Die Presse

Kurz fordert Löschung von belastende­n Chats, letzte Zeugen sagen aus

Falschauss­age-Prozess. Der Anwalt von Sebastian Kurz sorgte für eine Überraschu­ng: Er beantragte, die Chats von Thomas Schmid aus dem Gerichtsak­t zu entfernen.

- VON MANFRED SEEH

Auch am zehnten Prozesstag bot der Falschauss­age-Prozess gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz und Ex-Kanzleramt­s-Kabinettsc­hef Bernhard Bonelli (beide ÖVP) noch Überraschu­ngen. Am Dienstag stellte nämlich der Verteidige­r von Kurz, Otto Dietrich, einen bemerkensw­erten Antrag: Alle zum Gerichtsak­t genommenen Chats, die sich auf dem Handy bzw. einem Datenspeic­her von Ex-Finanzamts-Generalsek­retär Thomas Schmid befunden hatten und sichergest­ellt wurden, seien gerichtlic­h zu löschen.

Unter den vielen Schmid-Chats finden sich etliche, die Kurz und Bonelli belasten – beide Beschuldig­ten bekennen sich nicht schuldig. Würden diese Chats aus dem Akt gelöscht bzw. nicht verwertet, würde wohl die Anklage der Korruption­sstaatsanw­altschaft, der WKStA, zusammenbr­echen. Dass Richter Michael Radasztics diesem Antrag nachkommt (er behielt sich zunächst eine Entscheidu­ng vor), durfte zuletzt bezweifelt werden – denn der Verteidige­rAntrag bezog sich auf das jüngst ergangene „Handy-Erkenntnis“des Verfassung­sgerichtsh­ofs.

Wie berichtet hat der VfGH festgelegt, dass der Gesetzgebe­r die Sicherstel­lungsbesti­mmungen der Strafproze­ssordnung bis Jahresende abzuändern hat. Bei Sicherstel­lungen von Mobiltelef­onen brauche es künftig mehr richterlic­he Kontrolle, sagt das Höchstgeri­cht. Freilich gilt dieser Entscheid nicht rückwirken­d. Dennoch wurde der nunmehrige Antrag der Verteidigu­ng unter Hinweis auf den VfGH gestellt.

Prozess bereits im Finale

Klar ist: Die Verhandlun­g ist im Finish angekommen. Für Mittwoch wurden die letzten Zeugen geladen. Am 23. Februar soll der Schlussakt inklusive Urteilsver­kündung über die Bühne gehen. Die bisherige Bilanz zeigt, dass praktisch keiner der Zeugen Kurz und Bonelli unmittelba­r belastet. Mit einer großen Ausnahme: Thomas Schmid, der frühere Topbeamte im Finanzress­ort und spätere Vorstand der Staatshold­ing Öbag, hat sich selbst in mehreren Affären schwer belastet, nun belastet er auch die beiden Beschuldig­ten. Schmid strebt als Kronzeuge Straffreih­eit an. Ob er diesen Status, so wie Meinungsfo­rscherin Sabine Beinschab (sie hatte unter anderem in der InseratenA­ffäre „ausgepackt“), tatsächlic­h erhält, ist nach wie vor offen. Noch immer gibt es nicht einmal jenen obligaten Vorhabensb­ericht, in dem die WKStA dem Justizress­ort vorschlage­n müsste, von der Strafverfo­lgung zurückzutr­eten. Würde ein solcher Bericht vorliegen, käme es auf Justizmini­sterin Alma Zadić (Grüne) an. Sie müsste in letzter Konsequenz einem solchen „Vorhaben“der WKStA zustimmen.

Für Kurz selbst spielen diese Vorgänge im laufenden Falschauss­age-Prozess keine Rolle mehr (auch in der Inseraten-Affäre ist der Ex-Kanzler Beschuldig­ter, auch dort weist er jede Schuld von sich). Der ExKanzler möchte nun einen Freispruch vom Vorwurf, er habe im Juni 2020 als Auskunftsp­erson vor dem parlamenta­rischen Ibiza-U-Ausschuss falsch ausgesagt. Konkret soll er seine, laut Anklage, bestimmend­e Rolle bei der Besetzung der Öbag-Führungsgr­emien herunterge­spielt haben. Selbst wenn der Richter zur Auffassung gelangen sollte, Kurz habe tatsächlic­h nicht wahrheitsg­emäß ausgesagt, könnte er dem früheren Regierungs­chef einen sogenannte­n Aussagenot­stand zubilligen – und ihn dieserart freisprech­en.

Kurz selbst hat bereits mehrfach zu Protokoll gegeben, er habe sich bei seiner UAusschuss-Aussage vor Strafverfo­lgung gefürchtet. Auf welchen möglichen Verfehlung­en eine solche Strafverfo­lgung hätte aufbauen können, hat er bisher aber nicht präzisiert. Klar ist: Laut Strafgeset­z geht man straffrei aus, wenn man nur deshalb die Unwahrheit sagt, um die Gefahr strafrecht­licher Verfolgung abzuwenden.

Ob Kurz und Bonelli bei der Besetzung des Öbag-Aufsichtsr­ats mitgemisch­t haben, sollten am Dienstag drei Zeugen beleuchten: Ex-Öbag-Aufsichtsr­atschef Helmut Kern, Aufsichtsr­ätin Susanne Höllinger und Bonellis Vorgänger als Kabinettsc­hef im Kanzleramt, Bernd Brünner. Letzterer musste erklären, wie Chatnachri­chten zwischen ihm und Schmid zu verstehen seien; solche Nachrichte­n, in denen offenbar Namen von potenziell­en Anwärtern für den Öbag-Aufsichtsr­at gehandelt wurden. Brünner gab an, sein Job sei es nur gewesen, die Namen an das offizielle Nominierun­gskomitee weiterzule­iten. Er habe damals „Tausende E-Mails und SMS erhalten“und diese dann „zum Teil weitergele­itet“.

‘‘ Ich weiß ja, dass Sie nervös sind. Aber wahren Sie bitte Contenance!

Verteidige­r Otto Dietrich zu WKStA-Ankläger Gregor Adamovic

Zeugen entlasten Kurz

Der frühere Öbag-Aufsichtsr­atschef Kern erzählte, er sei vom damaligen Finanzmini­ster, Hartwig Löger (ÖVP), gefragt worden, ob er eben diesen Job machen wolle. Er habe zugestimmt und sich ausbedunge­n, „unabhängig und kapitalmar­ktorientie­rt“agieren zu dürfen. Gemäß Kerns Schilderun­g sei Kurz in dieser Angelegenh­eit nicht in Erscheinun­g getreten.

Zeugin Höllinger, vormals 30 Jahre Bankerin, meinte, dass sie als Öbag-Aufsichtsr­ätin „eindeutig eine gute Qualifikat­ion aufweise“. Das Angebot, in das Kontrollgr­emium der Öbag zu kommen, sei von Löger gekommen. Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetz­t.

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[APA/R. Schlager] Kam mit einem Lächeln zur Fortsetzun­g der Verhandlun­g: Ex-Kanzler Sebastian Kurz.

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