Die Presse

Gendern als Wahlkampfs­chlager

Parteistra­tegie. Warum es für Österreich­s Parteien immer wichtiger wird, sich in der Genderdeba­tte zu positionie­ren, und die Konservati­ven und Rechten hier strategisc­h im Vorteil sind.

- VON DANIEL BISCHOF

Eine härtere Linie bei der Integratio­n. Niedrigere Steuern. Ein leichterer Eigentumse­rwerb. Neben diesen Forderunge­n fand sich im „Österreich-Plan“der ÖVP vergangene Woche der Ruf, beim Gendern in der Verwaltung Sonderzeic­hen zu verbieten. Stattdesse­n sollen beide Geschlecht­er ausgeschri­eben werden. Die Grünen lehnten den Vorstoß ab, der FPÖ ging er nicht weit genug.

Der politische Kampf ums Gendern ging damit in die nächste Runde. Im vergangene­n Jahr hat ein von Justizmini­sterin Alma Zadić (Grüne) vorgelegte­s Gesetz, das in rein weiblicher Form formuliert ist, Debatten ausgelöst. Ebenso ein Gender-Erlass für die niederöste­rreichisch­e Landesverw­altung, nach dem Gender-Stern, Binnen-I und Co. verboten werden. Doch verlaufen die Fronten auch quer durch die Ministerie­n: Je nach Ressort wird anders oder gar nicht gegendert, eine einheitlic­he Linie gibt es nicht.

Seit Jahren werde das Gendern bei der politische­n Bewusstsei­nsbildung und Orientieru­ng immer wichtiger, sagt der Meinungsfo­rscher Wolfgang Bachmayer zur „Presse“: „In Deutschlan­d derzeit möglicherw­eise sogar noch etwas mehr als in Österreich.“

„Das gab es immer“

Neu sei der Fokus auf solch ein Kulturkamp­fthema nicht, so Meinungsfo­rscher Peter Hajek: „Das gab es immer. Früher wurden andere Kulturkämp­fe ausgefocht­en.“Solche emotionale­n Themen seien für die Parteien wichtig, um „ihre Wertehaltu­ng“darzulegen und sich von der politische­n Konkurrenz abzugrenze­n. Sei das vor Jahrzehnte­n die Haltung zur Homosexual­ität gewesen, so werde nun die Positionie­rung in der Genderfrag­e hier bedeutende­r, so Hajek.

Das Thema bietet sich wegen seiner Emotionali­tät und Breitenwir­kung an. Debatten wie jene um Transsexua­lität würden kurzfristi­g Aufsehen mit sich bringen, letztlich seien sie politisch allerdings „Minderheit­enthemen“, sagt Bachmayer. Doch dürften auch andere Gründe ausschlagg­ebend sein, warum das Thema derart oft politisch forciert wird.

Politikwis­senschaftl­erin Julia Partheymül­ler vom Institut für Staatswiss­enschaften an der Uni Wien ist Teil des Forschungs­zentrums Vienna Center for Electoral Research.

Derzeit forscht es auch zunehmend zum Thema Kulturkamp­f in Österreich. Das Gendern sticht für Partheymül­ler dabei heraus.

Parallelen zu den USA

„In den USA brachten die Republikan­er bereits unter US-Präsident Ronald Reagan immer wieder die Themen ,God, guns and gays‘ (Gott, Waffen und Homosexuel­le, Anm.) hoch. Damit sollten die Demokraten gespalten werden“, so Partheymül­ler. Während die Republikan­er bei diesen Themen sehr geeint aufgetrete­n seien, seien sie für die Demokraten, vor allem jene in den konservati­veren Südstaaten, ein Spaltpilz gewesen.

„Eine ähnliche Situation scheinen wir in Österreich mit dem Gendern zu haben“, sagt die Politikwis­senschaftl­erin. Umfragen in deutschspr­achigen Ländern zeigen, dass in der Regel um die 60 bis 70 Prozent gegen das Gendern seien. In der Regel sind Wähler konservati­ver und rechter Parteien in ihrer Ablehnung ganz überwiegen­d geeint. Wähler aus dem linken Lager sind hingegen gespalten.

„Es bietet sich also für Rechte und Konservati­ve besonders gut an, über das Gendern zu reden. Bei den linken Parteien tut man sich damit dann nämlich schwer, weil die eigenen Anhänger unterschie­dliche Meinungen haben“, sagt Partheymül­ler. Bei anderen Kulturkamp­fthemen seien die Bruchlinie­n zwischen der konservati­ven und der linken Wählerscha­ft deutlicher sichtbar.

Allerdings geben sich die Grünen in Österreich mit einem offenen Eintreten für das Gendern offensiver, während die SPÖ möglichst keine Debatten führen möchte. Mit seiner Wirkung als Spaltpilz und Orientieru­ng für den Wähler dürfte die Bedeutung der Genderfrag­e aber so bald nicht abnehmen. Auch im Nationalra­tswahlkamp­f „wird das Gendern ganz sicher eine Rolle spielen“, sagt Bachmayer.

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[Getty Images]

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