In Ketten vor dem Richter in Ungarn
Die Festnahme einer linksaktivistischen Lehrerin in Budapest sorgt für Empörung in Italien. Ein demütigender Prozesstag bringt nun Regierungschefin Meloni in Bedrängnis.
Eine Sicherheitsbeamtin zieht die Angeklagte an einer Kette und führt sie in den Gerichtssaal. Die Gefangene ist in Handschellen. Auch an den Füßen sind Fesseln angelegt, befestigt mit Lederriemen und Schlössern. Im Saal sitzen bewaffnete Männer in Sturmmützen, sie tragen schusssichere Westen. Einmal zoomt eine Kamera auf die Hände der Frau. Man sieht Schürfungen.
Die Angeklagte ist Ilaria Salis, eine 39-jährige Lehrerin aus dem norditalienischen Monza. Der Prozess findet in Budapest statt, die Staatsanwaltschaft fordert elf Jahre Haft. Der Grund: Am 11. Februar 2023 eskalierten Straßenschlachten zwischen Neonazis und zum Teil linksextremen Gegendemonstranten, darunter Salis. Damals hatten sich Neonazis aus ganz Europa versammelt, sie gedachten der erfolglosen Versuche von SS-Verbänden und ungarischen Truppen 1945, den sowjetischen Belagerungsring um die ungarische Hauptstadt zu durchbrechen.
„Wie ein Tier behandelt“
Salis soll zwei Neonazis verletzt haben. Laut Medien waren die beiden aber bald wieder genesen und reichten gar keine Klage ein. Doch offenbar will die ungarische Staatsanwaltschaft ein
Exempel statuieren. Sie wirft der Lehrerin Mordabsichten vor. Salis sei
Mitglied der gewalttätigen linksextremen deutschen „Hammerbande“. Die Frau bestreitet das. Und sie betont: Sie habe zwar demonstriert, aber niemanden verletzt.
Die Frau ist seit ihrer Festnahme vor einem Jahr in einem Hochsicherheitsgefängnis eingesperrt, Hausarrest wurde ihr verweigert. „Sie behandeln meine Tochter wie ein Tier“, sagte ihr Vater, Roberto Salis. Der Mailänder Ingenieur prangerte bereits mehrmals in Interviews die „unmenschlichen Bedingungen“an, unter denen seine Tochter festgehalten werde. Sie sei in einer winzigen Einzelzelle untergebracht, „dort gibt es Bettwanzen und Ratten. Wochenlang muss sie dieselbe Kleidung und Unterwäsche tragen. Und monatelang durfte sie überhaupt keinen Kontakt zu uns aufnehmen.“
Er erhebt schwere Vorwürfe gegen Italiens rechtsnationale Regierung von Giorgia Meloni, die sich nicht intensiv genug um seine Tochter bemühe. „Ilaria ist bereits viermal angekettet vor Gericht erschienen, und die italienische Botschaft wusste Bescheid.“Laut Opposition will Meloni Streit mit ihrem Verbündeten, Ungarns Premier Viktor Orbán, vermeiden.
In Italien sorgt der Fall seit Wochen für Empörung, im ganzen Land finden Demos statt. Seit der demütigenden Aufnahme des Verfahrens ist das Land unter Schock. „Das ist ein Verstoß gegen EU-Regeln und entspricht nicht unseren rechtlichen Normen“, protestiert nun auch Außenminister Antonio Tajani. Er weist Vorwürfe zurück, dass sich die Regierung nicht für Salis eingesetzt habe. Tatsächlich wurde der ungarische Botschafter bereits ins Außenministerium zitiert. Doch Tajani räumte ein: Salis sei in Ungarn festgenommen worden, dort müsse ihr der Prozess gemacht werden. Aber Dienstagabend wollte Meloni mit Orbán über den Fall sprechen.
Geäußert hat sich die Regierungschefin aber bisher nicht. Zurückhaltend gab sich ihr Schwager, Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida: „Die Fotos von Ilaria Salis in Ketten habe ich nicht gesehen. Daher sage ich nichts dazu.“