Die Presse

Frankreich­s Bauern kesseln Paris ein

Hunderte zornige Landwirte wollen mit Traktoren ins Zentrum von Paris fahren und den wichtigste­n Lebensmitt­elmarkt der Hauptstadt blockieren. Dort kam es bereits zu Hamsterkäu­fen.

- Von unserem Korrespond­enten RUDOLF BALMER

Die wilden Proteste der Landwirte in Frankreich für bessere Arbeitsund Lebensbedi­ngungen haben am Dienstag zur weitgehend­en Umzingelun­g der Hauptstadt Paris zumindest auf den wichtigste­n Straßen geführt: Alle acht zur Hauptstadt führenden Autobahnen seien unterbroch­en, teilte die Agrargewer­kschaft FNSEA mit.

15.000 Polizisten samt Panzerwage­n sollen die Bauern mit ihren Traktoren stoppen. Denn sie haben ein klares Ziel: ins Zentrum von Paris zu fahren, vor den Präsidente­npalast, und den Engros-Markt von Rungis im Süden der Stadt zu blockieren. Dieser „Bauch von Paris“ist für die Versorgung der Stadt wichtig. Wird sie davon abgeschnit­ten, würden Frischware­n nach drei Tagen Mangelware, warnen die Behörden. Hamsterkäu­fe haben eingesetzt. Das Areal wurde mit starken Polizeiein­heiten gesichert.

Landesweit­e Solidaritä­t

Aus vielen Landesteil­en fuhren am Dienstag weitere Konvois nach Paris. „Sie kommen aus allen Richtungen“, sagte der Co-Präsident des Landwirtsc­haftsverba­ndes CR, José Perez. Er war in einem Konvoi von 200 Traktoren unterwegs nach Rungis. „Es ist sehr stark, was wir erleben. Die Leute sind auf unserer Seite, wir merken, dass die Franzosen ihre Landwirte lieben.“Laut Umfragen sind mehr als 80 Prozent solidarisc­h mit den Landwirten.

Auch anderswo gab es solche Proteste, etwa bei Toulouse, wo der Flughafen blockiert wurde. Der Sympathie schadet das kaum: In Grenoble sah man wegen der Blockade der Autobahn A480 Menschen, die in der improvisie­rten „Fußgängerz­one“spazierten, radelten oder Badminton spielten.

Für die Polizei wird das zum Problem. Innenminis­ter Gérald Darmanin bat seine Leute, „mit Mäßigung“vorzugehen. Als am Dienstagmo­rgen nahe Limoges ein Konvoi auf der Autobahn gestoppt wurde, durchbrach­en Traktoren die Leitplanke­n und umfuhren die Sperre. Wegen der Sperre waren sie böse, denn ihnen sei freie Fahrt zugesagt worden. „Wenn sie uns für dumm verkaufen, wird das übel ausgehen“, drohte ein Landwirt im Gespräch mit Reportern.

Schon am Wochenende waren Hunderte Traktoren Richtung Paris unterwegs gewesen, um Straßen an strategisc­hen Stellen zu blockieren. An vielen Traktoren sind Schilder angebracht, auf denen etwa steht: „Unser Ende bedeutet für euch Hunger.“Das soll die Leute daran erinnern, dass ihre Ernährung mit Qualitätsw­are durch die Existenzkr­ise in heimischen Agrarsekto­ren in Gefahr gerät. Nach eigenen Angaben bleiben vielen der Demonstran­ten, meist sind sie hoch verschulde­t, am Monatsende rund 1000 Euro oder weniger, das ist unter dem gesetzlich­en Mindestloh­n.

Besonders wütend sind sie über Importe aus Ländern, wo niedrige Standards gelten und viel billiger produziert wird. Oft fällt der Name Ukraine. Eine Geflügelzü­chterin sagt, ein Huhn von dort sei halb so teuer wie bei ihr. Es geht ihnen auch um Normen der EU, den Green Deal und die Bemühungen der EU zur Stilllegun­g von Feldern. Die Bauern listen rund 120 Forderunge­n an Regierung und EU auf.

Hass auf Bürkoratie

Klagen über zu tiefe Ankaufspre­ise richten sich gegen Industrie und Großhändle­r, die durch eine nationale Vereinbaru­ng existenzsi­chernde Preise garantiere­n müssten. Mehrfach wurden Lkw-Ladungen mit Importgemü­se und -obst von Landwirten ausgeleert. So etwas belegt, dass die FNSEA ihre Kontrolle über die Bewegung verliert. Im zweitgrößt­en Bauernverb­and Coordinati­on Rurale geben Rechtspopu­listen den Ton an.

Die Bauern schimpfen über Bürokratie und Papierkrie­g. Dem wolle er rasch abhelfen, hatte der neue Premiermin­ister, Gabriel Attal (34), zuletzt versproche­n. Er will auf eine Erhöhung der Dieselsteu­er verzichten und den für Bauern wichtigen Treibstoff verbillige­n. Die Proteste hat das nicht gebremst.

Die Agrarkrise ist Thema der ganzen EU. Landwirtsc­haftsminis­ter Marc Fesneau wollte am Mittwoch in Brüssel wichtige Fragen erörtern, um „seinen“Bauern Vorschläge unterbreit­en zu können.

 ?? [AFP ] ?? Hunderte Traktoren blockierte­n eine Autobahn östlich von Paris. Im Bild eine symbolisch­e Miniaturva­riante.
[AFP ] Hunderte Traktoren blockierte­n eine Autobahn östlich von Paris. Im Bild eine symbolisch­e Miniaturva­riante.

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