Gendern als Wahlkampfschlager
Parteistrategie. Warum es für Österreichs Parteien immer wichtiger wird, sich in der Genderdebatte zu positionieren, und die Konservativen und Rechten hier strategisch im Vorteil sind.
Eine härtere Linie bei der Integration. Niedrigere Steuern. Ein leichterer Eigentumserwerb. Neben diesen Forderungen fand sich im „Österreich-Plan“der ÖVP vergangene Woche der Ruf, beim Gendern in der Verwaltung Sonderzeichen zu verbieten. Stattdessen sollen beide Geschlechter ausgeschrieben werden. Die Grünen lehnten den Vorstoß ab, der FPÖ ging er nicht weit genug.
Der politische Kampf ums Gendern ging damit in die nächste Runde. Im vergangenen Jahr hat ein von Justizministerin Alma Zadić (Grüne) vorgelegtes Gesetz, das in rein weiblicher Form formuliert ist, Debatten ausgelöst. Ebenso ein Gender-Erlass für die niederösterreichische Landesverwaltung, nach dem Gender-Stern, Binnen-I und Co. verboten werden. Doch verlaufen die Fronten auch quer durch die Ministerien: Je nach Ressort wird anders oder gar nicht gegendert, eine einheitliche Linie gibt es nicht.
Seit Jahren werde das Gendern bei der politischen Bewusstseinsbildung und Orientierung immer wichtiger, sagt der Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer zur „Presse“: „In Deutschland derzeit möglicherweise sogar noch etwas mehr als in Österreich.“
„Das gab es immer“
Neu sei der Fokus auf solch ein Kulturkampfthema nicht, so Meinungsforscher Peter Hajek: „Das gab es immer. Früher wurden andere Kulturkämpfe ausgefochten.“Solche emotionalen Themen seien für die Parteien wichtig, um „ihre Wertehaltung“darzulegen und sich von der politischen Konkurrenz abzugrenzen. Sei das vor Jahrzehnten die Haltung zur Homosexualität gewesen, so werde nun die Positionierung in der Genderfrage hier bedeutender, so Hajek.
Das Thema bietet sich wegen seiner Emotionalität und Breitenwirkung an. Debatten wie jene um Transsexualität würden kurzfristig Aufsehen mit sich bringen, letztlich seien sie politisch allerdings „Minderheitenthemen“, sagt Bachmayer. Doch dürften auch andere Gründe ausschlaggebend sein, warum das Thema derart oft politisch forciert wird.
Politikwissenschaftlerin Julia Partheymüller vom Institut für Staatswissenschaften an der Uni Wien ist Teil des Forschungszentrums Vienna Center for Electoral Research.
Derzeit forscht es auch zunehmend zum Thema Kulturkampf in Österreich. Das Gendern sticht für Partheymüller dabei heraus.
Parallelen zu den USA
„In den USA brachten die Republikaner bereits unter US-Präsident Ronald Reagan immer wieder die Themen ,God, guns and gays‘ (Gott, Waffen und Homosexuelle, Anm.) hoch. Damit sollten die Demokraten gespalten werden“, so Partheymüller. Während die Republikaner bei diesen Themen sehr geeint aufgetreten seien, seien sie für die Demokraten, vor allem jene in den konservativeren Südstaaten, ein Spaltpilz gewesen.
„Eine ähnliche Situation scheinen wir in Österreich mit dem Gendern zu haben“, sagt die Politikwissenschaftlerin. Umfragen in deutschsprachigen Ländern zeigen, dass in der Regel um die 60 bis 70 Prozent gegen das Gendern seien. In der Regel sind Wähler konservativer und rechter Parteien in ihrer Ablehnung ganz überwiegend geeint. Wähler aus dem linken Lager sind hingegen gespalten.
„Es bietet sich also für Rechte und Konservative besonders gut an, über das Gendern zu reden. Bei den linken Parteien tut man sich damit dann nämlich schwer, weil die eigenen Anhänger unterschiedliche Meinungen haben“, sagt Partheymüller. Bei anderen Kulturkampfthemen seien die Bruchlinien zwischen der konservativen und der linken Wählerschaft deutlicher sichtbar.
Allerdings geben sich die Grünen in Österreich mit einem offenen Eintreten für das Gendern offensiver, während die SPÖ möglichst keine Debatten führen möchte. Mit seiner Wirkung als Spaltpilz und Orientierung für den Wähler dürfte die Bedeutung der Genderfrage aber so bald nicht abnehmen. Auch im Nationalratswahlkampf „wird das Gendern ganz sicher eine Rolle spielen“, sagt Bachmayer.