der Welt.