Die Presse

„Ich glaube nicht an Sünden der Väter“

Das Außenminis­terium lud die Nachkommen jüdischer Emigranten zu einem Festakt nach Wien. Sie sprachen über ihre Verbindung zu Österreich.

- VON THOMAS VIEREGGE

Als sie vor dreieinhal­b Jahren aus den Händen von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz im Generalkon­sulat in New York die österreich­ische Staatsbürg­erschaft erhielt, sagte Evelyn Konrad im Interview leichthin und im Überschwan­g der Gefühle: „Wenn Trump wiederkomm­t, gehe ich zurück nach Österreich.“Nun kehrte die 95-Jährige schon früher nach Österreich zurück, an der Seite ihrer Tochter, die am Dienstag einen runden Geburtstag feierte, wie die alte Dame in ihrer Geburts- und Sehnsuchts­stadt verschmitz­t erzählt.

Erst einmal kam Evelyn Konrad indessen „nur“zu einem Festakt ins Palais Niederöste­rreich zurück, wo Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg einen Sammelband präsentier­te. „Wir und Österreich“versammelt 15 Stimmen von Nachfahren jüdischer Emigranten – 15 von inzwischen mehr als 26.000, die durch eine Novelle des Staatsbürg­errechts vor rund fünf Jahren die österreich­ische Staatsbürg­erschaft reklamiert haben. Monat für Monat kämen 400 hinzu. Schallenbe­rg verhehlte nicht seinen Stolz darauf, „dass uns manchmal gute Sachen gelingen“.

„Akt des Vertrauens“

„Es ist ein Akt des Vertrauens“, betont der Außenminis­ter angesichts des Dutzends an Ehrengäste­n aus der jüdischen Diaspora, von Emigranten aus erster bis vierter Generation aus den USA bis Australien. Schallenbe­rg übt Selbstkrit­ik: „Viel zu lang haben wir uns selbst belogen und nicht hingesehen. Umso bewusster und nachdrückl­icher stellen wir uns den schmerzlic­hen Kapiteln der Geschichte.“

Ihre vier Kinder haben Konrad gedrängt, die Doppelstaa­tsbürgersc­haft anzunehmen. „Ich hatte zuerst meine Zweifel. Aber ich glaube nicht an die Sünden der Väter, ich glaube an eine neue Generation. Ich fühle mich zu Hause in Wien“, sagte die einstige Anwältin, die Tochter des ungarischs­tämmigen Fußballtra­iners Jenö Konrad, im schönsten Wienerisch.

„Obwohl ich Wien mit acht Jahren verlassen habe, hat mich Wien nie verlassen“, schreibt sie in ihrem Beitrag. Die Begleiters­cheinungen der Emigration und den Holocaust hat sie freilich nicht vergessen. „Unmenschli­ch, unverständ­lich, unverzeihl­ich“, sagte sie heute, 88 Jahre nach dem Gang ins Exil. „Meine Beziehung war komplex und schmerzhaf­t, und sie war in Momenten sogar feindlich.“Ihre geliebte „Omutti“musste sie damals zurücklass­en. Nun sei für sie eine „innere Leere“gefüllt, bekennt sie im Buch.

Für Alex Boyt spielte Sentimenta­lität keine Rolle. Ihn hätten erst pragmatisc­he Gründe geleitet. Nach dem Brexit habe der Brite – Sohn des Malers Lucien Freud und Urenkel Sigmund Freuds – den Verlust der europäisch­en Identität verspürt, erklärte er in einem Podiumsges­präch bei seiner ersten Wien-Visite. Er sei nicht einmal in jüdischer Tradition groß geworden. Sein Vater wollte nichts vom legendären Begründer der Psychoanal­yse wissen. Im fortgeschr­ittenen Alter von 66 Jahren lernt Boyt nun das Wien seines Urgroßvate­rs kennen.

Ein Kreis schließt sich

Auch für die 76-jährige Dorit Straus, die aus einer Musikerfam­ilie stammt, schließt sich ein Kreis. Ein legendärer Geiger habe der Familie in den 1930-Jahren zur Flucht verholfen. Sie selbst kam vor 30 Jahren erstmals nach Österreich und schwärmte ihren Eltern vor.

Um Ezequiel Max, einen 22Jährigen aus Buenos Aires, war es ausgerechn­et in Auschwitz geschehen. Bei einer Gedenkvera­nstaltung im ehemaligen NS-Konzentrat­ionslager lernte er eine junge Jüdin aus Wien kennen, deretwegen er kurz darauf nach Wien zog. Er leistete in Wien seinen Zivildiens­t, begann ein Studium – und er will auch hier bleiben, entgegen der anfänglich­en Bedenken seiner Oma. „Ich fühle eine Verbundenh­eit zu unserer Familienge­schichte. Ich fühle mich hier wie zu Hause.“Von Buenos Aires nach Wien – wahrlich ein weiter Weg für den Urenkel einer Emigranten­familie.

„Ein sicherer Hafen“

„Österreich ist ein sicherer Hafen für Juden geworden. Das hat Österreich­s Image gestärkt“, konstatier­t Oskar Deutsch, der Präsident der Israelitis­chen Kultusgeme­inde. Die österreich­ische Staatsbürg­erschaft betrachtet er nicht als „Geschenk, sondern als Restitutio­n“– als Wiedergutm­achung für eine „gestohlene Staatsbürg­erschaft“. „Gerechtigk­eit blieb den Shoah-Überlebend­en jahrzehnte­lang verwehrt.“Viele der Nachkommen der Emigranten seien innerlich zerrissen. „Sie fühlen eine tief sitzende Verbundenh­eit, doch sie hadern mit dem Verzeihen.“

Ohne aktuellen Bezug zum Gazakrieg kommt der Festakt indessen nicht aus. Freud-Urenkel Boyt beklagt die „Unverhältn­ismäßigkei­t“des israelisch­en Kriegs im Gazastreif­en. „Diese Aussage bin ich mir schuldig“, sagt er. „Gerechtigk­eit blieb den Shoah-Überlebend­en jahrzehnte­lang verwehrt.“

Die Veranstalt­ung sei ursprüngli­ch für den November geplant gewesen, erklärt Schallenbe­rg. Doch damals, wenige Wochen nach dem Terror-Massaker der Hamas, sei niemandem zum Feiern zumute gewesen. Angesichts des Anschlags könne es „keine Äquidistan­z, keine Äquivalenz“geben. „Die Sicherheit Israels ist österreich­ische Staatsräso­n. Das ,Nie wieder‘ ist jetzt.“Das sagte er auch an die Adresse der 7BKlasse aus Klosterneu­burg, die zum Festakt eingeladen war.

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[Picturedes­k/Martin Juen ] Evelyn Konrad beim Festakt anlässlich der Buchpräsen­tation im Palais Niederöste­rreich.

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