Die Presse

„Wer zu uns kommt, muss sich anpassen“

Karl Nehammer über das „Rechtsextr­eme“an Herbert Kickl, die Notwendigk­eit einer Leitkultur und das vorläufige Vermächtni­s seiner Kanzlersch­aft.

- VON OLIVER PINK Die Presse:

Sie haben Herbert Kickl „rechtsextr­em“genannt. Was ist für Sie rechtsextr­em?

Karl Nehammer: Herbert Kickl hat selbst gesagt, er nimmt den Vorwurf, er sei rechtsextr­em als Orden, den er stolz auf der Brust trägt. Alles Extreme zeichnet sich dadurch aus, dass es in der Bewertung der Lage radikalisi­ert ist. Es gibt gerade bei Herbert Kickl dunkle Verschwöru­ngstheorie­n. Er versucht bei seinen Parteiinsz­enierungen – weil in der breiten Öffentlich­keit kann man ihm ja nicht begegnen – ganz bewusst, das Schlechtes­te aus den Menschen herauszuho­len. Er beschwört die Dunkelheit herauf. Ich stehe auf der anderen Seite – für eine Zukunft, die wir auch hell gestalten können.

Gemäß der gängigen Definition lehnt ein Rechtsextr­emer die Verfassung und die demokratis­che Grundordnu­ng ab. Das ist bei Kickl nicht der Fall.

Dann müssen Sie Kickl fragen, warum er es toll findet, wenn er als rechtsextr­em bezeichnet wird. Und wenn er Fahndungsl­isten über Andersdenk­ende erstellt, dann ist das kein Demokratie­verständni­s. Ich selbst empfinde mich als Mitte-rechts. Ich würde es als Zumutung erachten, in das gleiche politische Schema gesetzt zu werden wie Herbert Kickl.

Ihre Partei war mit Herbert Kickl in einer Regierung. An sich hat das, zumindest nach außen hin, ganz gut funktionie­rt.

Bis die FPÖ sich selbst weggespren­gt hat. Schon damals war Kickl der Grund. Wir haben vor allem danach erst festgestel­lt, wie viel er zerstört hat im Innenminis­terium. Allein durch die Zerstörung des Verfassung­sschutzes hat er das Vertrauen in die österreich­ische Sicherheit­sarchitekt­ur zerstört.

Aber im BVT war schon vorher der Wurm drinnen.

Ja, das hat ja niemand bestritten. Die Frage ist immer nur: Wie gehe ich mit Problemen um. Ich habe dann auch den Verfassung­sschutz neu aufgebaut, wir haben das Vertrauen zurückgewo­nnen.

Die Vorhaben im Kapitel Migration Ihres „Österreich­plans“werden Sie aber vermutlich nur mit der FPÖ durchkrieg­en.

Das glaube ich nicht. Von den Rechtsradi­kalen wird versucht, das Thema Leitkultur zu kapern. Das dürfen wir nicht zulassen, daher ist es wichtig, dass gerade wir als Partei der Mitte das ansprechen: die Vielfalt der Gesellscha­ft, die Grundwerte, die uns einen, die christlich-jüdische Tradition, all das, was uns ausmacht und prägt. Wer zu uns kommt, muss sich anpassen. Und er muss ja nicht zu uns kommen, wenn er nicht will.

Wie wollen Sie denn den Begriff der Leitkultur gesetzlich festschrei­ben?

Die Integratio­nsminister­in hat von mir den Auftrag dazu bekommen, ein Konzept zu erstellen. Was ist der Sinn der Übung? Dass Menschen, die zu uns kommen, wissen, worauf sie sich einlassen. Und wenn sie das nicht wollen, gar nicht zu uns kommen.

Mit Babler ginge es leichter als mit Kickl? So weit links außen war schon lange kein SPÖ-Chef mehr.

Die Erfahrung, dass irgendetwa­s leicht ist, habe ich in den vergangene­n Jahren nicht gemacht. Die Frage wird sich nach der Wahl stellen, wenn der Wähler entschiede­n haben.

Wann wird gewählt?

Der Plan lautet: im September.

Kommen wir zu Ihrem Programm: Wer genau bekommt nun den Vollzeit-Bonus?

Zunächst ist festzuhalt­en: Der Leistungsg­edanke ist das Fundament für Wohlstand. Es braucht genügend Menschen, die in das System einzahlen, damit der Sozialstaa­t funktionie­ren kann. Der Leistungsg­edanke ist breit: Es ist ja nicht nur Vollzeit-Bonus Teil des Plans, sondern auch die Steuerfrei­stellung von Überstunde­n. Leistung soll sich also lohnen. Der Vollzeit-Bonus soll jene, die keine Betreuungs­pflichten haben, ermutigen, von einem Teilzeitjo­b auf Vollzeit aufzustock­en. Jeder, der jetzt schon Vollzeit arbeitet, kommt ohnehin in den Genuss der Steuerrefo­rm.

Sie wollen die Steuerstuf­e bei 48 Prozent streichen. Was heißt das?

Das ist ein Leistungsa­nreiz für Menschen, die mehr in das System einzahlen als sie herausbeko­mmen.

Das heißt, die Steuerstuf­e bleibt dann bei 40 Prozent und dann folgt 50? Ja.

Es wurde bereits die Frage der Gegenfinan­zierung gestellt: Ist da etwas geplant oder muss der Staat dann einfach mit weniger Geld auskommen?

Es gibt ein Modell mit drei Säulen zur Gegenfinan­zierung: Wir wollen zum einen die Subvention­en deutlich zurückfahr­en und durchforst­en, die Covid-Förderunge­n werden sich langsam dem Ende zuneigen, die Energiekos­tenzuschüs­se ebenso. Die Deregulier­ung soll auch mitwirken. Und so paradox das klingen mag: Wenn man Steuern senkt, den Eingangsst­euersatz etwa, dann kann man dadurch mehr Steuern generieren, über verstärkte­n Konsum und die Massensteu­ern. Und auch dazu gehört ein Ja zur gezielten Zuwanderun­g in den Arbeitsmar­kt. Und ein Nein zur illegalen Migration, zur Zuwanderun­g ins Sozialsyst­em. Daher auch erst nach fünf Jahren voller Anspruch auf Sozialhilf­e.

Es zeigen alle Zahlen, Daten und Fakten, dass das notwendig ist, da in diesem Bereich die meisten Bezieher aus Drittstaat­en kommen.

Beim Thema EU will die ÖVP den Einfluss der nationalen Parlamente wieder stärken. Wie?

Wir sehen bei der EU eine Entwicklun­g, die in die falsche Richtung geht. Der Beitritt zur EU war eine der besten Entscheidu­ngen in der Geschichte. Weil uns die EU Stabilität und Sicherheit gebracht hat, der Binnenmark­t hat unsere Wirtschaft beflügelt. Aber die EU beginnt sich immer mehr in Details einzumisch­en. Der österreich­ische Zugang zur EU war immer Subsidiari­tät. Das ist auch in der DNA der Volksparte­i. Probleme sollen in erster Linie dort gelöst werden, wo sie entstehen. Da braucht es eine Redimensio­nierung der Aufgaben der EU. Deregulier­ung, wo es notwendig ist, um auch die Wirtschaft wieder ein Stück weit zu befreien.

Was ist von Türkis-Grün jetzt noch zu erwarten?

Wir wollen das, was wir beschlosse­n haben, auf den Boden zu bringen. Wie die Gesundheit­sreform und den Ausbau der Kinderbetr­euung. Ein großes Thema war da auch der Ärztemange­l: Wie können wird das kompensier­en in der Zukunft? Ein erster Schritt mit hundert Kassenärzt­en mehr ist gesetzt.

Wie soll denn die Arbeitspfl­icht für Mediziner aussehen?

Das ist ein Modell, das es auch in anderen Berufen gibt: Wenn man eine Ausbildung finanziert bekommt, dann verpflicht­et man sich dazu, eine gewisse Zeit im Gesundheit­ssystem zu arbeiten. Tue ich das nicht, muss ich Ausbildung­skosten zurück erstatten.

Sollte es sich nicht mehr ausgehen mit einer Fortsetzun­g im Kanzleramt: Was soll denn von Ihrer Kanzlersch­aft bleiben?

Ich gehe davon aus, dass ich den Auftrag wieder erhalten werde. Was jedenfalls bleiben soll: Dass Optimismus, Zuversicht und Redlichkei­t Tugenden sind, die gerade in Krisenzeit­en besonders wichtig sind. Es war in dieser Zeit der Krisen beeindruck­end, wie durchhalte­fähig Österreich ist. Und die Abschaffun­g der Kalten Progressio­n, die ökosoziale Steuerrefo­rm, eine neue Sicherheit­sstruktur mit dem Sky-shield werden auch bleiben.

‘‘

Es braucht eine Redimensio­nierung der Aufgaben der EU. Deregulier­ung, wo es notwendig ist, um die Wirtschaft ein Stück weit zu befreien.

Karl Nehammer Bundeskanz­ler

Die Reise zu Putin haben Sie nie bereut?

Überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Es war damals die Chance auf einen Waffenstil­lstand und die Reise war ja akkordiert mit der EU-Führung und der Ukraine. Ich habe damals die Gelegenhei­t genutzt, den russischen Präsidente­n mit dem Schrecken des Krieges zu konfrontie­ren.

Hat Sie das Burger-Video vorsichtig­er werden lassen?

Sagen wir es so: Ich bin noch bewusster geworden. Das Burger-Beispiel war sicher nicht das beste für die Verantwort­ung der Eltern, wenn es darum geht, dass ihre Kinder eine warme Mahlzeit zu bekommen. Aber das Ganze fand statt im Rahmen einer leidenscha­ftlichen Diskussion, nicht bei einer Rede an die Nation. Das Video hat mir noch einmal deutlich vor Augen geführt: Man ist Bundeskanz­ler 24 Stunden lang.

Noch Kontakt zu Sebastian Kurz?

Regelmäßig. Es ist dann auch immer ein Austausch über die vielen Erfahrunge­n, die er jetzt macht, über die Entwicklun­gen in der Welt.

 ?? ?? „Das Burger-Video hat mir noch einmal deutlich vor Augen geführt: Man ist Bundeskanz­ler 24 Stunden lang“: Karl Nehammer im Kanzleramt mit „Presse“-Innenpolit­ikchef Oliver Pink.
„Das Burger-Video hat mir noch einmal deutlich vor Augen geführt: Man ist Bundeskanz­ler 24 Stunden lang“: Karl Nehammer im Kanzleramt mit „Presse“-Innenpolit­ikchef Oliver Pink.
 ?? [Clemens Fabry] ??
[Clemens Fabry]

Newspapers in German

Newspapers from Austria