„Ich glaube nicht an Sünden der Väter“
Das Außenministerium lud die Nachkommen jüdischer Emigranten zu einem Festakt nach Wien. Sie sprachen über ihre Verbindung zu Österreich.
Als sie vor dreieinhalb Jahren aus den Händen von Bundeskanzler Sebastian Kurz im Generalkonsulat in New York die österreichische Staatsbürgerschaft erhielt, sagte Evelyn Konrad im Interview leichthin und im Überschwang der Gefühle: „Wenn Trump wiederkommt, gehe ich zurück nach Österreich.“Nun kehrte die 95-Jährige schon früher nach Österreich zurück, an der Seite ihrer Tochter, die am Dienstag einen runden Geburtstag feierte, wie die alte Dame in ihrer Geburts- und Sehnsuchtsstadt verschmitzt erzählt.
Erst einmal kam Evelyn Konrad indessen „nur“zu einem Festakt ins Palais Niederösterreich zurück, wo Außenminister Alexander Schallenberg einen Sammelband präsentierte. „Wir und Österreich“versammelt 15 Stimmen von Nachfahren jüdischer Emigranten – 15 von inzwischen mehr als 26.000, die durch eine Novelle des Staatsbürgerrechts vor rund fünf Jahren die österreichische Staatsbürgerschaft reklamiert haben. Monat für Monat kämen 400 hinzu. Schallenberg verhehlte nicht seinen Stolz darauf, „dass uns manchmal gute Sachen gelingen“.
„Akt des Vertrauens“
„Es ist ein Akt des Vertrauens“, betont der Außenminister angesichts des Dutzends an Ehrengästen aus der jüdischen Diaspora, von Emigranten aus erster bis vierter Generation aus den USA bis Australien. Schallenberg übt Selbstkritik: „Viel zu lang haben wir uns selbst belogen und nicht hingesehen. Umso bewusster und nachdrücklicher stellen wir uns den schmerzlichen Kapiteln der Geschichte.“
Ihre vier Kinder haben Konrad gedrängt, die Doppelstaatsbürgerschaft anzunehmen. „Ich hatte zuerst meine Zweifel. Aber ich glaube nicht an die Sünden der Väter, ich glaube an eine neue Generation. Ich fühle mich zu Hause in Wien“, sagte die einstige Anwältin, die Tochter des ungarischstämmigen Fußballtrainers Jenö Konrad, im schönsten Wienerisch.
„Obwohl ich Wien mit acht Jahren verlassen habe, hat mich Wien nie verlassen“, schreibt sie in ihrem Beitrag. Die Begleiterscheinungen der Emigration und den Holocaust hat sie freilich nicht vergessen. „Unmenschlich, unverständlich, unverzeihlich“, sagte sie heute, 88 Jahre nach dem Gang ins Exil. „Meine Beziehung war komplex und schmerzhaft, und sie war in Momenten sogar feindlich.“Ihre geliebte „Omutti“musste sie damals zurücklassen. Nun sei für sie eine „innere Leere“gefüllt, bekennt sie im Buch.
Für Alex Boyt spielte Sentimentalität keine Rolle. Ihn hätten erst pragmatische Gründe geleitet. Nach dem Brexit habe der Brite – Sohn des Malers Lucien Freud und Urenkel Sigmund Freuds – den Verlust der europäischen Identität verspürt, erklärte er in einem Podiumsgespräch bei seiner ersten Wien-Visite. Er sei nicht einmal in jüdischer Tradition groß geworden. Sein Vater wollte nichts vom legendären Begründer der Psychoanalyse wissen. Im fortgeschrittenen Alter von 66 Jahren lernt Boyt nun das Wien seines Urgroßvaters kennen.
Ein Kreis schließt sich
Auch für die 76-jährige Dorit Straus, die aus einer Musikerfamilie stammt, schließt sich ein Kreis. Ein legendärer Geiger habe der Familie in den 1930-Jahren zur Flucht verholfen. Sie selbst kam vor 30 Jahren erstmals nach Österreich und schwärmte ihren Eltern vor.
Um Ezequiel Max, einen 22Jährigen aus Buenos Aires, war es ausgerechnet in Auschwitz geschehen. Bei einer Gedenkveranstaltung im ehemaligen NS-Konzentrationslager lernte er eine junge Jüdin aus Wien kennen, deretwegen er kurz darauf nach Wien zog. Er leistete in Wien seinen Zivildienst, begann ein Studium – und er will auch hier bleiben, entgegen der anfänglichen Bedenken seiner Oma. „Ich fühle eine Verbundenheit zu unserer Familiengeschichte. Ich fühle mich hier wie zu Hause.“Von Buenos Aires nach Wien – wahrlich ein weiter Weg für den Urenkel einer Emigrantenfamilie.
„Ein sicherer Hafen“
„Österreich ist ein sicherer Hafen für Juden geworden. Das hat Österreichs Image gestärkt“, konstatiert Oskar Deutsch, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde. Die österreichische Staatsbürgerschaft betrachtet er nicht als „Geschenk, sondern als Restitution“– als Wiedergutmachung für eine „gestohlene Staatsbürgerschaft“. „Gerechtigkeit blieb den Shoah-Überlebenden jahrzehntelang verwehrt.“Viele der Nachkommen der Emigranten seien innerlich zerrissen. „Sie fühlen eine tief sitzende Verbundenheit, doch sie hadern mit dem Verzeihen.“
Ohne aktuellen Bezug zum Gazakrieg kommt der Festakt indessen nicht aus. Freud-Urenkel Boyt beklagt die „Unverhältnismäßigkeit“des israelischen Kriegs im Gazastreifen. „Diese Aussage bin ich mir schuldig“, sagt er. „Gerechtigkeit blieb den Shoah-Überlebenden jahrzehntelang verwehrt.“
Die Veranstaltung sei ursprünglich für den November geplant gewesen, erklärt Schallenberg. Doch damals, wenige Wochen nach dem Terror-Massaker der Hamas, sei niemandem zum Feiern zumute gewesen. Angesichts des Anschlags könne es „keine Äquidistanz, keine Äquivalenz“geben. „Die Sicherheit Israels ist österreichische Staatsräson. Das ,Nie wieder‘ ist jetzt.“Das sagte er auch an die Adresse der 7BKlasse aus Klosterneuburg, die zum Festakt eingeladen war.