Dominic Thiems letzte Chance
Der gefallene Tennisstar setzt eine Zäsur, mit der Rückkehr zu seinen Wurzeln will er mentale Hürden überwinden. Vor allem aber stellt er die Frage, was überhaupt noch Sinn ergibt.
Seit nunmehr zwei Jahren wirkt die Karriere des Dominic Thiem wie ein Kampf gegen Windmühlen. Frustrierend frühe Niederlagen bei kleinen Turnieren wechseln sich mit durchaus vielversprechenden Auftritten gegen die Topstars der Tenniswelt ab. Konstant dabei ist aber stets die Inkonstanz: Eine gute Partie heute muss keine gute Partie morgen bedeuten, und selbst in dieser Hilflosigkeit hochgelobte Turnierwochen wie beim Finaleinzug im Sommer in Kitzbühel erweisen sich bei näherer Betrachtung nur als glückliche Fügung.
Nun erfolgt erneut eine Zäsur. Thiem hat sich nach dem einmal mehr enttäuschenden AustralienTrip mit zwei Erstrundenniederlagen in Brisbane und Melbourne nach knapp einem Jahr Zusammenarbeit von Trainer Benjamin Ebrahimzadeh getrennt – und setzt nun alles auf eine „letzte Chance“, wie der 30-Jährige sagt.
Gerade noch rechtzeitig
Die Strategie: Thiem wird wieder verstärkt zu Hause in Traiskirchen und Oberpullendorf mit Vater Wolfgang Thiem trainieren. Der Plan für die nächsten Monate beinhaltet nach dem Davis Cup am Wochenende in Irland einen mehrwöchigen Trainingsblock und im März drei Sandplatzturniere auf der zweitklassigen Challenger-Tour: Székesfehérvár, Zadar und Neapel.
Erst danach wird entschieden, wie es weitergeht.
Der Zeitpunkt für die Trennung von Ebrahimzadeh ist nach der vor wenigen Wochen noch gemeinsam absolvierten Saisonvorbereitung ungünstig, doch sie kam gerade noch rechtzeitig. Thiem drohte ein Rückschritt, er wirkte ratlos und produzierte geradezu sinnbildlich mit seiner Vorhand mehr Fehler denn je. Und dennoch: Der Trainer war nicht das Problem. Es liegt vielmehr auf dem Platz und ist freilich ein mentales, wenn in entscheidenden Momenten der Arm schwer wird, der unerzwungene Fehler unterläuft, die falsche Entscheidung getroffen wird. Eine Frage des Selbstvertrauens, das wohl nirgendwo wichtiger ist als im Tennis, im Duell eins gegen eins und auf sich allein gestellt.
Thiems Lösung ist es nun, sich wieder ein vertrauteres Umfeld zu schaffen. Zurück nach Hause in die Akademie des Vaters, auch der neue Touring-Coach, sein Name soll demnächst fallen, soll jemand sein, der ihn als Tennisspieler von klein auf kennt. Der anstehende Trainingsblock ist dafür ebenso alternativlos wie der Gang zurück auf die Challenger-Tour. Nur dort lässt sich Sicherheit finden und Selbstvertrauen aufbauen, anstatt Woche für Woche mit einem Ranking um Platz 100 der Welt um die Teilnahme bei ATP-Turnieren zu zittern.
Was lohnt sich noch?
Was Thiem jedoch langfristig braucht, sind die viel zitierten letzten Prozente, die zuletzt für den Sieg gegen Félix Auger-Aliassime (Fünfsatzniederlage bei den Australian Open) oder einen Satzgewinn gegen Rafael Nadal (Zweisatzniederlage in Brisbane) fehlten. Außerdem die Selbstverständlichkeit, dieses Niveau auch abseits der Centre Courts abzurufen. Denn das dokumentierten die Thiem-Ergebnisse heuer wieder: Auf großer Bühne gelingen gute Matches, gegen die weniger namhafte Konkurrenz regiert meist der Krampf.
Eine Frage scheint fürs Erste beantwortet: Thiem hat offenbar nicht im Sinn, nur durch die Tenniswelt zu tingeln und den einen oder anderen Achtungserfolg einzufahren – ein Vorwurf, der mit einem Karriere-Preisgeld von über 30 Millionen US-Dollar jedenfalls im Raum stand. Davon zeugt der Wille, es noch einmal über die wenig glamouröse Challenger-Tour zu versuchen. Geht diese Strategie auf, sprich gewinnt er dort wieder Matches, kann es tatsächlich im Ranking wieder flott nach oben gehen. Als Ziel für diese Saison hat der aktuelle Weltranglisten-90. die Top 50 ausgegeben. Thiem sagt : „Sollte ich das Jahr wieder auf 100 beenden, muss man schon überlegen, ob sich das Ganze noch lohnt.“