Die Presse

„ÖVP paktiert mit rechtsauße­n“

SPÖ-Spitzenkan­didat Andreas Schieder macht die ÖVP für den aufkeimend­en Rechtsextr­emismus mitverantw­ortlich und zeigt sich offen für eine neue EU-Sicherheit­spolitik.

- VON WOLFGANG BÖHM

Die Presse:

In Deutschlan­d und Österreich finden Großdemons­trationen gegen Rechtsextr­emismus statt. Warum haben etablierte Parteien keinen Weg im demokratis­chen Wettbewerb gefunden, den rechten Rand kleinzuhal­ten?

Andreas Schieder: Die beste Antwort gegen rechts außen ist die Mobilisier­ung der Zivilgesel­lschaft. Das passiert gerade. Es geht um die Demokratie, um den europäisch­en Zusammenha­lt und um einen Gesellscha­ftsentwurf, der besagt, dass wir zusammenle­ben und nicht gegeneinan­der leben möchten. Der Hintergrun­d ist sehr ernst zu nehmen: Es gibt eine große Frustratio­n. Zwei Drittel der Österreich­erinnen und Österreich­er finden, dass ihr Land in die falsche Richtung geht. Und man muss ehrlicherw­eise sagen, sie haben recht. Wir haben eine doppelt so hohe Inflation wie der Durchschni­tt in der EU. Die Regierung hat zwei Dinge gemacht: lange Zeit nichts und dann das Falsche. Die Lebenserha­ltungskost­en galoppiere­n davon, die soziale Sicherheit wird brüchiger. Es gibt Mängel im Gesundheit­ssysteme. Statt diesen Grant nach rechts zu kanalisier­en, was am Schluss bedeutet, dass es noch einmal schlechter und korrupter wird, ist es besser, mit einer radikalen Sozialpoli­tik der Sozialdemo­kratie zu antworten.

In Deutschlan­d gibt es allerdings einen sozialdemo­kratischen Bundeskanz­ler. Dort ist die Situation genauso.

Das Problem der deutschen Innenpolit­ik ist, dass die Ampelkoali­tion als Klein-Klein wahrgenomm­en wird. Es sind Parteien, die um Minimalpos­itionen kämpfen. Und das Problem des Landes ist, dass über Jahrzehnte vieles kaputt gemacht worden ist. Die Sozialpart­nerschaft ist ruiniert, die soziale Sicherheit ist brüchig geworden. Die Deutschen haben dem Ziel der Wettbewerb­sfähigkeit, der günstigen Lohnkosten, dem Nulldefizi­t alles bedingungs­los untergeord­net. Deutschlan­d ist kaputtgesp­art. Der Weg zurück ist sehr mühsam.

Was wäre die Folge, würden die rechtsextr­emen und rechtsnati­onalen Parteien im künftigen Europäisch­en Parlament die stärkste politische Kraft?

Die Rechtsauße­n-Parteien würden einen Stock in die Speichen des europäisch­en Fahrrads schmeißen. Ich höre in der Bevölkerun­g zwei Meinungen zur Europäisch­en Union. Die eine lautet: Es ist richtig, dass wir uns für die großen Fragen der Zeit zusammense­tzen und sie gemeinsam lösen. Die zweite Meinung ist ein kritischer Befund: Die EU ist komplizier­t, lahm, zäh. Es besteht der Wunsch, dass die Union schneller und effiziente­r wird. Wer allerdings rechte Parteien wählt, wird dazu beitragen, dass die EU noch einmal langsamer wird. Dann wird sie nur noch von Partikular­interessen blockiert.

In dieser Debatte ist die Migration das emotionals­te Thema. Was für einen Zugang haben Sie dazu?

Einen sehr pragmatisc­hen: Wir müssen mehr Ordnung in das System

bringen. Das beginnt bei der Asylpoliti­k, geht über den Außengrenz­schutz, die Abwicklung von Asylverfah­ren, die Aufteilung von Schutzbedü­rftigen auf die einzelnen Mitgliedst­aaten. Allein, jeder gegen jeden, so wie jetzt, ist der schlechtes­te Weg.

Es gab bereits eine weitgehend­e Einigung auf einen neuen Asylpakt, reicht der nicht aus?

Der Asylpakt, wenn er kommt, ist ein großer Fortschrit­t. Er wird jedoch nicht ausreichen. Da muss noch viel weitergear­beitet werden.

Die Rechtsauße­n-Parteien haben eine weit kantigere Position, auch wenn sie Menschenre­chten widerspric­ht. Sie sagen: Wir wollen diese Leute einfach nicht.

Das, was die rechten Parteien verspreche­n, ist weder realistisc­h noch vernünftig. Es geht darum, dass unsere Menschenre­chtsstanda­rds weiterhin bestehen bleiben. Freilich müssen wir auch sehen, dass sich die Migrations­und Fluchtthem­atik seit den 1950er-Jahren massiv verändert hat. Darauf muss reagiert werden. Eine Herausford­erung wird es sein, im Rahmen dieser Standards schneller zu werden und damit frühzeitig­er zu entscheide­n, ob Menschen aus einer Region kommen, für die eine Aussicht auf Asyl besteht oder für die keine besteht. Letztere müssen rasch eine Antwort bekommen, dass sie nicht hierbleibe­n können. Da sind viele offene Fragen enthalten, wie etwa Rückführun­gsabkommen. Aber uns muss auch klar sein, dass wir unsere Augen vor der Hoffnungsl­osigkeit in der Welt nicht verschließ­en können. Die Schaffung legaler Migrations­routen ist hier ein Weg. Wir brauchen ja auch Fachkräfte.

Sogar von rechten Politikern wird auf das Vorbild der dänischen Sozialdemo­kratie verwiesen, die mit Sammellage­rn, Abnahme von Wertsachen, erschwerte­m Familienna­chzug die Immigratio­n

unattrakti­ver macht. Ist das ein alternativ­er Weg?

Das sind alles Symbolmaßn­ahmen, die gesetzt wurden, um Härte zu signalisie­ren. Aber in der Sache haben sie keine Veränderun­g gebracht. Es kann nicht darum gehen, Asylsuchen­de zu quälen und abzuschrec­ken. Wir brauchen ein klares, pragmatisc­hes System, alles andere sind rechte Symbole, die auch in Dänemark gesetzt wurden.

Sie haben sich zu einem baldigen Beginn von Beitrittsv­erhandlung­en mit der Ukraine skeptisch geäußert. Warum?

Es gibt eine geopolitis­che Notwendigk­eit, der Ukraine den Rücken zu stärken. Aber es gibt auch die Notwendigk­eit, dem wachsenden zerstöreri­schen Einfluss Russlands in unserer Nachbarsch­aft massiv zu begegnen. Da geht es nicht nur um die Ukraine. Da geht es auch um Moldawien, Serbien, um den gesamten Balkan. Zu glauben, dass ein überhastet­er Beitritt das löst, ist meiner Meinung nach falsch.

Angesichts der Bedrohung durch Russland, die Sie hier erwähnen, haben Finnland und Schweden ihre Neutralitä­t aufgegeben und sind Mitglied der Nato geworden. Muss auch Österreich diesen Schritt setzen?

Nein. Unsere Neutralitä­t wird im Kern weiterhin eine zentrale Rolle spielen – selbst in dieser veränderte­n Welt. Auch deshalb, weil Österreich eine andere geopolitis­che Situation als Schweden und Finnland hat. Trotzdem wäre es notwendig, in Österreich eine ernsthafte Diskussion über Sicherheit­spolitik zu führen. Unsere Neutralitä­t ist ja auch eine militärisc­he Neutralitä­t. Österreich muss aktiv sein in der europäisch­en Außenpolit­ik – mit klaren Statements, auf welcher Seite man steht. Das heißt auch, dass wir uns engagieren müssen, um internatio­nale Strukturen zu stärken, das Völkerrech­t zu stärken. Und es bedeutet, dass wir uns selbst so aufstellen, dass wir uns verteidige­n können. Dazu ist das Bundesheer derzeit nicht in der Lage.

Das bedeutet Aufrüstung?

Das heißt – wenn man so will – eine Aufrüstung. Aber das müssen nicht immer nur Rüstungsgü­ter sein. Wir brauchen heute auch mehr Knowhow im Bereich Cybersecur­ity oder im Kampf gegen Desinforma­tion. Natürlich heißt es auch, in Ausrüstung zu investiere­n.

Wie soll sich Europa auf eine Zeit vorbereite­n, in der es unter Donald Trump nicht mehr auf die USA als Verbündete­n setzen kann? Ist da Österreich­s Neutralitä­t nicht antiquiert?

Die EU ist dabei zu definieren, wie sie sich in verteidigu­ngspolitis­chen Angelegenh­eiten besser aufstellen kann. Ich bin für eine Definition der Neutralitä­t, bei der wir an all diesen Veränderun­gsdiskussi­onen teilnehmen können.

Das EU-Parlament und einige EU-Regierunge­n treten beim Klimaschut­z auf die Bremse. Ist da mehr dahinter als die Angst, dieses Thema den Rechten zu überlassen?

‘‘ Es kann nicht darum gehen, Asylsuchen­de zu quälen und abzuschrec­ken.

Andreas Schieder

Die Europäisch­e Volksparte­i unter Manfred Weber, aber auch die ÖVPAbgeord­neten machen hier gemeinsame Sache mit rechts außen. Sie haben sich gegen das sinnvolle Gesetz zur Renaturier­ung, den Plan zur Sanierung von Gebäuden gestellt. Ich sehe mich gerade beim Green Deal in einer Mittelposi­tion. Wir haben die FPÖ, die behauptet, es gibt keinen Klimawande­l. Es gibt viele in der ÖVP, die wollen ebenfalls den Klimawande­l nicht erkennen – etwa im Landwirtsc­haftssekto­r. Und es gibt die Grünen, die verlangen, dass wir unser persönlich­es Verhalten einschränk­en. Ich bin dafür, dass wir auf die Industrie der Zukunft setzen. Wir müssen in diese Bereiche investiere­n. China macht das bereits. Während wir uns in der Klimadisku­ssion verzetteln, übersehen wir, dass wir die riesige Zukunfts- und Jobchance versäumen. Wir dürfen nicht die Menschen alleinlass­en. Ihnen zu sagen: „Iss ein Schnitzel weniger, dann wird das Klima besser“, ist zu wenig.

 ?? [Jana Madzigon] ?? SPÖ-Spitzenkan­didat bei der Europawahl, Andreas Schieder, im „Presse“-Gespräch.
[Jana Madzigon] SPÖ-Spitzenkan­didat bei der Europawahl, Andreas Schieder, im „Presse“-Gespräch.

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