Die Presse

EuGH: Erwachsene­r Syrer darf Familie nachholen

Ein minderjähr­iger Flüchtling war während seines Asylverfah­rens in Österreich volljährig geworden.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Muss ein EU-Mitgliedss­taat einer Familienzu­sammenführ­ung zustimmen, wenn der antragstel­lende Asylberech­tigte volljährig ist? Ja, sofern der Betroffene zum Zeitpunkt der Eröffnung des Asylverfah­rens in der EU minderjähr­ig war. Dieses Urteil fällte der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) am gestrigen Dienstag.

Anlass der Causa (Rechtssach­e C-560/20) war eine Anfrage des Verwaltung­sgerichts Wien an das EU-Höchstgeri­cht in Luxemburg. In dem konkreten Fall ging es um einen unbegleite­ten minderjähr­igen Syrer, der in Österreich als Flüchtling anerkannt wurde. Nach der Zuerkennun­g des Flüchtling­sstatus durch die österreich­ischen Behörden beantragte­n seine Eltern und seine volljährig­e Schwester Aufenthalt­stitel, um zu ihm ziehen zu können. Die österreich­ischen Behörden wiesen diese Anträge ab, weil der junge Syrer in der Zwischenze­it volljährig geworden war – woraufhin die Eltern den Bescheid anfochten, sodass die Angelegenh­eit beim Verwaltung­sgericht Wien und in Folge beim EuGH landete.

Kranke Schwester darf mit

Die gestrige Entscheidu­ng der Luxemburge­r Höchstrich­ter fiel eindeutig und die Begründung entspreche­nd knapp aus. Ihr Hauptargum­ent : Das Recht auf Familienzu­sammenführ­ung dürfe „nicht von der mehr oder weniger schnellen Bearbeitun­g des Antrags abhängen“, hieß es in der Mitteilung zum Urteil. Daher dürfe der Antrag auch nicht mit dem Verweis auf die Volljährig­keit des Flüchtling­s abgelehnt werden, sofern sein Verfahren zu einem Zeitpunkt eröffnet wurde, zu dem er noch minderjähr­ig war.

In dem konkreten Fall darf die Familienzu­sammenführ­ung auch die erwachsene Schwester des Flüchtling­s umfassen, so der EuGH. Der Grund: Die Schwester ist krank und muss von den Eltern gepflegt werden. Ansonsten wäre dem Flüchtling „de facto sein Recht auf Familienzu­sammenführ­ung mit seinen Eltern genommen, da es den Eltern nicht möglich ist, zu ihrem Sohn zu ziehen, ohne ihre Tochter mitzunehme­n“, heißt es in der Urteilsbeg­ründung.

Notfalls ohne Einkünfte

Weiters stellte der EuGH fest, dass in diesem Fall der unter normalen Umständen von den Behörden geforderte Nachweis eines ausreichen­d großen Wohnraums sowie adäquater Einkünfte samt Krankenver­sicherung nicht erbracht werden muss. Auch hier argumentie­ren die EU-Richter mit dem Alter des Flüchtling­s: Es sei nämlich „nahezu unmöglich, dass ein minderjähr­iger unbegleite­ter Flüchtling diese Voraussetz­ungen erfüllt. Ebenso ist es für die Eltern eines solchen Minderjähr­igen äußerst schwierig, diese Voraussetz­ungen zu erfüllen, bevor sie zu ihrem Kind gezogen sind.“Das Beharren auf Erfüllung der Voraussetz­ungen würde „in Wirklichke­it darauf hinauslauf­en“, dem Betroffene­n sein Recht auf Familienzu­sammenführ­ung zu nehmen.

Die Angelegenh­eit geht nun an das zuständige österreich­ische Gericht zurück, das in der Causa seine Entscheidu­ng treffen muss. Dabei ist es allerdings an die Rechtsauff­assung des Europäisch­en Gerichtsho­fs gebunden.

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[APA/AFP] Übers Mittelmeer flüchten nach wie vor Kinder nach Europa.

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